«Flora, Fauna und die passende Kleidung dazu - mehr braucht es nicht für ein erfolgreiches Video»

21.04.2023
Herr Schicker, Sie sind begnadeter Werbetexter. Wurde Ihnen diese Kunst in die Wiege gelegt oder hart erarbeitet?
Eindeutig begnadet, hochgradig talentiert! Den ersten Slogan habe ich als Achtjähriger geschrieben!
Die vielleicht nicht bessere, aber tatsächlich wahre Antwort ist: Vom Kunst- und Sportgymnasium kam ich zu Privatbanken, studierte nebenbei Betriebsökonomie, siedelte in die Finanzkommunikation über und schlug dann im Journalismus meine Zelte auf. Seit über zehn Jahren ist die Werbewelt meine Welt.
Eine Kunst ist mir also nicht in die Wiege gelegt worden, dafür Neugierde, Mut zur Veränderung, Durchsetzungsvermögen, Spass an der Arbeit und die schiere Freude an Wort und (Bewegt-) Bild.
Sie kennen sich auch in der Schweizer Finanzindustrie aus. Wie finden Sie die Werbung von Banken und Fondsgesellschaften?
Je länger je mehr fallen mir erfrischende Ansätze auf, insbesondere von weniger alteingesessenen Akteuren. Dabei gefällt mir deren Direktheit - in der Sprache, in der Ansage. Weiters ist es deren Nähe - zum Konsumenten, zum richtigen Leben. Auch die Inszenierung wird immer ansprechender.
Apropos ansprechen (-d): Dialogkampagnen, bei denen die Kunden zu Wort kommen, finde ich nicht verkehrt. Sie sind zwar weder prickelnd noch bis dato nie dagewesen - und Sätze wie «respektvoller Umgang mit Geld und Umwelt» oder «zukunftsorientiertes Handeln» haben wir alle bereits vor dem Frühstück mindestens acht Mal gelesen. Pauken und Trompeten, Bling-Bling & Co. braucht es hier aber auch nicht. Was es braucht, das ist die erwähnte Nähe zum Kunden, Nähe zum echten Leben. Doch es ist ein schmaler Grad - und immer nah an der Grenze zum Stereotypischen.
Klischierte Symbolik, über den Kamm geschert, gibt es noch immer viel zu viel: Aktive «Golden Ager» auf der Sonnenseite des Lebens zum Beispiel oder generationenübergreifende Familienglücksmomente. Themen wie Nachhaltigkeit (ESG), Diversity, Innovation & Co. werden ebenfalls sehr gerne und zu oft und zu flach ausgespielt.
Aber klar, kritisieren ist einfach und es spielen bei Kampagnen auch unheimlich viele Komponenten mit rein. Selbst eine einzelne Anzeige kann zum Eiertanz werden oder zum Husarenstück. Oder zum Negativbeispiel:
Stellen Sie sich vor, Sie lesen ein Magazin und entdecken ein Inserat mit dieser Headline: «Lassen Sie sich von unseren Fähigkeiten überzeugen. Die Vermögensverwaltung der XYZ Bank.» Die ellenlange Überschrift schreckt Sie aber nicht ab und Sie folgen diesem Lauftext: «Die XYZ Bank ist der verlässliche Partner in Finanzfragen für Unternehmer und Privatanleger. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der XYZ Bank stehen Ihnen jederzeit und gerne für ein unverbindliches Gespräch zur Verfügung.» Noch immer bleiben Sie dran, lesen also auch gleich den abschliessenden call to action: «Herr XYZ freut sich auf Ihren Anruf. T: 044 …»
Sie zücken gleich Ihr Mobile und während Sie die Nummer eintippen, fällt Ihnen «Helvetia» auf. Sie füllt das halbe Inserat aus und ist zudem fixer Bestandteil der Wortbildmarke.
Ihr Fazit?
Etwas argwöhnisch: Herr XYZ freut sich auch nur, weil Sie auf dieses klischierte Inserat hereingefallen sind. Weniger argwöhnisch: Das Ganze weckt nichts Positives in mir, ist nichtssagend und wirkt distanziert.
Kann sein, dass der Absender Zurückhaltung bzw. Diskretion vermitteln möchte. Dann wiederum ist es u.a. komisch, dass sich Herr XYZ schon jetzt auf mich freut und mir gleich alle Mitarbeitenden zur Verfügung stehen.
Vielleicht will mir der Absender auch sagen, er lege grossen Wert auf Stabilität? Helvetia = Schweiz = Sicherheit. Sicherheit sollte hier aber ohnehin Grundvoraussetzung sein - damit zu werben, ist etwas gar einfallslos.
Braucht es viel Geld, um auf sich aufmerksam zu machen?
Grosse Budgets = grosses Geläut. Das 176 Quadratmeter beeindruckende Megaposter am Paradeplatz in Zürich ist zum Beispiel ein teurer Aufmerksamkeitsgarant. Dasselbe gilt für Markenbotschafter mit Weltstarformat. Grosses Geläut ist nicht per se schlecht respektive eigentlich schon ganz gut, garantiert aber noch nicht den Erfolg. Entscheidend ist, was in den Köpfen und Herzen der Zielgruppe bleibt - und wie es bleibt.
Die richtige Werbung zur richtigen Zeit am richtigen Ort ist also keine Frage des Budgets. Sie brauchen aber auch immer das gute Bauch- und richtige Fingerspitzengefühl - und vor allem das perfekte Zusammenspiel aller Beteiligten (Kunde, Agentur, Zulieferer), aller Komponenten (Botschaft, Sujet, Kanäle, Massnahmen, Zeit).
Sie können nicht alles auf den garantierten Erfolg trimmen, aber die Voraussetzungen dafür schaffen. Dies passiert bei uns mit dem Ansatz: «Wir verkaufen nicht das, was wir können, sondern das, was der Kunde braucht.» Weniger effekthaschen, mehr zuhören - und damit verbunden schnüren wir ein auf das Kundenbedürfnis zugeschnittenes Massnahmenpaket.
Wir sind keine Alleskönner, können aber dank unserem Partnernetzwerk ziemlich alles an Bedürfnissen abdecken. Das heisst, die Strategie erarbeiten wir jeweils im Kernteam. Stossen wir bei der Umsetzung an unsere Grenzen oder erfordert ein Auftrag spezifische Kompetenz, greifen wir auf unser Partnernetzwerk zurück. Künstler, Krypto-Koryphäe, Unternehmensberater, Zukunftsforscher, Programmierer, Industrial Designer, Hotelier, Illustrator, Entrepreneur, TV-Moderator - dieser Kompetenzen-Mix ist Gold wert. Denn so können wir unseren Kunden für jedes Projekt das passende, handverlesene Kollektiv zusammenstellen. Das Kollektiv ist nicht nur fachlich, sondern auch menschlich auf Kunde und Projekt «massgeschneidert».
Was muss ein Video bieten, damit Sie es sich anschauen?
«Fauna»: youtu.be/aQD4UxSsMt0, «Flora»: youtu.be/AtkymbuXJc4, die «passende Kleidung»: youtu.be/0r4sMJSJrKI
Anders ausgedrückt: Wer denkt bei einer Versicherung nicht in erster Linie an Geckos? Weshalb nicht blockbustern und dabei ein einsilbiges Pflanzenwesen mit einem Maskottchen auf die Leinwand zaubern? Und für den (nie eintreffenden) Fall, dass das Ganze öde wird, kommen Cowboys ins Spiel.
Tönt womöglich etwas kryptisch, aber schauen Sie sich diese drei Videos an, dann verstehen Sie, was ich damit meine.
Was sind Ihre drei wichtigsten Tipps?
Um bei den Beispielen zu bleiben…
Sympathie. Will ich eine glücklich-sympathische Familie mit verspieltem Hund im Vordergrund sehen und darunter etwas von «Seit Generationen für Generationen» lesen? Nein, ich will einem sprechenden Gecko Glauben schenken, der mir ach wie niedlich und voller Wärme in die Augen schaut - und eine eiskalt-konkrete Ansage (15 Prozent Einsparung) macht.
Unterhaltung. Ein ikonisches Maskottchen trifft auf ein rührendes Pflanzenbaby. So ungleich sie sind, dasselbe Ziel sie verfolgen. Na ja, fast: «The Guardians of the Galaxy save the galaxy, I save people money.» Der Hollywood-Glanz sorgt für die Extraportion Strahlkraft. So etwas zeigst du Frau, Mann, Kind, Eltern, Freunden, Büro-Gspänli, deinen Kindern, die Kinder ihren Freunden, ebendiese Freunde wiederum ihren Freunden.
Humor. «Expect great savings - and a whole lot more!» Wer transportiert diese Message am besten, am authentischsten? Genau, zwei wortkarge Cowboys. Den gesprochenen Text könnte zwar ein geradeeben eingeschultes Kind im Nu auswendig lernen und souverän wiedergeben. Und doch ist der karge Dialog verflixt witzig - und der heimliche Star sind… Gürtelschnallen.
Branchenunabhängig also gilt: Konsumenten überraschen, Versprechen halten und Kunden ernst nehmen. Wissen, dass du zwar einzigartig bist, dein Unternehmen und dein Produkt (fast immer) eines unter vielen. Nimm dich also nicht zu wichtig, Augenzwinkern steht dir gut. Auch gut ist es, wenn du 30 Sekunden nicht überschreitest. «Unser kürzester Werbespot» dauert sogar nicht mal die Hälfte davon: youtu.be/TRzrRBdzjx0.
Link zum Disclaimer
Cyril Schicker war Sportler, PR-Spezialist, Anlageberater, Media Manager, Kolumnist, Chefredaktor, Kinderbuchautor, ist heute Head of Content Management sowie Agentur-Mitinhaber der ADM Communications und freischaffender Musikjournalist.