«Für Anleger heisst es Kurs halten und sich nicht in Market Timing versuchen»

25.04.2019
Herr Masarwah, das erste Quartal ist Geschichte, die Märkte haben sich beruhigt, haben Sie genug Stoff zum Schreiben?
Sie meinen, das plätschert wieder alles so dahin, und ich sitze in meinem Skriptorium und suche händeringend nach etwas Neuem? Nein, es gibt wahnsinnig viel zu schreiben, immer und immer aufs Neue. Auch wenn wir der Meinung sind, dass kurzfristige Marktentwicklungen wenig mehr als «noise» sind, also Lärm, der eher vom Wesentlichen ablenkt, konnte man doch einige Erkenntnisse als Investor aus den Entwicklungen des vergangenen halben Jahres ziehen. Der Stimmungsumschwung in der Wirtschaft und bei den Zentralbanken steht in einem radikalen Kontrast zu der Entwicklung von Risiko-Assets, also Aktien und riskanten Bonds. In den ersten vier Monaten dieses Jahres sind die Kurse nach oben enteilt, und so mancher Beobachter oder Marktteilnehmer, der Ende Dezember noch auf Krise eingestellt war, reibt sich immer noch verwundert die Augen, wie schnell die Kurserholung war.
Was wäre denn die wichtigste Lehre aus der Korrektur im vierten Quartal 2018 und der Erholung in den ersten Monaten dieses Jahres?
Kurs halten und sich nicht in Market Timing versuchen zu üben! Das kostet Geld und keiner weiss, wann die Korrektur ihren Tiefpunkt erreicht hat und die Märkte zur Aufholjagd blasen. Hätten Sie Ende Dezember gedacht, dass die Märkte gerade einmal zwei, drei Monate brauchen würden, um den Einbruch aufzuholen?
Dann sollten Anleger auf ETFs setzen, die immer voll investiert sind?
Das ist für viele Anleger tatsächlich eine gute Empfehlung, aber nicht, weil ETFs Indizes abbilden, sondern weil sie zwei, drei sehr wichtige Eigenschaften haben, die aktiv verwaltete Fonds oft vermissen lassen: sie sind sehr günstig, in der Regel breit diversifiziert, und sie handeln wenig und sind somit strategisch aufgesetzt. Letzteres, also das sehr geringe Trading, bewirkt übrigens tiefe Handelskosten, was wiederum Indexfonds oft sehr viel besser aussehen lässt als aktiv verwaltete Fonds…
Aber?
Ich fühle mich unwohl mit der Pauschalempfehlung, auf Indexfonds zu setzen. Es gibt da draussen gute aktiv verwaltete Fonds mit erfahrenen Managern, die es schon seit Jahren schaffen, ihre Benchmarks zu schlagen. Eben weil sie einige - leider meistens nicht alle - Eigenschaften mitbringen, die ich oben erwähnt habe. Vor allem Value-bewusste Manager, die bei Kursschwächen zuschlagen, könnten einen erheblichen Mehrwert gegenüber adäquaten Benchmarks erzielen. Leider sind diese Fonds oft sehr teuer, was die Anlegerrendite deutlich schmälert, und dann ist oftmals nur die Marktrendite drin. Institutionelle Investoren profitieren von tiefen Gebühren, von denen Privatanleger leider nur träumen können.
Was waren die Absatz-Renner bei den aktiv verwalteten Produkten und bei den ETFs?
Auf Ebene der Kategorien haben Anleger in Europa in diesem Jahr vor allem Risiko-Assets gekauft. Global anlegende Aktienfonds, Emerging-Markets-Aktienfonds und Emerging-Markets-Rentenfonds, Hochzinsfonds. Bei Einzelfonds kann ich den «PIMCO GIS Income Fund» hervorheben, der in den ersten drei Monaten fast sechs Milliarden Euro an Neugeldern eingesammelt hat, aber auch Fonds wie der «AB American Income Portfolio» war sehr erfolgreich. Diese beiden Fonds stehen für einen Fokus auf höher rentierliche Bonds, das spiegelt also die Rückkehr des Risikoappetits der Investoren wider. Bei ETFs und Indexfonds haben einige breit diversifizierte Produkte das Rennen gemacht - auf der Aktienseite waren das ETFs auf den MSCI ACWI; besonders gepunktet haben aber Bond-ETFs, was schon bemerkenswert ist, wenn man sich der Propaganda-Feldzüge aktiver Manager gegen das vermeintlich grosse Risiko auf der Passivseite vergegenwärtigt. Anleger suchen tiefe Gebühren in Zeiten tiefer Renditen. Punkt. Das sollten aktive Manager zum Anlass nehmen, die Gebühren auf der Bondseite zu senken.
Täuscht es, oder gibt es insgesamt zu viele Fonds im DACH-Raum?
Es gibt leider viel zu viele Fonds, da täuscht sich Ihr Gefühl nicht. Vor allem in Deutschland und in Österreich gibt es keinen Konditionenwettbewerb, da existieren viele Nischen, in denen man es sich als Asset Manager bequem machen kann. Fehlt der Wettbewerbsdruck, bleiben die Kosten hoch und viele Manager mit schwachen Leistungen werden nicht mit Geldentzug bestraft. Es fehlt der «Trigger» für eine marktbreite Konsolidierung, die eigentlich nötig wäre.
Wie können sich die grossen Anbieter unterscheiden - mal abgesehen vom Service?
Service ist schon mal eine Menge, gerade dann, wenn man sich auf der Produktseite nicht vom Wettbewerber abheben kann. Das gilt vor allem für ETF-Anbieter, aber eben nicht nur; viele aktive Manager haben nicht den Stein der Weisen gefunden, auch wenn sie es typischerweise behaupten. Aber am Ende des Tages werden leistungsstarke Produkte den Weg zum Kunden finden, insofern würde ich mehr als den Service die Konstanz bei der Bewirtschaftung von Produkten hervorheben. Wer gute Produkte kreiert und diese mit langem Atem und ruhiger Hand managt, wird am Ende von Kunden belohnt.
Link zum Disclaimer
Ali Masarwah ist Mitglied im europäischen Research-Team von Morningstar und als Chefredaktor für die deutschsprachigen Websites von Morningstar verantwortlich. Seit Juni 2015 ist er zudem als Direktor für das Editorial Team von Morningstar EMEA zuständig. Nach seinem Volontariat bei der Wirtschaftsnachrichtenagentur ADX in Berlin fand er recht zügig den Zugang zum Thema Investmentfonds. Im Jahr 2000 wurde er Mitglied der Fondsredaktion bei der Nachrichtenagentur vwd, die er von 2001 bis 2003 leitete. 2003 wechselte Ali Masarwah zur portfolio Verlagsgesellschaft, Frankfurt, wo er zunächst als Chefredaktor das Magazin «portfolio international» übernahm. Von 2006 bis zu seinem Wechsel zu Morningstar im Herbst 2011 hatte er zusätzlich als Redaktionsleiter die journalistische Verantwortung für alle Magazine und Websites des Verlags inne.