«Globale Störfaktoren umschiffen - Chance für aktives Management»

CIO Aktien und Multi-Asset sowie Leiter Investment-Strategie
T. Rowe Price, Baltimore
troweprice.com
20.03.2019
Herr Giroux, die Finanzmärkte haben sich von den scharfen Abverkäufen im vergangenen Dezember erholt. Trotzdem bleiben das Investitionsumfeld und seine Aussichten unberechenbar. Wie beurteilen Sie die Situation?
Das vergangene Jahr war aufgrund von Steuersenkungen und steuerlichen Anreizen durch ein über dem Durchschnitt liegendes Wachstum des Bruttoinlandsprodukts und ein abnormal hohes Ergebniswachstum gekennzeichnet. Zu Beginn des Jahres waren wir uns bewusst, dass 2019 mit einem geringeren Wachstum zu rechnen ist. Aufgrund der Korrektur im Dezember wurden die Bewertungen sehr attraktiv. Der anschliessende Rebound scheint mir aber dann doch etwas zu weit gegangen zu sein, sodass die Bewertungen nun über dem langjährigen Durchschnitt liegen. In der Spätphase eines Wirtschaftszyklus sollten diese niedriger sein. Was sich geändert hat, ist der Kurs der Federal Reserve. Sie ist davon abgekommen, die Zinsen zu erhöhen, was wiederum das Tempo, die Bilanz zu reduzieren, dämpfen sollte.
In Bezug auf Risiken gibt es eine Determinante, die gleichzeitig eine Anlagemöglichkeit bietet - die disruptiven Entwicklungen, die sich gerade über die Wirtschaft ausbreiten. Sie haben diese Faktoren analysiert und bezeichnen sie als säkulares Risiko. Können Sie das näher erklären?
Das ist ein Thema, mit dem ich mich seit 20 Jahren beschäftige. Säkulares Risiko ist das Auftreten einer neuen Wettbewerbskraft. Das kann zum Beispiel ein technologischer Vorteil oder eine Änderung des Kundenverhaltens bzw. regulatorische Veränderungen sein. Diese Kraft ist strukturell und auf Langfristigkeit angelegt. Wir sind der Ansicht, dass Firmen, die von diesen disruptiven Kräften betroffen sind, in den kommenden zehn Jahren ein geringeres Umsatzwachstum, geringere Gewinne pro Aktie und geringere Bewertungsmultiplikatoren erfahren werden als in der Dekade davor. Nach unseren Analysen sind ungefähr 31 Prozent des US-Aktienmarkts von dem säkularen Risiko betroffen und etwa 35 Prozent der Erträge im S&P 500 stammen von Firmen, die säkularem Risiko ausgesetzt sind.
Was sind Beispiele für säkulares Risiko?
Amazon ist wahrscheinlich einer der grössten Faktoren, die säkulare Änderungen bei anderen Firmen bedingen. Dies betrifft insbesondere traditionelle Einkaufszentren, Lebensmittelläden und den direkten Verkauf im Allgemeinen. Mit der Inbetriebnahme von Amazon Web Service (AWS) und seiner Cloud-basierten Plattform ist technische Hardware zudem nun ebenfalls einem erheblichen Druck ausgesetzt. IBM konnte jahrelang zweistellige Wachstumsraten verzeichnen. Das hat sich in den letzten Jahren jedoch geändert, denn IBM wird mit der säkularen Bedrohung Cloud-basierter Dienste konfrontiert. Netflix hat etablierte Kabel-Dienste wie Viacom oder Discovery empfindlich gestört - beide hatten gute Business-Modelle, sind aber nun unter Druck geraten. Technologische Fortschritte bei der Bohrung nach fossilen Rohstoffen haben grosse Offshore-Bohrfirmen, wie Exxon oder Chevron, aus dem Gleichgewicht gebracht.
Welche Industrien sind vom säkularen Risiko ausgeschlossen oder profitieren davon?
Dienst- und Stromanbieter sind aufgrund des Wachstums der Branche für erneuerbare Energien einer der Profiteure. Es sei denn, Amazon, Google oder Netflix beginnen mit dem Bau von Flugzeugmotoren oder Kampfjets. Industrieunternehmen sowie Hersteller von Rüstungsgütern sind dem Risiko ebenfalls weniger ausgesetzt. Die 70 Prozent der Firmen, die dem säkularen Risiko nicht ausgesetzt sind, werden über die Zeit einen Anstieg ihrer Bewertungsmultiplikatoren beobachten können.
Was bedeutet das säkulare Risiko für die Märkte und Investoren?
Die Anzahl an attraktiven Industrien geht zurück. Somit ist das geschickte Umschiffen des säkularen Risikos entscheidend für den Erfolg eines Investments. Sich auf das traditionelle Verfahren der Rückkehr zum Mittelwert (Mean Reversion) verlassen zu können, ist jetzt schwieriger geworden als in der Vergangenheit. Firmen, die früher aufgrund ihres zyklischen Business oder einem Marktanteilsverlust unter Problemen litten, schafften den Turnaround mit einem neuen Management oder Aktienrückkäufen. Ist die Firma aber einem säkularen Risiko ausgesetzt, dürfte dies grosse Herausforderungen mit sich bringen. Es ist sicherlich nicht einfach vorherzusehen, ob sich Firmen wie Viacom, Discovery oder General Mills erfolgreich neu aufstellen und so einen Weg aus den säkularen Herausforderungen finden.
Es ist wichtig, Unternehmen zu identifizieren, die säkular herausgefordert sind, da deren Erträge sinken können, während die Bewertungsmultiplikatoren stark zurückgehen. Folglich erzeugt das Aufkommen säkularer Risiken einen starken Rückenwind für aktive Investitionen. Für passive Investoren stellt es eine grosse Herausforderung für die nächsten fünf bis zehn Jahre dar. Es zeigt aber auch, dass ein langfristiger Investmentansatz über einen Zeithorizont von drei bis fünf Jahren wichtig ist. Wir versuchen, dieses Risiko durch ein geringes Engagement oder eine strukturelle Untergewichtung in Firmen, die von säkularen Risiken tangiert sind, zu mindern.
Link zum Disclaimer
David Giroux, Co-Head des Vermögensallokationsausschusses und Portfoliomanager im Bereich Aktien bei T. Rowe Price, verfügt über eine 20-jährige Erfahrung in der Finanzindustrie und arbeitete bis dato immer bei T. Rowe Price, wo er seine Karriere 1998 begann. Zunächst hatte er bis 2006 die analytische Verantwortung für die Investments der Firma in Industrie- und Bau-Produkte, so wie im Automobil-Bereich. Aktuell ist er für das Management der Kapitalbewertungsstrategie von T. Rowe Price zuständig.