«Gute Neuigkeiten für Healthcare-Anleger»

Leiter Healthcare Funds & Mandates
Bellevue Asset Management AG, Küsnacht ZH
bellevue.ch
19.08.2016
Herr Dr. Zimmermann, im laufenden Jahr konnte der Healthcare-Markt die Anleger noch nicht überzeugen. Wie beurteilen Sie die Situation?
Man muss zwischen den verschiedenen Subsektoren unterscheiden. Während sich die Biotech- und die Generikabranche auf langjährigen Tiefstwerten befinden, haben sich der Medtech- und medizinische Dienstleistungssektor sowie die Pharmagesellschaften gut gehalten. Alle fünf Subsektoren sind in den USA relativ zum S&P 500 Index attraktiv bewertet. Für Anleger bedeutet dies gute Einstiegszeitpunkte.
Weshalb soll ein Anleger in einen Healthcare Fonds investieren und nicht einfach in einen möglichst breiten globalen Aktienindex?
Dafür gibt es eine Reihe von Gründen wie die überdurchschnittliche Wachstumsrate des Sektors aufgrund der weltweit steigenden Lebenserwartung und der Veränderung des Lebensstils. Aber auch die Innovationskraft verleiht beispielsweise Biotech- oder Medtech-Firmen enormes Ertragspotenzial. Wir sehen viele Vermögensverwalter und Family Offices, die den Gesundheitsbereich nicht auf der Basis der Marktkapitalisierung abdecken möchten. Auch institutionelle Kunden wie Versicherungen, Krankenkassen oder Pensionskassen gehören dazu, wobei für Letztere der Sektor aufgrund der steigenden Lebenserwartung ein operatives Hedging-Instrument ihrer Bilanz darstellt.
Die USA sind immer noch das Mass aller Dinge im Gesundheitssektor. Welche Entwicklungen sind dort zu beobachten?
Sorgen bezüglich der wirtschaftlichen Auswirkungen des Affordable Care Act (ACA) auf die Gesundheitsbranche läuteten vor rund fünf Jahren eine längere Phase attraktiver Einstiegschancen im US-Gesundheitssektor ein. Dieser Trend hielt bis vergangenen Herbst an, als im Zuge der Präsidentschaftsvorwahlen Debatten über Preiskontrollen, die mögliche Einführung eines Single-Payer-Systems oder auch die vollständige Aufhebung des ACA angestossen wurden. Die Börse reagierte negativ auf die vielstimmige und häufig widersprüchliche politische Diskussion; konfrontiert mit einer drohenden Zinswende und einer US-Wirtschaft, die Fahrt aufzunehmen schien, entschieden sich die Anleger für Gewinnmitnahmen und deutlich risikoärmere Investments. Janet Yellen beliess dann die Zinsen doch auf niedrigem Niveau, während als Folge des Brexit auch die ökonomischen Unsicherheiten weiter virulent bleiben.
Welche Schlüsse ziehen Sie daraus?
Für Healthcare-Anleger sind dies gute Neuigkeiten, da die Ertragslage der Branche 2017 besser auszufallen scheint, als dies prognostiziert worden war. Die Erwartungen für die kommenden Jahre, sowohl was die relative Bewertung gegenüber dem S&P 500 als auch das im historischen Vergleich niedrige KVG- und KVG-Wachstums-Verhältnis (PEG-Ratio) angeht, sind daher ausgesprochen positiv. Dies gilt insbesondere für den Biotech-, Generika- und medizinischen Dienstleistungssektor. Günstige relative Wachstumsaussichten und eine hohe Cashflow-Generierung lassen auch den Medizintechniksektor weiter attraktiv erscheinen, obwohl er sich im Jahresverlauf bisher am besten entwickelte.
Die Debatte über den Gesundheitssektor wird vom laufenden Wahlkampf überschattet. Wie ist hier der Stand der Dinge?
Die öffentliche Debatte über die Gesundheitspolitik in den USA wird bis zu den Wahlen im November an- und abschwellen, ebenso die Volatilität der Gesundheitsaktien. Für Investoren ergeben sich daraus interessante Investmentchancen. Ich bin überzeugt davon, dass Anleger das tägliche «Hintergrundrauschen» der politischen Diskussion ausblenden und realisieren sollten, dass die Gesundheitsbranche ein Teil der Lösung ist, nicht etwa das Problem. Folgende Gründe sprechen für einen attraktiven Einstiegszeitpunkt: (1) Der Ausgang der Präsidentschaftswahl ist derzeit völlig offen. Unabhängig davon, wer das Rennen macht, dürften die Republikaner zwar einige Sitze einbüssen, ihre Mehrheit im Repräsentantenhaus und im Senat jedoch behaupten. Mit schnellen Gesetzesänderungen ist daher nicht zu rechnen. (2) Der effektivste Weg zur Kappung der enormen Kosten im Gesundheitswesen dürfte vermutlich über die US-Bundesstaaten führen. Die in Massachusetts, New York und Kalifornien ergriffenen Massnahmen legen nahe, dass sich die Kostenexplosion auf diese Weise am ehesten in den Griff bekommen lässt. (3) Wenn sich diese Einschätzung als korrekt erweist, könnten Innovation und Konsolidierung die heissesten Investmentthemen für die Zukunft werden.
Weshalb ist eine Reform des Gesundheitssektors unvermeidbar?
Die USA geben über 17 Prozent des Bruttoinlandprodukts für die Gesundheit ihrer Bürger aus - mehr als jede andere Industrienation. Mit 11,5 Prozent steht die Schweiz zwar an zweiter Stelle, allerdings bei einem Pro-Kopf-BIP, das um 60 Prozent über demjenigen der Vereinigten Staaten liegt. Gesundheitsausgaben in dieser Höhe sind daher eindeutig zu hoch, sowohl für die US-Wirtschaft als auch für den Bundeshaushalt. Obamas ACA sollte auch den weniger wohlhabenden Amerikanern den Zugang zu Gesundheitsleistungen öffnen und gleichzeitig den Kostenanstieg deckeln. Leider leistete die Reform weder das eine noch das andere. Vielmehr bürdete sie der Mittelschicht eine enorme Steuerlast auf und dürfte somit einer der Gründe für die Konsumzurückhaltung gewesen sein, die die wirtschaftliche Erholung der USA in den vergangenen sechs Jahren verlangsamte. Natürlich sollte «Obamacare» nicht grundsätzlich verdammt werden. So sind heute deutlich mehr US-Amerikaner krankenversichert, und einige Ungerechtigkeiten des früheren Systems wie beispielsweise die Verweigerung des Versicherungsschutzes bei Vorerkrankungen wurden abgeschafft. Damit ist die Reform aber noch nicht am Ziel. In der Bevölkerung ist sie nach wie vor äusserst unbeliebt, und es besteht immer noch die Möglichkeit, dass der Kongress durch die Streichung von Bundesmitteln den Geldhahn zudreht. Auch dies wäre selbstverständlich keine Lösung. Die Analyse der von Clinton und Trump vertretenen Positionen zur Gesundheitsreform offenbart allerdings wenig substanzielle Lösungsansätze für das eigentliche Problem: die Höhe und die dramatische Steigerung der Gesundheitskosten.
Zeichnet sich eine Lösung ab bzw. gibt es praktikable Ansätze?
Bei der Eindämmung der Kosten für die staatliche Gesundheitsversorgung (Medicaid) machen drei Bundesstaaten von sich reden: Kalifornien, New York und Massachusetts. In Massachusetts wurde vor drei Jahren ein äussert erfolgreiches Pilotprogramm gestartet, das die Ausgaben eindämmen und die Versorgungsqualität erhöhen soll. Das Programm war so erfolgreich, dass es nach nur drei Jahren abgeschlossen werden konnte. Diese Massnahmen könnten einen gangbaren Weg für eine landesweite Reform in den kommenden Jahren aufzeigen. Eine neue Kultur des Healthcare-Managements ist der Schlüssel für die Bekämpfung der Kosten und Ineffizienzen, unter denen das Gesundheitswesen leidet. Anstelle einer rein kurativen Medizin muss sehr viel mehr Wert auf Prävention gelegt werden. In enger Zusammenarbeit mit Versicherungsunternehmen schaffen die Kliniken finanzielle Anreize, um die Versicherten zu einem konstruktiven Verhalten anzuregen.
Spielt der US-Markt eine wichtige Rolle im BB Adamant Global Healthcare Index Fonds?
Der Fonds bildet unseren BB Adamant Gesundheitsindex ab, der weltweit halbjährlich die besten 40 Titel aufgrund von vier qualitativen und vier quantitativen Parametern einbindet. Im Gegensatz zum MSCI World Index gehen wir bei unserem Index nicht von Marktkapitalisierungen aus, sondern versuchen die attraktivsten Gesundheitsfirmen aufgeteilt nach vier Regionen einzubinden. Dabei wird die Region mit der höchsten Punktzahl mit 35 Prozent gewichtet - gegenwärtig ist dies Nordamerika. Mit diesem Ansatz konnten wir über neun Jahre den MSCI World Aktienindex um 180 Prozent und den MSCI Health Care Index um 100 Prozent outperformen.
Dr. Cyrill Zimmerman ist Leiter Healthcare Funds & Mandates sowie Mitglied der Geschäftsleitung von Bellevue Asset Management. 2001 gründete er Adamant Biomedical Investments und leitete die Investmentboutique bis zur Übernahme durch Bellevue im 2014. Cyrill Zimmermann promovierte an der Universität Zürich.