Halbzeit - wo steht die Fondsindustrie und was bringt die zweite Jahreshälfte?

07.07.2017
Herr Glow, die erste Jahreshälfte ist Geschichte. Was kommt Ihnen spontan in den Sinn?
2017 scheint ein sehr gutes Jahr für die europäische Fondsindustrie zu werden. Allein in den ersten fünf Monaten des Jahres haben die Anleger mehr als 338 Mrd. Euro in Investmentfonds investiert. Mit diesen Mittelzuflüssen liegt die europäische Fondsindustrie schon nach fünf Monaten nahe an den Rekordwerten der Jahre 2014 und 2015. Mit anderen Worten könnte man auch sagen, das 2017 bis dato alle Voraussetzungen erfüllt um zu einem Rekordjahr für die europäische Fondsindustrie zu werden, dies natürlich unter der Prämisse, dass es nicht aus irgendwelchen Gründen zu massiven Änderungen im Anlegerverhalten kommt.
Welche Gründe könnten dies sein?
Gründe für ein sich plötzlich änderndes Anlegerverhalten können sehr vielfältig sein. Aus meiner Sicht sind die Hauptrisiken ein massiver Markteinbruch oder ein unvorhergesehenes Ereignis in der Politik. Gerade im Bereich der Weltpolitik wird vieles zunehmend unberechenbarer und brisanter, was sich in der Berichterstattung oftmals so nicht widerspiegelt.
Wie sind Ihre Erwartungen für die kommenden sechs Monate?
Ich glaube, dass der steigende Trend an den Börsen anhalten wird. Gleichzeitig erwarte ich aber auch einige kleinere Korrekturen, wie zum Beispiel in den vergangenen Tagen, wo der DAX innerhalb von einer Handelswoche etwas mehr als drei Prozent verloren hat. Solche Rücksetzer sind normal und können gerade in den umsatzschwachen Sommermonaten immer wieder auftreten. Insgesamt ist mein Bild für Aktien aber positiv und dieser Trend sollte dann in der Folge auch zu weiteren Mittelzuflüssen in Investmentfonds führen.
Welche Auswirkungen haben eigentlich die ultratiefen Zinsen auf die Fondsindustrie?
Ich sehe da nur wenig direkte Auswirkungen auf die Fondsindustrie, da die Fondsanbieter Dienstleister und Treuhänder für die Investoren sind. Der einzige Bereich, der aus meiner Sicht im Bezug auf das Niedrigzinsumfeld unter Druck geraten ist, beziehungsweise unter Druck hätte geraten müssen, sind die Gebühren bei Anleihefonds, denn mit den gefallenen Renditen wird es für die Fondsmanager immer schwieriger die jährlichen Gebühren, die für die Verwaltung ihrer Fonds anfallen, zu erwirtschaften und zudem noch Geld für den Kunden zu verdienen. Hier haben die Fondsanbieter meiner Ansicht nach falsch reagiert.
Haben die Kunden denn reagiert?
Aus meiner Sicht schon. Denn auch wenn es viele andere Gründe gibt, warum die Anleger Anleihe-ETFs kaufen, sind die deutlich niedrigeren Gebühren sicherlich auch ein Grund warum wir im Moment eine so hohe Nachfrage nach ETFs auf festverzinsliche Wertpapiere sehen.
Sie gelten als einer der besten Kenner der europäischen Fondslandschaft. Was wäre für Sie eine wirklich grosse Überraschung in der näheren Zukunft?
In einem normalen Umfeld würden mich nicht viele Szenarien überraschen, so habe ich schon vor einiger Zeit gesagt, dass es in der europäischen Asset-Management-Industrie zu einer Konsolidierung kommen wird/muss. Daher waren die Übernahmen der letzten sechs Monate keine Überraschung für mich. Ebenso hatte ich schon seit längerem Veränderungen in der ETF-Landschaft vorhergesagt, die jetzt langsam tatsächlich stattfinden, von daher sehe ich auch da im Moment keine grossen Überraschungen. Was mich im ersten Halbjahr wirklich überrascht hat, war die Einigung der Europäischen Kommission auf die Einführung eines europäischen Altersvorsorgeprodukts PEPP (Pan-Europaen Personal Pension Product). Auch im zweiten Halbjahr hat die Politik für mich das grösste Überraschungspotenzial. Für mich wäre es eine echte Überraschung, wenn die Politik in der Lage wäre, bis zum Ende des Jahres die Rahmenbedingungen für die Fondsbranche nach dem Brexit zu definieren.
Detlef Glow, MBA (UoW), begann im Jahr 2005 als Leiter der Fondsanalyse für Deutschland und Österreich bei Thomson Reuters Lipper. Anfang 2007 übernahm er die Leitung für die Regionen Zentral-, Nord- und Osteuropa. Seit Oktober 2010 ist Detlef Glow Leiter der Fondsanalyse von Lipper in Europa, dem Mittleren Osten und Afrika (EMEA). Zuvor war er als Direktor Portfoliomanagement bei der Feri Wealth Management GmbH in Bad Homburg als Portfoliomanager für vermögende Privatkunden tätig. Seine Karriere begann Glow neun Jahre zuvor bei der tecis Holding AG in Hamburg, wo er zuletzt als Leiter der Fondsanalyse sowohl für das quantitative als auch das qualitative Fondsresearch der tecis Asset Management AG verantwortlich war.