Healthcare: 2017 war ein Schlüsseljahr für Gentherapien

Leiter Healthcare Funds & Mandates
Bellevue Asset Management AG, Küsnacht ZH
bellevue.ch
23.02.2018
Herr Dr. Zimmermann, was Produktzulassungen angeht, war 2017 für die Gentherapien ein Schlüsseljahr. Etliche Firmen haben Zulassungen für Gentherapien erhalten oder stehen vor entscheidenden klinischen Etappen. Was ist die Geschichte hinter Gentherapien?
Die medizinischen Fortschritte bei Gentherapien haben sich über Jahrzehnte weitgehend unter dem Radar der öffentlichen Wahrnehmung vollzogen. Als Ausgangspunkt für die Gentherapieansätze ist ein Schritt im Jahr 1972 zu sehen. Damals scheiterte der Versuch, zwei Patientinnen mit Hyperargininämie, einer erblich bedingten Störung des Harnstoffzyklus, durch die Gabe von Papillomaviren zu behandeln. Auch in den Folgejahren blieb der Ansatz klinisch erfolglos. Es folgten weitere Rückschläge wie 1999 mit dem Tod eines Patienten. Zwar wurde 2012 mit Glybera von Uniqure in Europa die erste Gentherapie gegen eine erblich bedingte Stoffwechselstörung zugelassen. Weil Glybera aber kommerziell nicht erfolgreich war, hat Uniqure im Oktober 2017 keine Verlängerung der EU-Zulassung beantragt.
Doch jetzt hat sich die Situation geändert?
2017 haben einige Medikamente, die das Potenzial für jährliche Milliardenumsätze mitbringen, den Durchbruch zur Marktreife geschafft. Den Anfang machte Novartis im August mit der Zulassung von Kymriah. Dieses Präparat wirkt gegen Formen der akuten lymphatischen Leukämie und ist die erste in den USA zugelassene Gentherapie. Dabei handelt es sich um eine CAR-T-Therapie, die Elemente der Zelltherapie, Gentherapie und Immuntherapie in sich vereint. Dabei werden aus dem Blut von Patienten entnommene Immunzellen gentechnisch so verändert, dass sie spezifische Tumorantigene erkennen und so die Krebszellen zerstören. Diese Antigene sind Proteinteile, die ein Abbild der in den Zellen hergestellten Proteine darstellen. Erfolgsentscheidend ist, dass die T-Zellen an diesen Antigenen andocken. Meist werden Retroviren als Genfähren genutzt, damit die chimären Antigenrezeptoren (CARs) im Erbgut der T-Zellen verankert und produziert werden können.
Gilead Sciences setzte im Oktober das zweite Highlight und meldete im Oktober kurz nach der abgeschlossenen Übernahme von Kite Pharma die US-Zulassung für Yescarta. Diese ebenfalls auf der Basis der CAR-T-Technologie von Kite entwickelte Arznei kommt gegen Formen des Non-Hodgkin-Lymphoms zum Einsatz. Anders als herkömmliche Behandlungsformen gegen Leukämie verlängern CART-T-Arzneien nicht nur das sogenannte progressionsfreie Überleben, sondern führten in den klinischen Studien bei der Mehrheit der Patienten vermutlich zu einer völligen Heilung, da der Krebs nicht mehr nachweisbar war und bisher nicht mehr auftrat.
Was können wir in Zukunft an neuen Gentherapien erwarten?
An der Jahreskonferenz der «American Society for Hematology (ASH)» im letzten Dezember war CAR-T Gesprächsthema Nummer eins. Zu den Höhepunkten zählten die klinischen Ergebnisse, die Bluebird Biotech präsentierte. Das zusammen mit Celgene entwickelte Präparat bb2121 zeigte in der klinischen Phase I bei 94 Prozent der Patienten mit multiplem Myelom eine noch nie beobachtete Wirkung. Dass bb2121 das Potenzial hat, eine neue Qualität unter den CAR-T-Krebstherapien zu entfalten, verdeutlicht auch die Tatsache, dass sich der Anteil der Patienten mit einem vollständigen Tumorrückgang seit dem Fachkongress der ASCO im Juni von 27 Prozent auf 56 Prozent deutlich erhöht hat. Bereits 2018 will Partner Celgene eine klinische Studie starten, die zulassungsrelevante Ergebnisse liefern soll. Das multiple Myelom ist die zweithäufigste Form von Blutkrebs und galt bisher als unheilbar.
In den kommenden Jahren wird eine neue Generation von CAR-T-Therapien klinische Wirksamkeitsdaten präsentieren. Diese Kandidaten können auf die Erfahrungen mit den jetzt zugelassenen CAR-T-Produkten aufbauen und in Zukunft das Risiko von Nebenwirkungen verringern. Zu diesen Risiken zählen die als Reaktion auf die Behandlung auftretenden lebensbedrohlichen Überreaktionen des Immunsystems. Aus diesem Grund werden zellbasierte Krebstherapien vorerst auf einen Patientenkreis limitiert bleiben, bei dem herkömmliche Medikamente nicht mehr anschlagen. Dazu kommt der Kostenfaktor: Die Produktion und Verabreichung der Substanzen ist mit einem hohen Aufwand verbunden. Dementsprechend hoch sind die Behandlungskosten. So verlangt Novartis für die Infusion von Kymriah 475’000 US-Dollar, eine Behandlung mit Yescarta kostet 373’000 US-Dollar.
Gibt es weitere Krankheitsfelder, in denen Gentherapien zum Einsatz kommen könnten und wo Produkte vor der Zulassung stehen?
Die Behandlung von Bluterkrankheiten (Hämophilie) ist sicher interessant. Nach Schätzungen der «World Federation of Hemophilia» sind weltweit 150’000 Personen von Hämophilie A und etwa 30’000 Menschen von Hämophilie B betroffen. Auf der ASH-Konferenz 2017 zogen die klinischen Daten von Spark Therapeutics und Biomarin die grösste Aufmerksamkeit auf sich. Spark hat sein Gentherapie-Produkt gegen Hämophilie A bereits an Pfizer verpartnert. Weil nach Auffassung der Konferenzteilnehmer Biomarin mit seinen Daten den besseren Ansatz für Hämophilie A lieferte, geriet die Aktie von Spark während der Konferenz in Kursturbulenzen.
Allerdings legte Spark noch im Dezember mit der US-Zulassung für ein anderes Gentherapieprodukt nach. Luxturna wurde als Gentherapie zur Behandlung von genetisch bedingter Netzhautdystrophie bei Patienten mit einer bestimmten Genmutation zugelassen. Rund 2’000 Personen sind in den USA von dieser Krankheit betroffen. Luxturna wird einmal per Injektion verabreicht und soll bis zu 90 Prozent der Sehfähigkeit wiederherstellen. Trotz des limitierten Patientenkreises hat das Produkt Blockbusterpotenzial, weil Experten davon ausgehen, dass Spark aufgrund des Heilungserfolgs einen Preis von bis zu 1 Mio. US-Dollar pro Patient festsetzen könnte.
Dass sich mit genetischen Therapieansätzen hohe Preise erzielen lassen, beweist auch die Antisense-Technologie, eine natürliche Möglichkeit der Genregulation für die Proteinbiosynthese. Mit Spinraza von Biogen/Ionis gegen spinale Muskelatrophie ist ein potenzieller Blockbuster auf dem Markt: Im 3. Quartal 2017, also neun Monate nach der Zulassung, ist der Umsatz auf 270.9 Mio. US-Dollar gewachsen. Von den US-Biotech-Firmen Alnylam und Ionis befinden sich weitere Produkte in der fortgeschrittenen klinischen Entwicklung.
Dr. Cyrill Zimmerman ist Leiter Healthcare Funds & Mandates sowie Mitglied der Geschäftsleitung von Bellevue Asset Management. 2001 gründete er Adamant Biomedical Investments und leitete die Investmentboutique bis zur Übernahme durch Bellevue in 2014. Cyrill Zimmermann promovierte an der Universität Zürich.