«Ich bin optimistisch für Europa, aber es gibt regionale Unterschiede»

10.01.2016
Herr Nossek, die Märkte sind verschnupft ins neue Jahr gestartet. Was sind Ihre Erwartungen an das neue Börsenjahr - speziell für den deutschen Aktienmarkt?
Ich rechne mit einer guten Entwicklung deutscher Aktien im neuen Jahr, da sich die europäische Wirtschaft getrieben von einer starken Konsumnachfrage erholt und sich die Kreditbedingungen für Deutschlands Handelspartner im Herzen und in der Peripherie Europas verbessern. Parallel zu anderen europäischen Aktienmärkten sollte Deutschland positiv performen, ohne allerdings Märkte wie Spanien oder Italien mit ihrem Schwergewicht im Finanzbereich zu schlagen. Hingegen sehe ich für Deutschland Vorteile gegenüber dem französischen und dem britischen Markt. Die französische Industrie wird durch politische Diskussionen beeinflusst, während Grossbritanniens Ausrichtung im Energie- und Rohstoffbereich bremsend wirkt.
Der ausgeschöpfte Stimulus der EZB erlaubt bloss begrenztes Potenzial für eine Rally. Doch solide Bilanzen und solide Bewertungen werden den DAX dabei unterstützen, potenziell neue Höhen zu erreichen. Das gleiche gilt für Mid und Small Caps - vor allem für den Tech-Bereich.
Worauf basiert Ihr Optimismus für Deutschland?
Wir gehen davon aus, dass die zuversichtliche Stimmung anhalten wird. Dazu kommt die tiefe Inflation, die gesunden Staatsfinanzen und das Quantitative Easing, die langfristige Langzeitrenditen tiefer halten und kurzfristige Staatsanleihen-Renditen weiter in den negativen Bereich drücken. Abgesehen vom Risiko, dass China in eine unkontrollierte wirtschaftliche Schwächephase fallen könnte mit potenziell negativen Folgen für zyklische Aktienmärkte wie in Deutschland, ist unsere Erwartung für deutsche Aktien und Anleihen moderat bullisch.
Wie gestaltet sich die jüngste Entwicklung in den USA und inwiefern wirkt sie sich auf Europa aus?
Im Unterschied zu europäischen Aktien, die durch das Quantitative-Easing-Umfeld begünstigt werden, sind die Aktienkurse in den USA stärker von schwächer werdenden Unternehmenszahlen betroffen. Der Ausblick in Bezug auf Aktienrenditen präsentiert sich eher schwach, wenn auch immer noch positiv. Wir rechnen mit höheren Finanzierungskosten. Aktien von Banken und Small Caps bilden die Bereiche, in denen Investoren am besten vor steigenden Zinsen und einer steiler werdenden Zinskurve geschützt sind. Technologie-Aktien werden aufgrund des niedrigen Leverage besser abschneiden als der breite Markt und den Aktien-Investoren den besten Schutz vor den Massnahmen der Fed bieten.
Auch von den Emerging Markets kommen nicht gerade positive Signale…
Ja, der Druck auf die Emerging Markets kommt von zwei Seiten. Einerseits zwingt der Preisdruck bei Rohstoffen die Produzenten von Energie und Basismetallen zur Restrukturierung und Drosselung der Produktion, um Kapazitätsexzesse zu unterbinden. Gleichzeitig enttäuschen ihre Gewinne die Investoren und dämpfen die Aussichten breiter Aktienindizes. Andererseits hat sich die Fähigkeit der Unternehmen zur Refinanzierung im Jahr 2016 deutlich verschlechtert, da die steigenden US-Zinsen vielen zusetzen. Darüber hinaus werden die Unternehmen mit einer schwächelnden lokalen Währung gegenüber dem US- Dollar konfrontiert. Angesichts eines US-Dollar-Anteils von 80 Prozent der Verschuldung werden es Unternehmen aus Lateinamerika, Osteuropa und Südostasien schwer haben. Die Stimmung ist in staatlich geführten Unternehmen besser, vor allem bei Banken und Rohstoffimporteuren wie Südkorea, Taiwan und Indien, wo Aktienmärkte mehr von Tech-Unternehmen und Dienstleistern geprägt sind.
Kommen wir auf ein anderes Thema zu sprechen. WisdomTree ist einer der führenden Anbieter im Bereich Smart-Beta-Produkte. Welches Potenzial attestieren Sie diesen Produkten in Europa?
Der Wachstumstrend wird sich fortsetzen, denn Investoren schätzen sowohl die potenziellen Erträge von Smart-Beta-Produkten wie auch die Effizienz der ETFs. Diese sind ja sehr liquide und können zu jeder Zeit transparent, kostengünstig und auch mit minimalen Investments gehandelt werden. Smart-Beta-Strategien haben das Potenzial, den Markt zu übertreffen oder bessere risikobereinigte Renditen zu schaffen. Diese Vorteile werden Investoren auf der Suche nach Low-Cost-Portfolios überzeugen.
Welche Tendenzen zeichnen sich für Smart-Beta-Produkte aktuell ab?
Bisher haben die marktkapitalisierten Beta-Indizes dominiert. Doch die Orientierung an der Marktkapitalisierung stösst immer mehr an ihre Grenzen, da diese Gewichtung mathematisch die überbewerteten Aktien übergewichtet. Daher setzen wir vermehrt auf andere Wege, um einen Index zu gewichten, wie etwa durch Dividenden. Dies ermöglicht bessere, risikobereinigte Renditen mit einem tieferen Beta als die nach Marktkapitalisierung gewichteten Indizes.
Viktor Nossek, Director of Research bei WisdomTree Europe, verfügt über 14 Jahre Markterfahrung und war vormals als Head of Research bei Renaissance Asset Management sowie bei BlackRock tätig.