«Ich freue mich auf den Preiskampf bei Multi Asset ETFs»

08.07.2016
Herr Masarwah, das erste Halbjahr ist um. Was fällt Ihnen dazu zum Schweizer ETF-Markt spontan ein?
Das mag vielleicht komisch klingen, aber ich habe erst jetzt, 16 Jahre nach Einführung von ETFs in Europa, den Eindruck gewonnen, dass ETFs auch wirklich in der Welt der Privatanleger angekommen sind. Bisher war es eine Domäne der institutionellen Investoren.
Woran machen Sie das fest?
Es gibt da keine singuläre Zahl, die ich Ihnen nennen könnte als harten Beweis für meine These. ETFs werden entweder über den anonymen Börsenhandel vertrieben, oder über ebenfalls anonyme OTC Trades. Man kann den Marktanteil der Privatiers also nicht genau bestimmen.
Aber nach den Bundesgerichtsentscheiden von 2006 und 2012 scheinen die Dämme zu brechen: Banken setzen im Wealth Management immer mehr auf Indexfonds statt aktiv verwaltete Fonds. Das sehen wir überaus deutlich aus unseren Fund Flow Daten zum europäischen Markt. Bezieht man also die nicht-börsenkotierten Indexfonds in die Gleichung ein, dann ergibt sich das Bild eines sehr weitreichenden Wandels im Privatkundenvertrieb. Inzwischen dominieren Indexfonds in manchen Fonds-Kategorien ihre aktiven Pendants, zum Beispiel befinden sich inzwischen europaweit fast 60 Prozent aller Assets in der Kategorie «Aktien Schweiz Standardwerte» in ETFs und anderen Indexfonds. Schweizer Investoren sind da noch stärker repräsentiert. Im B2C-Retailvertrieb fällt das Bild dagegen verhalten aus. In der Schweiz mangelt es noch an günstigen ETF-Sparplänen im Retail-Vertrieb. Da ist man in Deutschland viel weiter, Gratis-Sparpläne gibt es dort für Endanleger in auskömmlicher Zahl bei nahezu jeder Direktbank.
Kommen wir zum Thema Smart Beta…
Sie haben Recht, natürlich darf der Hype um so genannte Smart Beta ETFs in einer Halbjahresbilanz nicht fehlen, wobei ich das Thema nicht uneingeschränkt positiv sehe. Ich habe das Gefühl, da entwickelt sich ein Hype fast schon zu einer Hysterie! Ich war erst vor wenigen Wochen auf einer ETF-Konferenz und habe dort nicht weniger als sechs Slots gezählt, in denen Anbieter mehr oder weniger identische Sales Pitches zu Smart Beta geliefert haben. Das Ganze droht zu einem selbstreferentiellen Monolog der Industrie auszuarten. Erinnern wir uns doch bitte einmal, dass Strategic Beta ETFs, so nennen wir die Produkte bei Morningstar, einen Marktanteil von gerade einmal etwas über sieben Prozent am europäischen ETF-Markt haben.
Die Industrie setzt also immer mehr auf diese komplexeren Produkte.
Ja, das ist das Eine, aber zunächst möchte ich auf die fast schon absurde Dimension der Diskussion hinweisen. ETF-Anbieter begleiten die Markteinführung von Smart-Beta-Produkten in der Regel mit einem Negativ-Marketing für ETFs! Bevor die Smart-Beta-Lösung aus dem Hut gezaubert wird, hebt man hervor, wie ineffizient kapitalisierungsgewichtete Indizes sind, weil sie in der einen oder anderen Form eine Unwucht und somit Risiken für Investoren aufwiesen. Das sind aber die Indizes, denen über 90 Prozent der ETF-Assets in Europa folgen - herzlichen Glückwunsch! Haben ETF-Anbieter also wissentlich ein massives Misselling betrieben, als sie ETFs auf DAX, SMI, MSCI World und Co. auf den Markt gebracht haben?
Spielt die ETF-Branche mit Blick auf Smart Beta mit dem Feuer?
Ich würde sagen: ja. Sie riskiert zum einen eine Kannibalisierung ihrer Plain Vanilla ETFs. Zum anderen begibt sich die ETF-Industrie in gefährliches Fahrwasser, wenn sie im Wochentakt Strategic-Beta-Produkte auflegt. Sind das alles Outperformer? Ich habe da meine Zweifel. Es wäre an der Zeit, dass sich die Verantwortlichen stärker als bisher überlegen, wie sie stringente Portfolio-Lösungen auf Strategic-Beta-Basis anbieten, statt den Markt mit einzelnen Strategien zu fluten, die jeder Anbieter zudem unterschiedlich definiert. Wie wirken solche Produkte im Portfolio-Kontext? Wie lässt sich das Timing-Problem lösen, das mit diesen Produkten aufgeworfen wird? Das wird mir noch viel zu selten und unsystematisch diskutiert.
Vielleicht wird es eine stärkere Koordination der Anbieter geben mit Blick auf Strategic Beta?
Das glaube ich nicht. Das verbietet sich sogar aus Sicht der Anbieter. Denn käme es zu einer Vereinheitlichung von Standards, dann würden ja aus den bisher genuinen Ansätze der einzelnen Anbieter austauschbare Produkte, so, wie es die ETFs auf Plain-Vanilla-Indizes heute schon sind. Und dann wäre das Pricing Power perdu. Käme es zu einer allgemeingültigen Definition von, sagen wir Value-, Growth- oder Momentum-Faktoren, dann gerieten im Nu die hohen Margen dieser Produkte unter Druck, so, wie das bei den 20 plus ETFs auf den Euro STOXX 50 geschehen ist.
Aber es werden nicht alle diese ETFs schlecht sein, welches neue Produkt würden Sie hervorheben?
Leider kann ich nicht mit einer Empfehlung von Strategic-Beta-Produkten dienen, denn dafür haben die Produkte keine ausreichende Historie, und sie sind zudem auch sehr speziell, weil sie für bestimmte Phasen bestimmt sind. «Value» ist mit Sicherheit langfristig eine gute Strategie, aber die vergangenen sieben, acht Jahre haben gezeigt, dass Investoren unter Umständen sehr lange warten müssen, bis sich so ein Investment amortisiert.
Aber eine Entwicklung begrüsse ich ausdrücklich: Es kommen immer mehr Multi-Asset-Produkte, die ETFs einsetzen und die wegen der Kombination aus breiter Streuung, relativ niedrigen Kosten und dem antizyklischen Rebalancing den ETF-Grundgedanken recht gut transportieren. Ich bin mir sicher, dass sich dieser Trend verstärken wird. Das wird wiederum zu einem für Anleger sehr willkommenen Konditionen-Wettbewerb führen. Dann werden wir nicht mehr über Gebühren von 70, 80 Basispunkten oder mehr sprechen, sondern über 30, 40 Basispunkte. Die Erfahrung hat gezeigt, dass in der ETF-Branche im Gegensatz zur Branche der aktiv verwalteten Fonds der Wettbewerb massiv über den Preis geht. Davon profitieren Endanleger 1:1. Ich freue mich schon jetzt auf den Preiskampf bei Multi Asset ETFs!
Ali Masarwah ist Mitglied im europäischen Research-Team von Morningstar und als Chefredaktor für die deutschsprachigen Webseiten von Morningstar verantwortlich. Seit Juni 2015 ist er zudem als Direktor für das Editorial Team von Morningstar EMEA zuständig. Nach seinem Volontariat bei der Wirtschaftsnachrichtenagentur ADX in Berlin fand er recht zügig den Zugang zum Thema Investmentfonds. Im Jahr 2000 wurde er Mitglied der Fondsredaktion bei der Nachrichtenagentur vwd, die er von 2001 bis 2003 leitete. 2003 wechselte Ali Masarwah zur portfolio Verlagsgesellschaft, Frankfurt, wo er zunächst als Chefredaktor das Magazin «portfolio international» übernahm. Von 2006 bis zu seinem Wechsel zu Morningstar im Herbst 2011 hatte er zusätzlich als Redaktionsleiter die journalistische Verantwortung für alle Magazine und Webseiten des Verlags inne.