«Im Worst-Case wollen wir etwas in den Händen haben»

04.05.2016
Herr Judd, das regulatorische Umfeld hat sich in letzter Zeit stark gewandelt. Was hat sich konkret geändert?
Die Regulatoren haben Banken dazu verpflichtet, ihre Bilanzen zu stärken. Dies geschieht über die Reduzierung oder Eliminierung der risikoreichsten Kreditpositionen oder Geschäftsaktivitäten sowie über eine Neukalkulation des Assetrisikos und über die Erhöhung des Kapitalpuffers.
Als regulierte Rechtsgebilde mussten die Banken schon immer spezielle Kapitalanforderungen erfüllen, um die Kontoinhaber gegen einen Verlust zu schützen und die Stabilität des Finanzsystems zu gewährleisten. Seit der Finanzkrise haben Regulatoren auf der ganzen Welt die Banken dazu angehalten, mehr Kapital zu halten, entweder in Form von Eigenkapital oder als nachrangige Schulden.
Was heisst das in Bezug auf die Kapitalstruktur einer Bank?
Während bereits bestehende nachrangige Schuldtitel im Falle eines Kapitalverlustes nach wie vor gesichert sind, sind alle neuen nachrangigen Schuldverschreibungen «verlustabsorbierend» für die Bank, damit sie zum Kapitalpuffer hinzugerechnet werden können. Sie entfalten ihre Wirkung, sobald ihr Emittent unter Stress gerät. Solche Instrumente wurden unter dem Namen Contingent Convertible Securities oder «Cocos» bekannt.
Was wird zu den Tier-1-Schuldtiteln gezählt und was gab den Ausschlag für den Aufstieg dieser Anlageklasse?
Die Gefahr, die damit verbunden ist, wenn man Schulden dem Tier-1-Kapital hinzufügt, hat sich während der globalen Finanzkrise deutlich offenbart. Die Tatsache, dass die Schulden, die dazu verwendet wurden, nicht verlustabsorbierend waren, hat dazu geführt, dass die Staaten einspringen mussten. Im Lichte dieser extremen Ereignisse im Jahr 2008 sind die Regulatoren zum Schluss gekommen, dass die Tier-1-Ratios der Banken nichts über deren finanzielle Stärke aussagen und haben entschieden, die Regulierung zu verstärken.
Banken dürfen noch immer einen geringen Betrag an Schulden - bis zu 2 Prozent des risikogewichteten Kapitals - ihrem Tier-1-Kapital zuweisen. Aber die Regulatoren beharren nun darauf, dass dieses sogenannte zusätzliche Tier-1-Kapital (AT1) verlustabsorbierend sein muss, damit es zu diesem Zweck verwendet werden kann. Zudem wurden die Banken dazu angehalten, ihre Kapitalbasis weiter auszubauen. Da aber die Kosten für die Banken für diese Eigenfinanzierung rund 11 Prozent betragen, sind viele dazu übergegangen, mehr AT1-Schuldtitel zu emittieren.
Haben die Regulatoren angesichts des Ausverkaufs an den Märkten etwas getan, das hilft?
Auch wenn bereits signifikante Veränderungen passiert sind, wird sich die regulatorische Landschaft noch weiterentwickeln. Zum Beispiel überprüfen die europäischen Behörden im Zuge des Ausverkaufs in AT1-Papieren zu Beginn des Jahres den Ermessensspielraum von solchen Coupons. In anderen Worten: Sollen Anleihebesitzer gleich behandelt werden wie Aktienbesitzer oder sollen AT1-Coupos vor den Dividenden bedient werden? Wir - und der Markt - warten gespannt auf das Ergebnis dieser Überprüfung.
Wie sieht das Anlageuniversum aus?
Bis heute haben rund 40 Banken schätzungsweise 80 AT1-Schuldinstrumente emittiert - genügend, um uns ein gutes Bild über jene zu machen, die wir am meisten mögen. Es gibt eine Anzahl verschiedener Typen von Strukturen und wir bevorzugen jene Papiere mit einer Option zur Umwandlung in Eigenkapital, weil wir im Worst-Case-Szenario dann noch immer etwas in den Händen haben. Viele dieser Instrumente sind jedoch Non-Investment-Grade und somit nicht immer geeignet für unsere Portfolios.
Der Bankensektor macht 5,84 Prozent im Portfolio des Aviva Investors Global High Yield Bond Fund aus. Wo besteht das grösste Potenzial in diesem Sektor?
Wir mögen vor allem Tier-2-Schuldtitel (T2) von solide kapitalisierten, qualitativ hochstehenden Instituten. Auch wenn wir in unserem Portfolio alle Arten von Schuldpapieren berücksichtigen können - von Pfandbriefen und anderen Asset Backed Securities bis zu neueren AT1-Instrumenten - sind wir der Ansicht, dass sich die T2-Papiere, die sich zwischen den vorrangigen Verbindlichkeiten und den T1-Schuldtiteln einreihen, in einem «Sweet Spot» befinden.
Allgemein haben Banken heute signifikant mehr Kapital als vor der Krise. Sie haben damit auch einen viel grösseren Puffer, um Verluste unterhalb der T2-Schulden zu absorbieren. Sie sind aus diesem Grund viel weniger verletzbar gegenüber Stimmungsumschwüngen, wie wir sie Anfang Jahr gesehen haben. Da der regulatorische Wandel dazu führt, dass alle Bankschulden verlustabsorbierend sein können, favorisieren wir insbesondere T2-Schuldtitel, da deren Vorschriften und Bedingungen grundsätzlich unverändert blieben. Im Kontrast dazu haben sich die Geschäftsbedingungen bei AT1- und bei vorrangingen, unbesicherten Schuldverschreibungen in den letzten Jahren stark verkompliziert. Diese zusätzliche Unsicherheit haben diese Arten von Anleihen weniger attraktiv gemacht.
Oliver Judd stiess 2006 zum globalen Vermögensverwalter Aviva Investors und ist dort für die Analyse von Banken und Finanzdienstleistungsunternehmen und die Koordination der gruppenweiten Finanz-Research-Expertise zuständig. Zuvor arbeitete Judd im Investment Banking der HSBC sowie bei Standard & Poor’s und der Bank of England im Bereich Aufsicht und Überwachung. Oliver Judd verfügt über ein Bachelor-Diplom der Betriebswirtschaft der London School of Economics and Political Science.