«Industriemetalle könnten Energierohstoffen den Rang ablaufen»

23.08.2022
Herr Benedix, die hohen Energiepreise sind in aller Munde. Wie schätzen Sie die Lage ein?
Für Konsumenten stellen die Energiepreise natürlich eine enorme Belastung dar. Dementsprechend sind bereits jetzt eine nachlassende US-Ölnachfrage und in diesem Zusammenhang auch steigende Lagerbestände zu beobachten - zumal die vielbeachtete «Driving Season» in den USA bislang schwach verläuft. Zusammen mit den Wachstumssorgen sorgte das zuletzt für einen Rückgang beim Ölpreis.
Bei den Gaspreisen sieht es aber anders aus.
Da ist die Lage genau umgekehrt, insbesondere in Europa: Die Erleichterung über die Wiederaufnahme der russischen Gaslieferungen über Nordstream 1 währte nur kurz. Gazprom hat inzwischen die Lieferungen erneut reduziert. Wir gehen davon aus, dass die Regierung in Moskau die Gasmenge weiterhin als politisches Druckmittel einsetzen und damit so grosse Unsicherheit wie irgend möglich bei den Verbündeten der Ukraine auslösen will. Erfreulich ist hier allerdings, dass sich die Speicher etwa in Deutschland derzeit gut füllen - allerdings zu extrem hohen Kosten. Auch wenn die Märkte nun begonnen haben, sich vom anfänglichen Schock des Russland-/Ukraine-Krieges zu erholen und weitere Ausschläge nach oben unwahrscheinlicher geworden sind, dürften uns erhöhte Energiepreise noch eine Weile begleiten.
Wie sieht es bei den Industriemetallen aus?
An den Industriemetallmärkten blicken wir vor allem nach China. Ein anziehendes Wachstum im dritten Quartal könnte die Nachfrage wieder beleben, allerdings hat sich die Wachstumsdynamik zuletzt abgeschwächt, was belastet. Stützend wirkt die weltweit strukturell steigende Nachfrage nach vielen Metallen im Rahmen von dringend notwendigen Infrastrukturmassnahmen, unter anderem wegen des notwendigen Umbaus zu einer nachhaltigeren Wirtschaft.
Die Musik spielt also langfristig eher bei solchen Rohstoffen statt bei Öl und Gas?
Die Industriemetalle wie zum Beispiel Kupfer oder Nickel sind eine tragende Säule für die angesprochene Dekarbonisierung der Wirtschaft. Im Kampf gegen die Klimakrise ist die massive Reduzierung des Ausstosses von Treibhausgasen unerlässlich. Der grösste Hebel sind die energiebedingten Emissionen. Sie machen zum Beispiel über 80 Prozent des deutschen Treibhausgas-Ausstosses aus. Hauptursache ist die weiterhin starke Nutzung fossiler Energieträger in der Elektrizitäts- und Wärmeerzeugung. Um wirkungsvoll den gesamten Sektor zu dekarbonisieren, ist eine noch konsequentere Energiewende nötig: weg von fossilen hin zu erneuerbaren Energien.
Was bedeutet das für Rohstoffanleger?
Die Auswirkungen dieses grundlegenden Wandels sind vielschichtig - und betreffen nicht nur die klassischen «braunen» Energieträger. Entscheidend wird die Auswahl sein und eine genaue Beobachtung des Marktes und der sich - auch politisch gewollt - ändernden Rahmenbedingungen.
Es geht also um ein neues Energiezeitalter?
Genau. Im Mittelpunkt des kommenden Energiezeitalters steht die Elektrizität als Ganzes. Und diese dreht sich nicht mehr nur um einzelne Rohstoffe wie heute Öl oder Gas. Für die Erzeugung, den Transport und die Speicherung des Stroms sind eine ganze Reihe von Rohstoffen nötig. Es findet also auch innerhalb der Anlageklasse eine Verschiebung der Favoriten statt: weg von den klassischen Energierohstoffen hin zu bestimmten Industriemetallen, ohne die die Energiewende nicht gelingen kann. Beispiele sind etwa Kupfer, ohne das ein Windrad keinen Strom erzeugt und kein Elektrofahrzeug sich fortbewegt. Oder Silizium und Silber, die etwa für die Produktion von Solarzellen verwendet werden. Bei der Speicherung der Elektrizität sind Nickel und Aluminium gefragt. Industriemetalle könnten damit den klassischen Energierohstoffen längerfristig den Rang ablaufen.
Link zum Disclaimer
Thomas Benedix ist seit September 2016 als Senior Portfoliomanager Commodities bei Union Investment tätig. Er ist Teil der Gruppe Investment Strategy und verantwortet die Fundamentalanalyse sowie die Entwicklung der Investmentstrategien im Rohstoffsektor.