«Invertierte Zinsstrukturkurve bietet besondere Anlagechancen»

Portfoliomanager Unternehmensanleihen
Union Investment, Frankfurt
union-investment.de
25.07.2023
Herr Ehlers, am Obligationenmarkt gibt es wieder interessante Renditen. Verpassen Anleger nun einen Trend, die im Niedrigzinsumfeld keinen Grund gesehen haben, in Anleihen zu investieren?
Mehr Rendite für gute Kreditqualitäten bei gleichzeitig besserem Schutz vor Wertverlust: Auf diesen Nenner lässt sich die Renaissance der Obligationen bringen. Dass die Renditen rasch wieder sinken, ist nicht zu erwarten. Langfristige Treiber der «Great Transformation» dürften zu höheren Investitionen und mehr Wachstum, aber auch zu stärkeren Konjunkturzyklen und erhöhter Inflation führen. Einen Trend haben Anleger daher nicht verpasst - vielmehr ist jetzt der richtige Zeitpunkt, wieder ernsthaft auf den Obligationenmarkt zu schauen.
Was bedeutet für Sie die «Great Transformation»?
Als «Great Transformation» bezeichnen wir die neue Ära in der Weltwirtschaft, die eine jahrzehntelange Periode enormer Stabilität abgelöst hat. Die Wahrscheinlichkeit ist gegeben, dass die Renditen damit höher und Anleiheprodukte weiter interessant bleiben. Der Zeitpunkt ist also günstig, sich genauer anzuschauen, was die wichtigsten Treiber am Obligationenmarkt sind und was Anleihenfonds leisten können.
Was ist bei Investitionen in Anleihen denn entscheidend?
Die Mechanik am Obligationenmarkt ist grundsätzlich einfach: Steigen die Anleihekurse, fallen die Renditen - und umgekehrt. Die Schwierigkeit besteht in der richtigen Einschätzung der Marktlage. Dafür braucht es eine tiefgehende Fundamentalanalyse und Beobachtung desjenigen, der die Anleihen ausgegeben hat, des Emittenten. Das können Staaten, Unternehmen, Banken, aber auch halb- oder überstaatliche - supranationale - Adressen wie die Förderbank KfW oder die Europäische Union sein.
Was sind die Renditetreiber?
Nicht nur die Einschätzung der Geschäfts- und Bonitätsperspektiven des Emittenten, sondern auch die Reaktion der Zentralbanken auf die Inflation und andere Konjunkturdaten sind ein Renditetreiber. Im Markt wird auch von Reaktionsfunktion gesprochen. Vereinfacht gesagt lässt sich sagen: Hellt sich das Konjunkturumfeld auf, steigen die Kurse von Unternehmensanleihen und sinken ihre Risikoaufschläge - die Spreads - gegenüber Staatsanleihen. Grund ist, dass sich die Chance auf gute zukünftige Bilanzen der Unternehmen tendenziell verbessert und die Ausfallwahrscheinlichkeit sinkt.
Und wenn sich die Konjunktur abschwächt?
Verschlechtert sich die Konjunkturlage, nehmen die Ausfallrisiken zu. Als Folge steigen die geforderten Risikoaufschläge, und die Anleihenkurse fallen. Anders bei Staatsanleihen: In einem schwierigen Makro-Umfeld sind risikoärmere Staatsanleihen als «sicherer Hafen» oft stärker nachgefragt. Hier steigen daher die Kurse, wodurch die Renditen sinken. Damit nehmen Staatsanleihen auch spätere Leitzinssenkungen zur Stärkung des Wachstums vorweg. Anders in einem Umfeld mit viel Wachstum oder Inflation: Hier ist absehbar, dass die Notenbanken die Zinsen erhöhen, und die Staatsanleihen verlieren an Wert, während die Renditen anziehen.
Was müssen Investoren sonst noch beachten?
Abgesehen von Bonität und Makro-Umfeld ist die (Rest-)Laufzeit einer Anleihe ein wichtiges Kriterium bei der Obligationenanlage. Die Duration bezeichnet die Zeit, in der das Anlagegeld fest gebunden ist. Dabei gilt: Ein Anleihebestand mit kürzerer Duration ist weniger anfällig für Zinsänderungen und Veränderungen in der Bonität als ein Bestand mit längerer Duration.
Warum macht ein Fonds gegenüber Direktanlagen Sinn?
Eine Anlage in einem Fonds hat gegenüber einer Direktanlage in Anleihen für Privatkunden diverse Vorteile. Bestimmte Anleihen sind für Privatanleger direkt gar nicht oder kaum erwerbbar, weil sie eine hohe Stückelung von 100’000 Euro und damit einen entsprechenden frei verfügbaren Einmal-Anlagebetrag voraussetzen. Über einen Fonds ist dagegen eine Bündelung von Anlagegeldern und somit eine Beteiligung möglich. Hinzu kommt eine Streuung des Anlagerisikos in einem Fonds über verschiedene Emittenten, Anleihearten, aber auch Branchen, Regionen und Währungen. Zudem lassen sich bei längerfristigen spezifischen Trends - etwa der Digitalisierung oder der grünen Transformation der Wirtschaft - bestimmte Sektoren oder Regionen über- bzw. untergewichten.
Auch das Durations-Management, also die Steuerung der Zinsbindungsdauer, kann eine mögliche Quelle von Zusatzerträgen in einem Anleihenfonds sein. Ein «normaler», also nicht laufzeitbegrenzter Anleihenfonds orientiert sich in der Regel an einem Vergleichsindex (Benchmark). Das Fondsmanagement kann je nach Einschätzung durch aktives Management eine geringere oder grössere Zinsabhängigkeit aufbauen. Dies ist etwa über Derivate oder tatsächliche Anleihenkäufe oder -verkäufe im Markt möglich.
Kann auch ein Laufzeitfonds eine Lösung sein?
Genau, Laufzeitfonds bieten besondere Möglichkeiten. Aktuell werfen in vielen Ländern Anleihen mit kurzen Laufzeiten eine höhere Rendite ab als Anleihen mit längeren Laufzeiten. Dieses Phänomen nennt sich «invertierte Zinsstrukturkurve». Darum ist es lohnend, in kürzere Laufzeiten zu investieren, da diese eine höhere Rendite mit geringerem Zinsänderungs- und Kursrisiko bieten.
Was ist der Unterschied zu einem «normalen» Fonds ohne Laufzeitbegrenzung?
In letzterem kann das Fondsmanagement je nach Marktlage und Attraktivität Anleihenpapiere aktiv verkaufen oder kaufen, um damit den Ertrag zu optimieren. Massgeblich ist der Vergleichsindex oder die Kasse. Damit werden über die Jahre hinweg immer wieder neue Anleihen in den Fonds genommen, während andere daraus verschwinden - entweder, weil sie fällig geworden oder aufgrund mangelnder Attraktivität - zum Beispiel einer erwarteten Rating-Verschlechterung - verkauft worden sind.
In einem Laufzeitfonds ist dies bewusst anders. Dort wird ein Bestand von Anleihenpapieren mit den aus Sicht des Fondsmanagements attraktivsten Renditen erworben, die in einem möglichst kurzen Zeitraum vor Ende der fixierten Fondslaufzeit fällig werden. Die Papiere werden bis zur Endfälligkeit («buy and hold») gehalten, sofern sie nicht in bessere Alternativen eingetauscht werden können. Damit wird das Zins- bzw. Renditeniveau zum Kaufzeitpunkt fest fixiert - unter der Annahme, dass der Anleger oder die Anlegerin den Fonds bis zum Ende der Laufzeit hält. Somit werden Zinsänderungsrisiken über die Laufzeit fast vollständig ausgesteuert. Auch temporär ansteigende Risikoaufschläge von Emittenten können grundsätzlich vernachlässigt werden, denn durch den «Buy and hold»-Ansatz schmälern nur reine Ausfälle die Rendite.
Link zum Disclaimer
Vincent Ehlers ist seit 2019 Portfoliomanager Unternehmensanleihen bei Union Investment und zudem als Analyst für Medien- und Reiseunternehmen verantwortlich. Zuvor war er als Risk Manager und Performance Analyst für die Commerzbank tätig. Er hat sein Masterstudium in Angewandter Mathematik mit Schwerpunkt Finanzmathematik in Darmstadt abgeschlossen. 2014 erwarb Vincent Ehlers den Bachelor of Science an der Technischen Universität in Braunschweig im Bereich Finanz- und Wirtschaftsmathematik.