Investitionen in den Megatrend «Klimawandel»

11.11.2021
Herr Leys, was müssen Investoren beachten, wenn sie ihr Bondportfolio «klimasicher» machen wollen oder anders gefragt, welche Risiken gehen sie ein, wenn sie es nicht tun?
Rund um den Globus setzt sich die Erkenntnis durch, dass die Weltwirtschaft dringend und schnell dekarbonisiert werden muss. Regierungen verfolgen ehrgeizigere Ziele und ergreifen strengere Massnahmen. Verbraucher verlangen umweltfreundlichere Produkte, und die Vermögenseigentümer wollen emissionsarme Portfolios. Diese Veränderungen nehmen an Fahrt auf und bergen erhebliche Risiken für Unternehmen, die nicht handeln. Der Übergang zu einer Welt mit Netto-Null-Emissionen erfordert eine Generalüberholung ganzer Branchen und Veränderungen auf allen Ebenen der Wirtschaft - nicht nur in den auf der Hand liegenden Branchen. Um ihre Anleiheportfolios «klimafest» zu machen, müssen Anleiheinvestoren verstehen, in welcher Weise ihre Unternehmen diesen Risiken ausgesetzt sind und wie sie ihre Geschäftsmodelle an den Übergang anpassen, um Risiken zu mindern und Chancen zu nutzen. Unternehmen in Branchen mit hohem Schadstoffausstoss etwa sollten glaubwürdige Dekarbonisierungspläne haben. Andernfalls drohen ihnen gestrandete Vermögenswerte, sinkende Nachfrage und Probleme beim Kapitalzugang.
Warum reicht Ihrer Ansicht nach der Ausschluss von CO2-intensiven Emittenten nicht aus?
Die grössten CO2-Verursacher für eine Anlage auszuschliessen ist zwar verlockend, um Emissionen zu reduzieren. Doch dieser Ansatz ist auch problematisch. Stösst ein Anleger einen Versorger mit hohem CO2-Fussabdruck ab, steht schon ein anderer bereit, um das Wertpapier zu kaufen. Der erste hat damit seine CO2-Bilanz verbessert, aber das Versorgungsunternehmen stösst weiterhin Treibhausgase aus. Um die Erderwärmung zu begrenzen, müssen wir eine echte Emissionsreduktion unterstützen. Ein besserer Ansatz, um den CO2-Ausstoss in Portfolios zu reduzieren, besteht darin, mithilfe von Research und Analysen Unternehmen aufzuspüren, die ihre Emissionen schnell senken, und in sie zu investieren. Statt Kapital aus den Bereichen abzuziehen, in denen es am dringendsten benötigt wird, hilft ein Engagement bei «braunen» Unternehmen, die «grün» werden, der Welt dabei, klimaneutral zu werden. Zudem können Anleger so ihre Sektor-Diversifizierung aufrechterhalten.
Das heisst, Anleger unterstützen Unternehmen, die sich auf dem Weg zum Netto-Null-Emissionsziel befinden?
Ganz genau. Den ehrgeizigen Zielen müssen ehrgeizige Taten folgen. Nach Angaben der internationalen Energieagentur bleiben rund 40 Prozent der Unternehmen mit einem Netto-Null-Ziel konkrete Pläne dazu, wie sie dies erreichen wollen, schuldig. Anleger müssen jenseits der ambitionierten Ziele die Investitionsvorhaben und die Anreizpläne für das Management genau unter die Lupe nehmen. Einschätzen zu können, wie glaubwürdig die Ziele sind, ist entscheidend, um die mit dem Klimawandel verbundenen Übergangsrisiken zu verstehen.
Ein Asset Manager benötigt viel Know-how, um ein Unternehmen bei diesem Übergang beraten zu können. Wie nehmen Sie Einfluss auf die Emittenten?
Um den Status quo eines Unternehmens in Bezug auf diesen Übergang zu verstehen, muss man sich zunächst anschauen, wie hoch seine Emissionen aktuell sind und aus welchen Quellen sie stammen. Erst wenn Anleger verstehen, wie hoch die Scope-1-, Scope-2- und Scope-3-Emissionen eines Unternehmens, also die Emissionen aus seinem Betrieb und seiner Lieferkette, sind und wie sie sich aufschlüsseln, können sie richtig einschätzen, vor welchen Herausforderungen das Unternehmen steht. So lassen sich beispielsweise Scope-2-Emissionen in Verbindung mit eingekauftem Strom relativ leicht senken, wenn in den Regionen, in denen das Unternehmen tätig ist, Strom aus erneuerbaren Energien angeboten wird. Scope-1-Emissionen, also die aus unternehmenseigenen Quellen, sind unter Umständen schwieriger zu reduzieren. Zumal wenn dies eine Umstellung der Technologie erfordert, wie zum Beispiel bei Kraftstoffen, die in der Luftfahrt, der Stahlerzeugung oder anderen Industrieprozessen zum Einsatz kommen. Scope-3-Emissionen sind oft am schwierigsten zu verringern, da sie sich der direkten Kontrolle des Unternehmens entziehen. Fortschrittliche Unternehmen können jedoch Abhilfe schaffen, indem sie vorgelagerte Emissionen durch Vereinbarungen mit Zulieferern und nachgelagerte durch Änderungen im Produktmix reduzieren, wie zum Beispiel bei Automobilherstellern durch die Umstellung auf Elektrofahrzeuge.
Welche Reduktionsziele müssen die Emittenten erfüllen, um überhaupt berücksichtigt zu werden?
Die Ziele sollten im Zusammenhang mit dem Emissionsprofil eines Unternehmens betrachtet werden. Für einen Stromversorger dürfte eine Emissionsreduktion um 20 Prozent eine viel grössere Herausforderung darstellen als für ein Medienunternehmen, was mit ihren unterschiedlichen Geschäftsmodellen zu tun hat. Führende Unternehmen ermittelt man daher am besten durch einen Vergleich mit ihren Mitbewerbern. Wichtig ist, dass die Pläne der Unternehmen messbare Ziele und Meilensteine enthalten: Ein Ziel für 2050 lässt sich leicht festlegen, wenn man den Grossteil der Veränderungen auf die nächsten Jahrzehnte verschieben kann. Ausserdem werden bei vielen Reduktionszielen nicht alle Emissionen eines Unternehmens berücksichtigt, sondern nur die Scope-1- und -2-Emissionen. Da aber die Scope-3-Emissionen oft mehr als 80 Prozent des Treibhausgasausstosses eines Unternehmens ausmachen, ist ein Plan zu ihrer Senkung ein entscheidendes Kriterium für ein Unternehmen, das beim Übergang führend ist. Beliebt sind auch Ziele, die auf der CO2-Intensität basieren. Vor allem unter Öl- und Gasunternehmen, da sie einen Anstieg der Emissionen erlauben, solange die Umsätze schneller steigen. Aus diesem Grund geben wir absoluten Reduktionszielen ganz klar den Vorzug.
Was passiert, wenn die Emittenten die Ziele nicht erreichen und wie gehen Sie mit dem Risiko um, dass Emittenten statt konkrete Fortschritte anzustreben nur «Greenwashing» betreiben?
Ziele sind wenig aussagekräftig, wenn ein Unternehmen seine diesbezüglichen Fortschritte nicht offenlegt. Das ist für uns aber zwingend erforderlich, denn nur so können wir die Entwicklung beurteilen. Ziele nicht zu erreichen, ist nicht unbedingt ein Zeichen von «Greenwashing», wenn ein Unternehmen trotzdem seine Emissionen in absoluten Zahlen weiter schnell reduziert. Wenn die Ziele viel ehrgeiziger sind als die der Wettbewerber, kann das bedeuten, dass ein Unternehmen zwar seine Ziele nicht erreicht hat, aber dennoch besser als der Branchendurchschnitt abschneidet. Um diese Dynamik zu verstehen, benötigen Anleger ein gutes Research. Darüber hinaus ist es wichtig, regelmässig mit Unternehmen Kontakt aufzunehmen, um über mögliche Schwachstellen zu sprechen. Nur durch fundierte Analysen und einen aktiven Dialog kann «Greenwashing» verhindert werden.
Können Sie anhand des kürzlich lancierten «Transition Bond Funds» aufzeigen, wie der Investmentprozess in der Praxis aussieht?
Mit Blick auf die Dekarbonisierung gibt es im «Climate Transition Bond Fund» zwei Kategorien von Anlageideen: »Spitzenreiter» und «Lösungsanbieter». Spitzenreiter haben ehrgeizige und glaubwürdige Dekarbonisierungsziele für ihr Unternehmen, während Lösungsanbieter Produkte und Dienstleistungen anbieten, die anderen bei der CO2-Reduktion helfen. Unser intern entwickeltes Klima-Screening-Tool analysiert Tausende Daten von zahlreichen Drittanbietern, um das Emissionsprofil eines Unternehmens und seine Ziele im Vergleich zu seinen Mitbewerbern zu verstehen. Zudem gibt es Aufschluss darüber, wie ein Unternehmen den Klimawandel in seinen Geschäftsüberlegungen einbezieht. Auf der Grundlage dieser Daten führen unsere Analysten weitere Analysen durch und bitten das Management der Firmen, einen Standardfragebogen für jede Kategorie zu beantworten. Dazu gehört zum Beispiel die Frage: Beinhalten Ihre Ziele auch Scope-3-Emissionen und wenn nicht, warum nicht? Die Ergebnisse dieser Analysen werden dem gesamten Investmentteam von abrdn zur Verfügung gestellt und dann vom Klimateam geprüft, bevor ein Unternehmen für eine Anlage infrage kommt. Natürlich stellen wir sicher, dass auch das Kreditprofil und der Anleihekurs attraktiv sind.
Können Sie konkrete Beispiele für Portfoliopositionen geben?
Eines der führenden Unternehmen im Bereich der Dekarbonisierung, das uns gefällt, ist Iberdrola. Der weltweit tätige Energieversorger investiert im grossen Stil in Windenergie, um in weniger als einem Jahrzehnt in Europa klimaneutral zu sein. Seine Ziele beinhalten die Emissionen Scope1, 2 und 3, mit klaren Reduktionsplänen für jeden einzelnen Bereich. Auch Iberdrolas bisherige Erfolgsbilanz bei der Emissionsreduktion kann sich sehen lassen und macht die aktuellen Ziele umso glaubwürdiger. Ein weiteres Beispiel ist Vesteda, ein niederländisches Immobilienunternehmen, das anderen bei der Dekarbonisierung hilft. Vesteda legt grossen Wert auf die Energieeffizienz seines Wohnungsbestands. Mithilfe ehrgeiziger Ziele für die Modernisierung älterer Gebäude, die mit besserer Isolierung sowie emissionsärmerer Heizung und Beleuchtung ausgestattet werden, ermöglicht das Unternehmen es niederländischen Haushalten, ihre CO2-Emissionen erheblich zu senken. Bis 2024 sollen 99 Prozent des Immobilienbestands den Energieeffizienzklassen A bis C angehören.
Wie wirkt sich das Konzept auf das Rendite-Risikoprofil des Fonds aus?
Da der Fonds weltweit anlegen kann und sein Anlageuniversum somit nicht beschränkt ist, muss der Übergang zur Klimaneutralität nicht auf Kosten der Rendite gehen. Unsere Klimaanalysen, mit denen wir nach Transitionsgeschichten suchen, gleichen wir mit der Liste der Unternehmen ab, mit deren Kreditrisiko wir zufrieden und bei denen wir der Meinung sind, dass ihre Anleihen ein gutes Wertpotenzial bieten. Darüber hinaus erreichen wir eine Diversifizierung des Portfolios, denn wir können weltweit nach Anlageideen suchen. Dabei konzentrieren wir uns auf die drei grossen Themen Klimalösungen, Dekarbonisierung und Anpassung an die physischen Risiken. Dies trägt dazu bei, sektor- und titelspezifische Risiken zu reduzieren und die Volatilität des Portfolios zu verringern. Alles in allem sind wir überzeugt, dass wir unseren Anlegern eine attraktive Rendite bieten und gleichzeitig die Klimaziele, die den Übergang zu einer kohlenstoffarmen Wirtschaft unterstützen, erreichen können.
Link zum Disclaimer
Thomas Leys ist Investment Manager und Leiter Research für den europäischen Raum bezüglich des «Climate Transition Bond Funds». Er kam 2013 im Rahmen eines Graduiertenprogramms zu abrdn. Seitdem hat er sich vor allem auf das Kredit-Research konzentriert und dabei unter anderem die Bereiche Immobilien und strukturierte Finanzierungen sowohl bei öffentlichen als auch bei privaten Schuldtiteln abgedeckt. Thomas Leys schloss sein Studium an der University of Manchester mit einem Bachelor of Laws (LLB) und einem Master of Laws (LLM) in Internationalem Finanzrecht ab. Er ist CFA Charterholder.