«Investoren hegen unrealistische US-Dollar und -Zinserwartungen»

04.12.2014
Herr Bachmann, der Goldpreis ist derzeit abschreckend volatil, warum?
Diese mühsam hohe Preisvolatilität reflektiert unserer Ansicht nach die Auseinandersetzung zwischen kurzfristig und mit hohen Volumen agierenden (westlichen) Investoren am Papiermarkt und den längerfristig denkenden Käufern des physischen Metalls im Osten dieser Welt. Diese physiche Nachfrage liegt substanziell über Analystenerwartungen. Zwei Länder allein, Indien und China, absorbieren quasi eine komplette Jahresproduktion der Goldminen. Das Metall ist wiederum in Backwardation gefallen, die Rate für die Goldausleihe ist negativ (was all die Meinungen widerlegt, dass Gold keine Verzinsung abwirft). Die 6-Monatsrate ist historisch lang negativ, ein klares Zeichen, dass der physische Markt äusserst angespannt ist. Jemand will Gold und die Bullionbanken bekunden Mühe mit der Lieferung. Dies erklärt auch die jüngst verstärkten Abflüsse aus ETFs und Tresoren der Comex. Gold korreliert derzeit fast perfekt negativ mit dem US-Dollar und Anlagen in US-Aktien. Weil die Mehrheit der Investoren kurzfristiger agiert und eine Trendfolge bevorzugt, könnte diese Spannung zwischen Papier- und physischem Markt noch anhalten.
Hat Gold nicht an Bedeutung verloren?
Etliche Kommentatoren im Westen und auch Politiker/-innen wollen dem Metall neuerdings eine andere Bedeutung zumessen. Mitunter auch, weil der Preis vielleicht weniger als erwartet auf gewisse Ereignisse reagiert hat oder auch aufgrund falscher Vorstellungen. Nur, die Käufer im Osten scheint es zu freuen. Interessant ist, dass Alan Greenspan (früherer Fed Chairman) jetzt als Privatperson eine positive Meinung zu Gold kundtut. Gold ist Geld par excellence, weil es die Basis für jegliche modernen Fiat-Währungen bildet. Seit 6‘000 Jahren ist es allseits akzeptiert, jederzeit handelbar und ohne Gegenparteirisiko. Das gibt es sonst nirgends. Das hat und wird sich nicht ändern.
Nur, Gold als Versicherung hat sich in den letzten paar Jahren überhaupt nicht bewährt.
Lassen Sie mich eine Gegenfrage stellen: Haben Sie eine Auto- oder Hausratversicherung, die Sie während dreier Jahre nicht benötigt haben? War das nun eine Fehlinvestition? Anleger kaufen für sich privat Versicherungen zuhauf, sei es für Auto-, Hausrat oder Gebäude, etc. Für die persönlichen Ersparnisse, die quasi Null Prozent Kontozins abwerfen (zumindest in westlichen Ländern), scheint dies jedoch verpönt.
Sie kritisieren somit eine kurze Anlagesicht?
Ich konnte kürzlich während zweier Wochen Investoren treffen. Zwei Aspekte stachen hervor: Der Anlagehorizont ist auf etwa sechs Monate gefallen, mitunter auch bei Family Offices. Dazu hat der sogenannte «Trendfolge»-Faktor eine viel höhere Gewichtung im Allokationsprozess gewonnen. Was reflektiert der Goldpreis derzeit? Unabhängige Studien belegen, dass die Faktoren reale Zinsen und US-Dollar den Goldpreisverlauf der letzten Jahre zu über 90 Prozent erklären. Zwischen Ende 2012, seit Investoren den QE-Ausstieg der US-Fed ummünzen und Ende November 2014, fiel der Goldpreis um über 30 Prozent, der Dollar-Index DXY stieg 10,8 Prozent und die Realzinsen für zehnjährige US-Anleihen nahmen um rund 120 Basispunkte (Bp) zu (nominal +42Bp). Der anerkannte Ökonom Dr. Martin Murenbeeld berechnete in einem umfangreichen Regressionsmodel den Faktoreinfluss auf Gold mit einem Koeffizienten von -5,66 für Realzinsen und -1.22 für den US-Dollar für die Periode 1969 bis 2014. Der Anstieg der Realzinsen seit 2012 würde damit rund 7 Prozent und die Dollar-Stärke etwa 13 Prozent dieses Goldpreisrückganges erklären. Da Finanzmärkte normalerweise eine 12-Monatsvorausschau anwenden, impliziert das verbleibende Delta von über 10 Prozent, dass bis Ende 2015 entweder die 10-jährigen amerikanischen Realzinsen um weitere knapp 2-Prozent-Punkte ansteigen oder der US-Dollar noch über 8 Prozent zulegt. Etliche Investoren argumentieren und handeln verzerrt.
Mit der Euro- und Yen-Schwäche ist ein weiterer Dollaranstieg, ergo Goldpreisrückgang jedoch logisch.
Na klar, unter den Blinden ist der Einäugige König. Anleger machen es sich damit zu einfach. Einerseits findet das Erstarken der US-Wirtschaft von einer tiefen Basis statt und andererseits fällt es dennoch viel zu gering aus in Anbetracht der fiskalen Stimulanz und der Verschuldungsniveaus. Unabhängige Studien zeigen, dass die US-Wirtschaft nominal fast 6 Prozent wachsen müsste, bevor das sehr hohe Verschuldungsniveau reduziert werden könnte. Obwohl die US-Handelsbilanz derzeit eine positive Energiebilanz aufweist, zeigen die Bilanzen mit China, Japan und Europa keine Anzeichen der Besserung, im Gegenteil, und diese Effekte dominieren. Ein noch weiteres Erstarken des US-Dollars hilft weder dem US Treasury noch den Unternehmen und wirkt wie eine Zinserhöhung. Die Auswirkungen sind dementsprechend auch nicht in den Aktienpreisen, beispielsweise im S&P 500 Index, reflektiert.
Wegen des Goldpreises überrascht die Entwicklung der Goldminenaktien nicht, wieso aber schwächeln die Rohstoffaktien dermassen?
Seit September handelten Rohstoffe und die entsprechenden Aktien fast ausschliesslich in Relation zum erstarkten US-Dollar. Letzte Woche entfaltete der starke Rückgang des Ölpreises eine zusätzliche negative Sogwirkung, mit teilweise fast kapitulationsartigen Preisbewegungen in den Minenaktien.
Dennoch gibt es auch viele Neuigkeiten bezüglich eines Rohstoffüberhangs.
Das stimmt. Der schwache Eisenerzpreis dominiert derzeit die Schlagzeilen. Nur gilt es auch hier zu differenzieren. Es war bekannt, dass die in den Jahren 2004/05 geplante Kapazität dieses Jahr den Markt erreicht. Hinzu kommt, dass die kostengünstigen Produzenten Rio, BHP und Vale derzeit mit einer agressiven Volumenstragie die teurer produzierenden Unternehmen aus dem Markt drängen und quasi eine oligopolistische Struktur erzielen möchten. Das aggressive Ausmass dieser Umsetzung hat negativ überrascht. Gerne weisen wir jedoch darauf hin, dass sich etliche Schlüsselrohstoffe wie Nickel, Zink oder auch Kupfer bereits nahe an einem Defizit befinden (zu wenig Angebot), dies in Kontrast zu etlichen Prognosen von renommierten Analysehäusern.
Bei einem tiefen Weltwirtschaftswachstum bleibt insgesamt doch auch die Rohstoffnachfrage gering.
In der Tat korreliert die Rohstoffnachfrage positiv mit dem Weltwirtschaftswachstum. Aber Anleger scheinen jedoch zwei Aspekte zu unterschätzen. Zum einen befindet sich die absolute Rohstoffnachfrage der Schwellenländer, trotz aller empfundenen Schwächen, auf einem anderen Niveau als in 2004. Auch hätten viele westliche Länder etliche Anstrengungen zu unternehmen, um ihre zum Teil marode Infrastruktur zu verbessern, was eine enorme Mengennachfrage auslösen würde. Zum anderen sollten sich Anleger in Erinnerung rufen, dass die Minenunternehmen eine strategische Kehrtwende vollzogen und Expansionausgaben substanziell reduziert haben und weiter verringern. Dies hat enorme Auswirkungen auf das kommende Rohstoffangebot.
Erwarten Sie in Zukunft somit stabilere Rohstoffpreise? Könnte sich damit ein Kauf der Aktien auszahlen?
Die Relation des S&P 500 Index zum Bloomberg Commodity Index hat zu November-Beginn das letztmalige Hoch aus dem Jahre 1999 (!) übertroffen und steigt weiter. Dies widerspiegelt einerseits den kürzeren Anlagehorizont, der heute vorherrscht und andererseits eine Abneigung der Anleger, mittelfristig fundamentale Gegebenheiten adequat zu berücksichtigen. Seit dem Wiederaufleben der Aktienhausse Ende 2011 (notabene von höheren Niveaus aus als im März 2009) hat vor allem eine enorme Bewertungsexpansion die Aktienpreise auf sehr statthafte Niveaus getrieben (z.B. rund 90 Prozent bei Aktien des MSCI All World Country Index). Die Gewinne der Unternehmen hinken der Erwartungshaltung hinterher, respektive wurden die Gewinne pro Aktie inbesondere in den USA durch Bilanzengineering unterstützt. Gleichzeitig durchlaufen die Minenunternehmen eine strategische Kehrtwende und fokussieren sich auf bessere Projektrendite, haben Bilanzen bereinigt und stehen an der Schwelle zu einem Cashflow- Zyklus, alles reflektiert zu historischen tiefen Bewertungsniveaus. Wie sagt man so schön: «Something has to give!».
Wie können sich Investoren dafür positionieren?
Investorengelder in diese Anlageklasse fallen weiterhin historisch tief aus, somit ist eine Sektorrotation nicht eine Frage ob, sondern wann sie geschehen wird. Eine Bündelung qualitativ guter Unternehmen, die attraktives Produktions-, Cashflow- und Gewinnwachstum offerieren, wird überdurchschnittlich profitieren können. Diese findet der Investor jedoch nicht in ETFs abgedeckt, denn diese ETFs beinhalten viele qualitativ inferiore Unternehmen. ETFs auf das Metall oder den Rohstoff haben zudem den Nachteil, dass diese den jetzt verbesserten operativen Cashflow und Reingewinnhebel (somit Dividende) der Unternehmen nicht offerieren können.
Markus Bachmann hat Craton Capital im Jahr 2003 mitbegründet. Er berät die Craton Capital Precious Metal- und Global Resources Fonds. Er besitzt einen Abschluss in Betriebs- und Volkswirtschaft (cum laude) der Universität Bern und begann seine Karriere im Corporate-Finance-Bereich der Credit Suisse Group, bevor er 1997 in das Emerging-Markets-Team von SBC Brinson Asset Management (heute UBS) wechselte. Im Jahr 2000 ging er als Senior Portfoliomanager und Spezialist für die globalen Rohstoffmärkte zu Coronation Fund Managers in Kapstadt (Südafrika) und wurde zum verantwortlichen Fondsmanager für mehrere Retail-Produkte und institutionelle Mandate ernannt.