«Jedes Jahr müssen 80 Millionen Menschen mehr ernährt werden»

30.04.2021
Herr Dehning, spielen Rohstoffpreise in Ihrer Investmentstrategie eine wichtige Rolle?
Aus ethischen Gründen investieren wir keinesfalls direkt in Agrar-Rohstoffe, auch nicht über Derivate. Dennoch ist die Preisentwicklung der Agrarrohstoffe natürlich ein wesentlicher Treiber für die Aktienperformance, der im Agribusiness tätigen Unternehmen. Dabei könnten theoretisch selbst fallende Hartweizenpreise über eine Investition im Pasta-Segment genutzt werden.
Experten sprechen von einem neuen Rohstoff-Superzyklus im Bereich Metalle und Bergbau. Gilt das auch für «Soft Commodities»?
Soweit würde ich noch nicht gehen. Erst wenn sich abzeichnet, dass die Futter-Nachfrage Chinas am Weltmarkt nachhaltig hoch bleibt, werden die Preise der «Soft Commodities» möglicherweise neue Rekordstände erklimmen. Zuletzt führte die Aufstockung des Schweinezuchtbestandes nach der Afrikanischen Schweinepest im Reich der Mitte zu einem höheren Futterbedarf, der im Inland allein nicht mehr zu decken war. Dabei spielte insbesondere das Bestreben der chinesischen Regierung, die Schweinezucht verstärkt in die Hände professioneller Zuchtbetriebe zu übertragen, eine wesentliche Rolle. Letztere füttern weniger Speiseabfälle, sondern nutzen in ihren Futterrationen deutlich mehr Getreide.
Wie würden Sie den Terminus «Agribusiness» definieren?
Agribusiness umfasst in unserer Definition neben der Landwirtschaft auch die ihr vor- und nachgelagerten wirtschaftlichen Aktivitäten. Zu den vorgelagerten Aktivitäten gehören beispielsweise die Saatzucht, die Dünge- und Pflanzenschutzmittelproduktion, die Land- und Stalltechnik, Tierzucht, Futtermittel und Tiermedizin. Der nachgelagerte Bereich reicht bis zum Lebensmittelhandel und der Gastronomie.
Aus welchen Sub-Segmenten besteht Ihr Anlageuniversum?
Das Anlageuniversum umfasst die ganze Wertschöpfungskette vom Ackerland/Forstbetrieb über die landwirtschaftlichen Betriebsmittel, die Agrarrohstoff-Verarbeiter bis hin zum Nahrungsmittelproduzenten und Lebensmittelhandel. Auch Anbieter von Bewässerungssystemen befinden sich im Portfolio. Der Schwerpunkt liegt nun ganz klar bei den vorgelagerten Aktivitäten wie Landmaschinen, Düngemittel und Pflanzenschutz. Die Aktien aus diesen Bereichen korrelieren wesentlich stärker mit den Agrarrohstoffpreisen. Der Fondsanteil der vorgelagerten Aktivitäten beläuft sich momentan daher auf etwa 70 Prozent.
Bauern gehören überraschend zu den Pandemie-Gewinnern. Der Landwirtschaftssektor hat eine relativ starke Resilienz gezeigt. Kann sich die Outperformance in der zyklischen Erholung fortsetzen?
Davon ist auszugehen. Insbesondere die Angst der Investoren vor einem weiteren Anziehen der Inflation bewirkt fortgesetzt Portfolioumschichtungen, die dem Agrarsektor zugutekommen sollten. Als Hedge gegen Inflation sind generell Rohstoff-Investments als Diversifikation derzeit ratsam, da die bisher favorisierten Wachstumswerte unter steigenden Inflationserwartungen eher leiden dürften. Aber auch der sich verbessernde Geschäftsausblick für Aktien aus dem Landwirtschaftssektor spricht sehr dafür. Die Kapazitätsauslastung bei den Landtechnikunternehmen ist beispielsweise momentan extrem hoch - mit entsprechend positiven Effekten auf die Produktivität. Lediglich fehlende Komponenten, wie Gussteile oder Reifen, könnten hier und da kurzzeitige Ineffizienzen verursachen. Ansonsten sorgen sehr hohe Auftragsbestände für nennenswerte Ertragssteigerungen.
Welches sind die fundamentalen Einflussfaktoren im Bereich Landwirtschaft?
Obwohl eine Erwärmung der Erdatmosphäre über einen erhöhten CO2-Gehalt nicht unbedingt nachteilig für das Pflanzenwachstum ist, werden zunehmende Wetterextreme dennoch temporär immer wieder erhebliche Ernteeinbussen bewirken. Zuletzt sorgte insbesondere das Wetter-Phänomen «La Niña» für anhaltende Trockenheitsperioden in Südamerika. Aufgrund der dadurch bedingten verzögerten Sojabohnenernte kommt es nun selbst bei der dortigen Zweitfrucht - dem Safrina-Mais - zu Hitzestress. Auch für den US-Maisgürtel wäre ein Fortbestand des «La Niña»-Wetterereignisses nicht unbedingt vorteilhaft. Kaum von den Medien beachtet, verzögerte ferner ein erneuter Kälteeinbruch in den USA jüngst die anstehende Aussaat. Da die Mais- und Soja-Vorratsbestände aufgrund der umfangreichen Käufe Chinas ohnehin auf einem historisch äusserst niedrigen Niveau sind, würden neuerliche witterungsbedingte Hemmnisse beim Pflanzenwachstum vermutlich die Notierungen der «Soft Commodities» Mais und Soja noch schneller ansteigen lassen.
Und die Welt braucht mehr Nahrung, oder?
Langfristig betrachtet, müssen bis 2050 gemäss der Welternährungsorganisation FAO jedes Jahr 80 Millionen Menschen mehr ernährt werden - dies entspricht ungefähr der Bevölkerungszahl Deutschlands. Im Zuge der fortschreitenden Urbanisierung und der damit einhergehenden Änderung der Essensgewohnheiten wird sich der Proteinverbrauch pro Kopf in diesem Zeitraum sogar um zwei Drittel erhöhen. Da andererseits der Ausweitung der Ackerflächen Grenzen gesetzt sind, dürften weitere Effizienzsteigerungen im Anbau erforderlich sein. Ein weiterer Ausweg, das absehbare Defizit einzudämmen, wäre sicherlich die Entwicklung und der Verzehr alternativer Proteinquellen, wie beispielsweise aus Insekten, Algen oder auch Pilzen. Zu guter Letzt könnte auch die landbasierte Fischzucht mit Hilfe moderner Wasseraufbereitungsanlagen (sogenannten RAS-Anlagen) in diesem Zusammenhang zukünftig an Bedeutung gewinnen.
Gute Einkommenssituation für US-Farmer: führt dies zu grösseren bebauten Ackerflächen und damit alsbald zu Preisdruck?
Angesichts der guten Absatzpreise dürften die US-Landwirte ihre Ackerflächen im Vorjahresvergleich zweifelsohne ausweiten. Die ersten Prognosen des US-Landwirtschaftsministeriums hierzu waren dennoch für viele Marktbeobachter etwas ernüchternd. Demnach werden die US-Maisanbauflächen in diesem Jahr keinesfalls die Rekordwerte von 2012/13 erreichen. Dies liegt unter anderem daran, dass die Flächenausweitungen sich auf mehrere Pflanzensorten verteilen, da selbst der Anbau von Weizen und Sojabohnen attraktiver geworden ist. Grundsätzlich scheint zudem die Annahme durchschnittlicher Trenderträge im Rahmen der Flächenausweitung gefährlich. Üblicherweise erfolgt die Flächenerweiterung in Regionen mit weniger guten Böden und ungünstigeren klimatischen Bedingungen. Weitere Enttäuschungen hinsichtlich der Ernteschätzungen sind im späteren Jahresverlauf daher nicht vollkommen auszuschliessen.
Viel wichtiger in diesem Kontext ist aber die unverändert hohe Nachfrage Chinas. Allein in den ersten drei Monaten hat China mit 6,7 Mio. Tonnen so viel Mais importiert wie normalerweise in einem ganzen Jahr. Auch die Sojaimporte befinden sich auf Rekordniveau. Nach dem Ende der Corona-bedingten Mobilitätsbeschränkungen dürfte ferner die Nachfrage seitens der US-Bioethanol-Fabriken deutlich ansteigen. Rechnet man diese Nachfrageeffekte zusammen, ist trotz Flächenausweitung vorerst kein Ende der angespannten Versorgungslage in Sicht.
Welches sind die interessantesten Sub-Segmente des Themas Agribusiness?
Am aussichtsreichsten erscheint das Landtechnik-Segment: Es hat mit rund 25 Prozent dementsprechend die höchste Gewichtung im «DJE Agrar und Ernährung». Insbesondere die US-Landwirte sind bestrebt, ihren in die Jahre gekommenen Fuhrpark endlich zu erneuern. Gleichzeitig sind die Lagerbestände im US-Landtechnik-Grosshandel im historischen Vergleich ausgesprochen niedrig, so dass die Hersteller auf die üblichen Händler-Rabatte weitgehend verzichten können. In der Folge ist davon auszugehen, dass man selbst die hohen Preissteigerungen bei Stahl vorerst ohne Probleme an den Endkunden weiterreichen kann. Der hohe Auftragsbestand sorgt aktuell zudem, wie bereits angesprochen, für eine wesentlich effizientere Auslastung in der Fertigung, sofern die Lieferketten trotz der Corona-bedingten Einschränkungen intakt bleiben.
Aus Investorensicht sind ferner die zahlreichen neuen automatischen Steuerungs- und Robotik-Lösungen interessant. Sie werden gerne als Zusatzoption mit verkauft. Mit neuen Applikationen steigt der Umsatz pro Landmaschine daher kontinuierlich. Bei höheren Düngemittelpreisen und vermehrten Auflagen im Pflanzenschutz macht sich der Kauf sogenannter «precision farming»-Angebote für den Landwirt häufig schon nach etwa zwei bis drei Jahren bezahlt. So ermöglicht der Einsatz nicht nur eine Reduktion von Arbeitsstunden und die Minimierung notwendiger Betriebsstoffe wie Diesel. Mittels immer besserer Sensoren- und Kameratechnologien lässt sich heute vielmehr auch der Materialeinsatz an Dünge- und Pflanzenschutzmitteln optimieren.
Die Maispreise sind so hoch wie seit 2013 nicht mehr. Was bedeutet dies für den Agri-Sektor?
Das stärkt die Einkommenssituation der Landwirte im Pflanzenanbau ungemein. In der Folge hat sich das Sentiment in der Branche nach etlichen Jahren deutlich aufgehellt. So konnte der Branchenindikator der Europäischen Landtechnikindustrie CEMA erst jüngst wieder alte Höchststände erreichen. Auch in den USA zeigen Umfragen der Purdue-Universität eine zunehmende Investitionsbereitschaft der Landwirte an.
Tierzüchter, die den Mais hingegen als Futtermittel benötigen, verspüren einen gewissen Margendruck, da sie die höheren Rohstoffpreise nicht voll an den Endkonsumenten weiterreichen können.
Welches sind Ihre favorisierten Segmente in der Lebensmittelproduktion?
Das Thema «pflanzenbasierte Proteine» ist ein wesentlicher Investitionsschwerpunkt. Wobei nicht in allen Produktsegmenten die Markteintrittsbarrieren besonders hoch sind. Sogenannte «Veggie-Burger» werden zum Beispiel inzwischen von zahlreichen Unternehmen hergestellt. Dieser Konkurrenzdruck spiegelt sich zugleich nicht immer in den Aktienbewertungen wider. Daher erscheint es sinnvoller, Aktien zu kaufen, die von diesem Trend nur indirekt aber dafür nachhaltiger profitieren. Hierzu gehören unter anderem die Aromen-/Geschmackstoffhersteller, die aufgrund der komplexeren Rezepturen der veganen Lebensmittelprodukte nun eine Sondernachfrage erfahren werden. Daneben sind fortgesetzt sogenannte «Clean Label»-Lösungen gefragt, die zur Zucker- oder Fettreduktion beitragen können.
Zu guter Letzt präferieren wir derzeit Getränkekonzerne, die von einem erfolgreichen Impfstoff-Rollout recht schnell profitieren sollten. So konnten jüngst einige Brauereien in Grossbritannien die hohe Nachfrage nach dem Ende der Ausgangssperren nicht befriedigen. Sie wurden förmlich überrascht von den Nachbestellungen der dortigen Pubs. Mit einer allmählichen Öffnung der Gastronomie dürfte ausserdem die Bedeutung der margenschwächenden Grossverpackungen insbesondere im Wasser-/Softdrinkbereich wieder abnehmen. Entsprechend addiert sich zur Volumenerholung noch ein positiver Produktmix-Effekt.
Link zum Disclaimer
Jörg Dehning ist seit Februar 2007 im Bereich Research & Portfoliomanagement tätig. Seit 2010 ist er für den «DJE - Agrar & Ernährung» verantwortlich. Insgesamt kann Jörg Dehning auf eine rund 20-jährige Erfahrung im Bereich Investment Banking und Asset Management zurückblicken. Nach einem erfolgreich abgeschlossenen Studium der Betriebswirtschaftslehre an der FH München begann er seine berufliche Laufbahn im Asset Management der Baden-Württembergischen Bank in Stuttgart. Die DZ Bank in Frankfurt sowie Pioneer Investments in München waren weitere Stationen.