Jetzt ist die Stunde der aktiven Fondsmanager

24.04.2020
Herr Fischer, Sie gehören zu den Fondsmanagern, die seit mehreren Jahrzehnten am Markt unterwegs sind. Was geht Ihnen durch den Kopf, wenn Sie die stark steigenden Aktienkurse sehen?
Das ist nur eine Momentaufnahme und kann sich schnell ändern. Wir glauben grundsätzlich auch, dass die Märkte ihre Tiefststände gesehen haben. Aber wir gehen eher von einer Erholung aus, die W-förmig verlaufen und immer wieder Einbrüche mit sich bringen wird. Von daher ist grundsätzlich Vorsicht geboten. Die Kursrückgänge schaffen zwar auf den ersten Blick viele gute Einstiegsgelegenheiten. Gleichzeitig schiebt die enorme Liquidität, mit der Politik und Notenbanken unterstützen, den Markt weiter an. Aber das Risiko, sich an gefallenen Engeln wie einer Lufthansa, einer Ryanair oder TUI die Finger zu verbrennen, ist sehr hoch, weil völlig unklar ist, ob die alten Geschäftsmodelle noch tragen. Hier wird sich die Spreu vom Weizen trennen. Die Liquiditätsspritzen kommen wahrscheinlich für einige Unternehmen zu spät. Robuste Geschäftsmodelle können aber zu den Gewinnern der Krise gehören und möglicherweise gestärkt aus ihr hervorgehen. Insofern gehen wir jetzt sehr selektiv vor und haben immer einen Fuss auf der Bremse. Damit werden wir nicht jede Erholung voll mitnehmen, aber es bietet einen gewissen Schutz gegen starke Drawdowns. Und das ist unser Primärziel.
Aber sind die Bewertungsmodelle nicht schon längst überholt? Die Gewinnschätzungen stimmen ja überhaupt nicht mehr.
Die grosse Ungewissheit ist, wie sich die Lockdowns und der wirtschaftliche Stillstand in den Unternehmensgewinnen niederschlagen werden. Die meisten Analysten haben ihre Prognosen schon kräftig nach unten korrigiert. Für das 2. Quartal rechnet die EZB mittlerweile mit einem Rückgang von 25 bis 35 Prozent und für das Gesamtjahr sogar mit einem Rückgang von 15 Prozent, was eben auch bedeutet, dass wir im weiteren Verlauf mit Enttäuschungen rechnen müssen. Inwieweit dieser Pessimismus gerechtfertigt ist, wird die Berichtssaison zeigen. Mit Blick auf die zweite Jahreshälfte sind wir optimistischer, weil wir davon ausgehen, dass die Pandemie abebben wird und die Lockdowns stückweise aufgehoben werden.
Wie bewertet Ihr Haus den fairen Aktienwert in einer solch historischen Krise?
Weil das eine Krise ohne historisches Beispiel ist, sind klassische Bewertungsmodelle, die allein auf den Gewinnerwartungen fussen, mit Unsicherheiten behaftet. Uns hilft in diesem Umfeld, dass wir unsere Investmentstrategie in den vergangenen Jahren weiterentwickelt haben. Wir sind weiterhin Value-Investoren und schätzen eigentümergeführte Unternehmen. Aber das Kurs-Gewinn-Verhältnis, das beim klassischen Value-Style nach Benjamin Graham eine tragende Rolle spielt, ist für uns kein dominierendes Kriterium mehr. Wir setzen stärker auf die Qualität der Geschäftsmodelle, auf das wirtschaftliche Alleinstellungsmerkmal, eine starke Preissetzungsmacht und ein hohes erwartetes Umsatzwachstum. Gleichzeitig schauen wir uns die Bilanzen genau an. Eine geringe Verschuldung erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass das Unternehmen auf Dauer existieren und Performance liefern wird. Wenn diese Kriterien erfüllt sind, halten wir auch eine Investition in höher bewerte Unternehmen wie eine Alibaba oder eine Amazon für gerechtfertigt. All das setzt aber eine detaillierte Analyse der Unternehmen voraus. Von daher ist jetzt die Stunde der aktiven Manager, mit einem passiven Ansatz können sie solche Unternehmen nicht herausfiltern.
Kurzum: gibt es aktuell mehr Chancen als Risiken?
Es gibt definitiv Chancen, aber die Risiken sind eben auch nicht weit weg. Es ist auf jeden Fall die richtige Zeit, sich Aktien genauer anzugucken und dabei zu überlegen, welche Geschäftsmodelle auch in Zukunft erfolgreich sein werden. Ich rate aber unbedingt davon ab, sich nur von den niedrigen Kursen verleiten zu lassen. Billig allein reicht bei weitem nicht mehr. Die Hausse der letzten Jahre hat auch Unternehmen nach oben gespült, die dort eigentlich nicht hingehören. Vor allem die grossen institutionellen Marktteilnehmer dürften in den kommenden Monaten deutlich wählerischer werden und kritischer prüfen, schon allein um ihre eigenen Ratings nicht zu gefährden. Das wird sich in den Kursen bemerkbar machen. Qualität ist deshalb für langfristig orientierte Investoren wie uns das Gebot der Stunde, nicht der mögliche kurzfristige Kursgewinn.
Anleihen werfen auf Jahre hinaus keine Zinsen ab. Gehört die Zukunft also definitiv den Aktien?
Die Massnahmen der Politik und der Notenbanken sollen jetzt kurz- und mittelfristig das Schlimmste verhindern. Möglicherweise werden wir kein Szenario wie bei der grossen Depression mit Massenarbeitslosigkeit und Verelendung bekommen. Aber klar ist auch, dass wir dafür in den kommenden Jahren einen hohen Preis zahlen werden. Denn die Staaten bauen damit auch eine enorme Verschuldung auf. Ray Dalio hat darauf hingewiesen, dass derzeit rund 20 Trillionen US-Dollar an wirtschaftlicher Leistung fehlen, das muss durch Schulden kompensiert werden. Um hier langfristig wieder eine Normalität hinzukriegen, wird die Politik den Weg einer kontrollierten, aber anhaltenden Inflation wählen, um sich zu entschulden. Alternativen sehe ich nicht, denn sonst drohen massive soziale Unruhen. Und die hätten viel schwerwiegendere Auswirkungen. Angesichts des Inflationsszenarios sind Aktien langfristig definitiv die bessere Wahl gegenüber anderen Anlageformen. Aber die Auswahl ist entscheidend. Es macht wenig Sinn, jetzt einen breiten Markt, etwa über einen Index, zu kaufen.
Link zum Disclaimer
Frank Fischer ist Chief Executive Officer (CEO) und Chief Investment Officer (CIO) der Shareholder Value Management AG sowie Berater des «Frankfurter Aktienfonds für Stiftungen». Der 56-jährige ist überzeugter Value-Investor.