«Kohlenstoffintensive Sektoren müssen beim Thema Nachhaltigkeit ebenfalls bedacht werden»

Head of Sustainable Investment Research & Strategy
Lombard Odier Investment Managers, Genf
lombardodier.com
07.05.2020
Herr Dr. Kaminker, der Klimawandel ist Gegenstand vieler Debatten. Warum sollten Investoren diesem Thema mehr Aufmerksamkeit schenken?
Bei Lombard Odier sind wir der Ansicht, dass Nachhaltigkeit die wichtigste Triebkraft für künftige Anlagerisiken und Erträge sein wird. Innerhalb dieses Jahrzehnts werden wir bei der gegenwärtigen Politik unser gesamtes Kohlenstoffbudget aufbrauchen und das strengste Ziel (1,5 Grad) des Pariser Abkommens nicht erreichen. Wir sehen bereits heute weltweit physische Manifestationen des Klimawandels - Waldbrände, Überschwemmungen, Taifune und Pandemien - und diese werden sich nur noch beschleunigen, wenn sich die Klimaschäden verschlimmern. Wir glauben, dass das Ausmass, der Umfang und die Dringlichkeit des Klimawandels vielfältige Investitionsmöglichkeiten bieten werden. Wir versuchen, Unternehmen zu identifizieren, die ihren Fokus auf mehrere Bereiche ausgeweitet haben - nicht nur auf den Gewinn, sondern auch auf Menschen und den Planeten. Wir glauben, dass die nachhaltigsten Unternehmen den Markt übertreffen und für unsere Kunden starke Anlagerenditen erzielen werden.
Wo liegen die Hürden/Risiken?
Für Investoren wird die grösste Herausforderung darin bestehen, herauszufinden, welche Investitionen vollständig auf zukünftige Nachhaltigkeitsherausforderungen ausgerichtet sind, wie zum Beispiel den Übergang zu einer Netto-Null-Wirtschaft und klimaresistenten Wirtschaft. Wir sind überzeugt, dass es Unternehmen gibt, die die Weitsicht und Agilität besitzen, ihre Geschäftsmodelle anzupassen oder neue zu entwickeln, damit ihre Gewinne und Finanzen langfristig nachhaltig sind. In der gegenwärtigen Zeit der Unsicherheit und der Wirtschafts- und Marktturbulenzen ist es umso wichtiger, diese Unternehmen gezielt zu identifizieren und diejenigen zu vermeiden, die sich der Notwendigkeit, zu reagieren und zu nachhaltigeren Geschäftsmodellen überzugehen, nicht bewusst sind. Nur durch eine gründliche, bewertende und vorausschauende Analyse, wie Geschäftsmodelle wichtigen Nachhaltigkeitsherausforderungen wie Pandemien und daraus resultierenden Engpässen in der Versorgungskette ausgesetzt sind, können Investoren hoffen, ihre Portfolios vor zukünftigen Herausforderungen zu schützen. Diese Herausforderungen können sich aus der Notwendigkeit ergeben, Portfolios angesichts von Klimaschäden, politischen Unruhen, sich verändernden globalen Konsum- und Nachfragetrends oder der digitalen Revolution risiko- und renditeorientiert zu schützen. Es ist jedoch heute wichtiger denn je, diese Herausforderungen zu analysieren.
Wer sind die wichtigsten Impulsgeber des Wandels?
In der Vergangenheit war die durch Wissenschaft und physische Manifestationen von Klimaschäden vorangetriebene Regulierung die wichtigste Triebkraft für das Handeln von Ländern und Unternehmen im Klimabereich. Heute glauben wir jedoch, dass mächtige, irreversible Marktkräfte massgebend sind. Wir beobachten, wie technologische Innovationen den Wandel vorantreiben - da klimaschonende Lösungen immer günstiger werden. Dies wiederum führt dazu, dass Investoren starke Chancen im Klimabereich sehen. Es spornt auch die Verbraucher an, sich für Marken und Dienstleistungen mit dem besten Klima und den besten sozialen Referenzen zu entscheiden. Diese starken Marktkräfte sowie die zunehmende Outperformance von Unternehmen, die sich über die ergebnisorientiertesten ESG-Parameter auszeichnen, führen zu einem stärkeren Investitionsfokus auf Nachhaltigkeit.
Welche Sektoren sind besonders betroffen? Können Sie uns konkrete Beispiele nennen?
Es ist wichtig, sich im Wandel befindliche Unternehmen und Lösungsanbieter zu identifizieren, die auf das sich verändernde Umfeld reagieren. In dieser Krisenzeit ist es umso wichtiger, sich auf die Anpassungsfähigkeit von Unternehmen zu konzentrieren, sei es im Hinblick auf Klimaschäden oder die wirtschaftlichen Auswirkungen einer Pandemie. Unserer Ansicht nach bietet dies denjenigen Unternehmen Chancen, die in der Lage sind, die Klimaresistenz durch die Stärkung der Infrastruktur, die Überwachung von Risiken durch meteorologische Instrumente und das Management der Auswirkungen durch Rückversicherungsaktivitäten zu erhöhen. Es ist wichtig, sich auf diese anpassungsfähigen Unternehmen ebenso zu konzentrieren wie auf die Anbieter emissionsarmer Lösungen.
Wir sind uns bewusst, dass die künftige Wirtschaft auch weiterhin die schwer zu reduzierenden, CO2-intensiven Industriezweige benötigen wird. Allerdings müssen sich diese wandeln und umstellen. Wir werden nach wie vor Stahl und Zement für den Bau der Infrastruktur benötigen, um Städte vor grösseren Klimaschäden zu schützen. Es braucht Gebäude, die mit emissionsfreien Brennstoffen beheizt werden, um die wachsende Stadtbevölkerung unterzubringen. Wir werden auch kohlenstofffreie Fahrzeuge benötigen, um mit der Nachfrage nach dem Transport von Gütern und Menschen Schritt halten zu können. Die Bewältigung des Klimawandels erfordert in der Tat, dass wir weiterhin in diese Industrien investieren, damit sie in der Lage sind, in ihre eigene Umwandlung hin zu einer geringeren Kohlenstoffintensität zu investieren.
Was sind gängige Strategien für Investitionen in den Klimawandel?
Viele Strategien integrieren Nachhaltigkeit in den Investitions- und Selektionsprozess. Nur wenige stellen jedoch die Nachhaltigkeit in den Mittelpunkt ihrer Strategien. In den letzten Jahren sind eine Reihe von Cleantech- und Low-Carbon-Fonds entstanden, die in Vorzeigetechnologien wie erneuerbare Energien und Elektrofahrzeuge oder in Low-Impact-Sektoren investieren. Nur wenige dieser Fonds erfassen jedoch das volle Ausmass des erforderlichen Wandels über alle Sektoren hinweg, insbesondere die CO2-intensiven Industrien wie Stahl, Zement und Chemie.
Wie unterscheidet sich die Lombard Odier Climate-Transition-Strategie von bisherigen Ansätzen?
Nachhaltigkeit gehört zu unseren zentralen Grundsätzen. Wir erachten es als wichtig, sich im Wandel befindende Unternehmen und Lösungsanbieter zu identifizieren, die auf das sich verändernde Umfeld reagieren. Dies kann nur durch eine vorausschauende, kritische Analyse erreicht werden. Unsere Strategie unterscheidet sich von den vielen anderen dadurch, dass wir den Schwerpunkt ebenso sehr auf im Wandel begriffene, aber kohlenstoffintensive Branchen wie auf Anbieter kohlenstoffarmer Lösungen legen. Im Sinne der Taxonomie gewichten wir in unserer Strategie auch jene Unternehmen, die in einer klimageschädigten Welt gedeihen können, gleich stark wie jene, die in einer kohlenstofflimitierten Welt besser abschneiden werden. Schlussendlich nehmen wir die berichteten CO2-Fussabdruck-Kennzahlen nicht einfach für bare Münze. Stattdessen konzentrieren wir uns auf angepasste CO2-Fussabdrücke. Wir wollen den vollen Umfang der Emissionen eines Unternehmens entlang seiner gesamten Lieferkette und in Bezug auf die Verdrängung von Emissionen in anderen Branchen sowie die potenzielle Erfassung aller unvermeidbaren Emissionen nachvollziehen.
Vor kurzem haben sie eine Climate-Transition-Strategie lanciert. Können Sie uns etwas über deren Positionierung sagen?
Die Strategie wurde auf dem Höhepunkt der Marktvolatilität im März ins Leben gerufen, hat aber bereits ein Volumen von 300 Mio. US-Dollar erreicht. Die Strategie ist nach wie vor relativ defensiv positioniert, mit einer strukturellen Untergewichtung des Energiesektors und ohne Erdölfirmen sowie mit einer strukturellen Übergewichtung von qualitativ hochwertigen, wachstumsstarken Unternehmen und einer Ausrichtung auf Unternehmen mit geringerem Fremdkapitalanteil und weniger Verschuldung. Wir sind der Meinung, dass die Positionierung des Portfolios dazu beitragen sollte, eine sich rapide verschlechternde Wirtschaft und eine Liquiditätsknappheit bei den Unternehmen zu verkraften. Das Portfolio ist über Sektoren und Regionen breit diversifiziert. Wir sind auch an Unternehmen interessiert, die eine Tendenz zur Digitalisierung/Virtualisierung/Robotisierung der Wirtschaft haben. Dies dürfte zu einer Beschleunigung der gegenwärtigen Situation führen - nicht nur im IT-Sektor, sondern auch in fast allen anderen Sektoren.
Link zum Disclaimer
Dr. Christopher Kaminker ist Head of Sustainable Investment Research & Strategy bei Lombard Odier Investment Managers. Zuvor war er bei Skandinaviska Enskilda Banken (SEB) als Head of Sustainable Finance Research und Senior Advisor tätig. Vor seiner Tätigkeit bei SEB war er leitender Ökonom und Berater für nachhaltige Finanzen bei der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD). Er vertrat die OECD als Delegierter bei den G20 und dem Financial Stability Board. Er promovierte an der University of Oxford und hat einen Abschluss von der School of International and Public Affairs der Columbia University.