Langeweile ist in der Fondsindustrie kein Thema

08.08.2022
Herr Glow, Sie schreiben jeden Montag einen in der Fondsindustrie stark beachteten Artikel, den wir auch in der Rubrik «Newspoint» übernehmen dürfen. Dafür braucht es nicht nur Disziplin, sondern auch Material. Woher nehmen Sie diese Kreativität, Woche für Woche Spannendes auszugraben?
Die europäische Fondsindustrie liefert jede Menge Stoff für Artikel, da braucht es gar nicht so viel Kreativität, um Themen für einen Artikel zu finden. Mir persönlich ist es dabei wichtig, die Fakten darzustellen und diese aus meiner Sicht zu bewerten. Das spiegelt sich dann auch in meinen Marktberichten wider. Rund die Hälfte der Artikel, die ich veröffentliche, befassen sich mit den Trends: Zahlen, Daten und Fakten zu den Mittelbewegungen in der europäischen Fondsindustrie. Während sich einer dieser Berichte mit Mittelbewegungen in der gesamten Fondsindustrie befasst, habe ich im Jahr 2005 einen monatlichen Report etabliert, der sich nur mit den Trends in der ETF-Industrie auseinandersetzt. Die andere Hälfte meiner Artikel setzt sich mit Themen wie Performance, Fondskosten, Marktstruktur, Regulierung, ESG oder Firmenübernahmen auseinander und bewertet die beschriebenen Entwicklungen aus Sicht eines externen Marktbeobachters.
Jeder Medienschaffende hat sein Lieblingsthema, welches ist Ihres?
Zum einen sind es die Zahlen, Daten und Fakten zu den Entwicklungen in der europäischen Fondsindustrie, also die Trends bei den Mittelbewegungen und den verwalteten Vermögen.
Zum anderen beschäftige ich mich schon seit vielen Jahren sehr intensiv mit den Themen ESG und ETFs. Gerade bei dem Thema ESG gibt es ja derzeit viele spannende Entwicklungen, über die ich gern und mit viel Freude berichte. Das heisst nicht, dass ich automatisch alles gut finde, was in diesem Bereich gerade so passiert. Zu einigen Themen habe ich eine sehr kritische Meinung, die ich in meinen Texten dann auch vertrete.
Aber auch die Berichterstattung über den Bereich der ETFs macht mir viel Freude, denn es handelt sich hier auch nach mehr als 20 Jahren noch immer um ein echtes Wachstumssegment, in dem innovative Produkte und Investitionsmöglichkeiten geschaffen werden, die zur Demokratisierung der europäischen Investmentindustrie beitragen.
Unsere Branche lebt von Trends. ESG ist klar, gibt es sonst noch einen wirklich grossen Trend?
Mit dem Fokus auf das Thema ESG haben die Medien den Trend zur passiven Geldanlage in ETFs und Indexfonds etwas aus den Augen verloren. Dieser Trend ist aber nach wie vor vorhanden, wobei passive Produkte meiner Ansicht nach auch zukünftig einer der Wachstumstreiber für die europäische Fondsindustrie sein werden.
Der Trend zur passiven Geldanlage könnte sich gerade im Jahr 2022 noch einmal verstärken, denn die durchschnittliche relative Wertentwicklung der aktiven Aktienfondsmanager im Vergleich zu ihrem Vergleichsmassstab ist bisher negativ, das bedeutet, dass ein Anleger, der einfach den entsprechenden Index gekauft hat, ein besseres Ergebnis erzielen konnte als der Anleger, der auf einen durchschnittlichen Fondsmanager gesetzt hat.
Insgesamt betrachtet sieht das Ganze aus Sicht von Investoren sogar noch schlimmer aus, da nur 38.49 Prozent aller Aktienfonds weltweit ihren Vergleichsindex schlagen konnten, das heisst, die Chance bei Fondsauswahl den richtigen Fonds zu finden, lag für die erste Hälfte des Jahres 2022 bei rund 1:2.
Natürlich gibt es auch einige Fondsmanager, die deutliche Mehrerträge erwirtschaften konnten, aber bei vielen von diesen Fonds muss sehr genau hingeschaut werden, wie diese Mehrerträge erzielt wurden.
Grundsätzlich zeigt unsere Untersuchung, dass es sowohl für konventionelle wie auch für ESG orientierte Fondsmanager schwierig ist, in dem derzeitigen Umfeld beständig Mehrerträge für ihre Investoren zu erzielen.
Hier werden sich einige Anleger die sehr berechtigte Frage stellen, warum sie für eine unterdurchschnittliche Wertentwicklung hohe Gebühren bezahlen, wenn es doch passive Produkte gibt, die eine deutlich bessere Wertentwicklung aufweisen und auch noch viel günstiger sind.
Mischfonds sind besonders in Deutschland enorm beliebt. Wie hat sich diese Anlageform im laufenden Jahr entwickelt?
Mischfonds sind im bisherigen Jahresverlauf die beliebteste Anlageklasse in Europa und weisen per Ende Juni Mittelzuflüsse in Höhe von 34.6 Mrd. Euro auf. Dieses starke Interesse an Mischfonds im derzeitigen Marktumfeld wundert mich ein wenig, sieht es doch so aus, als würden die Investoren von festverzinslichen Wertpapieren in Mischfonds wechseln. Wenn man aber bedenkt, dass konservative Mischfonds in der Regel einen Rentenanteil von über 60 Prozent des Portfolios halten und selbst ausgewogene Produkte oftmals mehr als 50 Prozent festverzinsliche Wertpapiere im Portfolio halten, macht ein solcher Wechsel aus meiner Sicht eher wenig Sinn. Denn schliesslich belasten steigende Zinsen die Rentenpapiere in den Mischfonds genauso wie in einem Rentenfonds. Zwar bieten die Aktien bei gemischten Portfolios auch eine gewisse Chance, aber die kommt nicht ohne ein gewisses Risiko.
Eine Marktanalyse, die ich zu diesem Thema im Juni 2022 veröffentlicht habe, hat gezeigt, dass nur wenige Mischfonds in der Lage waren, in den ersten fünf Monaten des Jahres 2022 einen positiven Ertrag zu erzielen. Hier könnte es am Ende des Jahres den einen oder anderen Anleger geben, der von seinem Investment in einem Mischfonds enttäuscht ist.
Link zum Disclaimer
Detlef Glow, MBA (UoW), begann im Jahr 2005 als Leiter der Fondsanalyse für Deutschland und Österreich bei Refinitiv Lipper. Anfang 2007 übernahm er die Leitung für die Regionen Zentral-, Nord- und Osteuropa. Seit Oktober 2010 ist Glow Leiter der Fondsanalyse von Lipper in Europa, dem Nahen Osten und Afrika (EMEA). Zuvor war er als Direktor Portfoliomanagement bei der Feri Wealth Management GmbH in Bad Homburg als Portfoliomanager für vermögende Privatkunden tätig. Seine Karriere begann Detlef Glow neun Jahre zuvor bei der tecis Holding AG in Hamburg, wo er zuletzt als Leiter der Fondsanalyse sowohl für das quantitative als auch das qualitative Fondsresearch der tecis Asset Management AG verantwortlich war.