«Langfristig wollen wir unsere proprietäre Datenwelt in Künstlicher Intelligenz einsetzen»

22.09.2023
Herr Fischer, Künstliche Intelligenz ist derzeit sicher eines der beherrschenden Themen an den Aktienmärkten. Nicht zuletzt KI-Phantasien waren es, die in diesem Jahr die Aktienmärkte nach oben gezogen haben. Wie bewerten Sie das Thema? Ist das nur ein Hype oder steckt ein langfristiger Trend dahinter?
Das Thema Künstliche Intelligenz (KI) hat zwei Seiten. Ihr Einsatz dürfte sowohl unser tägliches Leben als auch die Prozesse in den Unternehmen langfristig verändern. Textroboter, Bildgeneratoren und andere auf KI basierende Systeme könnten zu einem gewaltigen zusätzlichen Produktivitätsschub führen. McKinsey schätzt, dass solche Generative-AI-Technologien einen Produktivitätszuwachs weltweit in einer Grössenordnung von 2.4 bis 4.1 Billionen Euro bewirken könnten. Das entspricht ungefähr dem Bruttoinlandsprodukt (BIP) von Grossbritannien, das sind schon beeindruckende Zahlen. Und das weckt an der Börse natürlich Fantasien.
Aber kommen wir jetzt zur anderen Seite. Und da sind die Experten bei den kurzfristigen Erwartungen nicht ganz so euphorisch, weil eben vieles noch Zukunftsmusik ist und manche Anwendungen noch in der Frühphase sind. ChatGPT kann einiges, auch wir setzten das Tool ein. Aber es hat eben auch noch seine Grenzen, vor allem, was die Aktualität und die Zuverlässigkeit von Daten angeht. Und so ist es auch bei anderen Anwendungen. Deshalb bewerten viele Experten die kurzfristigen Aussichten noch verhalten.
Was heisst das für Sie als Investor?
Solche Erwartungen an eine neue Technologie führen an den Börsen häufig zu Euphorie, das haben wir etwa bei der Tech-Bubble gesehen. Und auch jetzt sieht beispielsweise die Bank of America schon eine «KI-Blase» infolge der hohen Bewertungen einzelner Titel. In diesem Jahr haben die sogenannten «Magnificent Seven», das sind Meta, Tesla, Apple, Amazon, Nvidia, Microsoft und Alphabet, unglaubliche 80 Prozent der Kursgewinne des US-Index S&P 500 geliefert und machen nun fast ein Viertel des gesamten Indexgewichts aus. Da steckt nun sehr viel Hype drin, als Value-Investor muss ich nun versuchen, hinter den Hype zu blicken. Denn mich interessiert natürlich vor allem, ob ein Unternehmen in der Lage ist, damit Geld zu verdienen. Und das muss vielfach erst noch bewiesen werden.
Wie gehen Sie damit um?
Wir haben bereits im Q2 2023 die Stimmung genutzt und in unserem «Frankfurter Modern Value Index» Apple, Meta, Oracle und SAP ausgetauscht und Kursgewinne mitgenommen. Aktuell im Q3 sind noch Adobe, Alibaba und Netflix mit defensiveren Titeln wie Carl Zeiss, Compagnie Financière Richemont und Allianz ersetzt worden. In dem Index haben wir die 25 Unternehmen zusammengefasst, von denen wir auf Sicht der nächsten fünf Jahren den höchsten «Total Shareholder Return» erwarten. Angesichts der hohen Bewertungen gibt es einfach Aktien, die attraktiver sind. In anderen der «Magnificent Seven» wie Alphabet, Amazon oder Microsoft sind wir weiterhin investiert. Das liegt vor allem daran, dass wir Alphabet oder Microsoft aus ihrem Kerngeschäft heraus weiteres Wachstum zutrauen. Auch bei ihnen gibt es eine KI-Fantasie, aber ihre Ertragserwartungen hängen eben nicht alleine an diesem Thema.
Also investieren Sie eher auf Umwegen in KI?
Ich würde es eher so beschreiben: Wir stehen bei dem Thema derzeit noch an der Seitenline. Und da fühlen wir uns ganz wohl, solange wir noch nicht abschätzen können, wie die Chancen tatsächlich sind und wie die weitere Entwicklung verlaufen wird. Wir suchen keine KI-Pure Plays, da wir nicht die Expertise haben, das langfristig einzuschätzen und entsprechende Risiken einzugehen. Es gibt aber Bereiche, die wir abschätzen können, wie den Biopharma-Bereich. Auch hier spielt KI mittlerweile eine Rolle bei der Medikamentenentwicklung und hier finden wir gleichzeitig «wunderbare Unternehmen» mit einem wirtschaftlichen Burggraben und tollen Kapitalrenditen. Sartorius Stedim ist so ein Unternehmen. Als Hersteller von sogenannten «Single-use-containers» profitiert Sartorius Stedim von einer schnelleren Medikamentenentwicklung durch KI, ohne alleine davon abhängig zu sein. Oder die schon genannte Microsoft. Die Integration von ChatGPT in die Suchmaschine Bing hat natürlich für KI-Fantasien gesorgt, aber Microsoft ist mit dem Cloud-Geschäft, den Office-Programmen und der starken Position im Gaming-Bereich sehr gut aufgestellt. KI macht sich also schon bemerkbar, aber wir halten es für sinnvoller, in Geschäftsmodelle zu investieren, die ihre Tauglichkeit bereits unter Beweis gestellt haben.
Nutzen Sie selber KI bei Ihrer Arbeit?
Ja, wobei Art und Umfang noch sehr unterschiedlich sind. Auf der Marketingseite nutzen wir heute schon regelmässig ChatGPT, um Texte, Präsentationen oder Posts zu erstellen. Das ist eine ungeheure Arbeitserleichterung. Vor allem für kleinere Unternehmen wie uns ist KI ein wunderbarer Hebel. Und auch im Research arbeiten wir an Lösungen, um mit KI unsere Arbeit effizienter zu machen. Hier haben wir erste Versuche gemacht, um selbst entwickelte Algorithmen mit Bilanz-, GuV- und Cashflow-Daten zu trainieren. Was wir dabei gelernt haben, ist: so leicht ist das Ganze nicht. Die ersten Ergebnisse waren noch nicht zufriedenstellend. Aber wir bleiben dran und überlegen uns, wie wir nachschärfen können. Langfristig wollen wir unsere eigene proprietäre Datenwelt einsetzen, um dort mit Hilfe von KI noch tiefer zu graben. Wir werden im Bereich KI künftig noch sehr viel mehr machen, etwa bei der Analyse grosser Informationsmengen über NLP-Modelle.
Link zum Disclaimer
Frank Fischer ist Chief Executive Officer (CEO) und Chief Investment Officer (CIO) der Shareholder Value Management AG sowie Berater des «Frankfurter Aktienfonds für Stiftungen». Der 58-jährige ist überzeugter Value-Investor.