Lebenszeichen aus der Private-Equity-Ecke

Initiator und Verwaltungsratsvorsitzender
Mellinckrodt 2 SICAV, Luxemburg-Strassen
mellinckrodt.com
12.08.2018
Herr Dr. Oehm, Sie untersuchen akribisch die Bewertung von Aktien. Ist das schwierig?
Die Bewertung nach Standardkennzahlen ist einfach. Sie abonnieren ein entsprechendes Onlinetool und sortieren nach irgendwelchen Kennzahlen. Fertig. Wenn Sie die Brille eines Private-Equity-Investors aufhaben, sieht die Sache ganz anders aus. Der Faktor Mensch spielt eine enorme Rolle. Wem gehört das Unternehmen, wie sind die Entscheider motiviert, was ist für den Vorstand wichtiger: die Arbeit an der Geschäftsentwicklung oder die Auswahl des neuen Firmenjets. Und dann kommt die Analyse der jeweils relevanten Märkte hinzu. Positionierung des jeweiligen Sektors im Verlauf des Konjunkturzyklus, wichtige Trends, die über den Konjunkturzyklus hinausreichen. Wenn die Meinungsbildung darüber abgeschlossen ist, kommen die Kennzahlen auch wieder in den Fokus. Ist die Guidance realistisch und wo liegen die positiven Überraschungspotenziale.
Aber es ist doch auch viel Geduld gefragt…
Aber ja. Bei uns und auch bei unseren Investoren. Denn nur weil eine Branche an der Börse aus der Mode geraten ist, verkaufen wir unsere Aktien nicht. In solchen Fällen steht eher Nachkaufen auf der Agenda. Das erste Halbjahr 2018 bot hierfür guten Anschauungsunterricht. Wenn die Karawane mit «FANG» (Facebook, Amazon, Netflix, Google) nach oben fährt und vieles Anderes links liegen lässt, braucht es Geduld. In der derzeit noch laufenden Berichtssaison sind wir für diese dann auch belohnt worden. Gute Unternehmenszahlen wurden bei vielen unserer Aktien mit starken Kursanstiegen belohnt. Das reicht noch nicht, um den Rückstand aus dem ersten Halbjahr aufzuholen, aber es zeigt, dass unser Ansatz auch funktioniert.
Wie sind Schweizer Blue Chips aktuell gepreist?
Von der Suche nach «Billigem» raten wir ja schon länger ab. Qualität ist wichtiger und die findet sich zahlreich in der Schweiz. Dies auch deshalb, weil die über die Zyklen besonders krisenfesten spätzyklischen Geschäftsmodelle hier in grosser Zahl zu finden sind. Aber fallen Sie nicht auf die aus unserer Sicht total überverkaufte Story von der Outperformance illiquider Nebenwerte rein. Der aktuelle Fall GAM zeigt, was Illiquidität bedeutet. Die Wissenschaft ist da auch eindeutig: es gibt eine Prämie für Illiquidität. Und es gibt Phasen, in denen auf das Illiquiditätsrisiko eingezahlt wird. Je später der Zyklus, desto grösser die Wahrscheinlichkeit dafür. Sie müssen ja nicht Mega-Caps kaufen. Die Schweiz bietet gerade auch unterhalb von Nestlé, Roche und Novartis einiges, was interessant ist.
Bankaktien könnten wieder interessant sein, liest man da und dort. Wie sehen Sie das?
Interessant ja. Aber sehr selektiv. Nehmen Sie letzten Freitag, den Tag der sich zuspitzenden Türkei-Krise. Die VP Bank stieg um mehr als 2 Prozent, Vontobel war unverändert und die Deutsche Bank fiel um mehr als 4 Prozent. Das zeigt ganz gut die Spannbreite ohne damit sagen zu wollen, welche der drei Banken sich in den nächsten Monaten am besten entwickeln wird. Der neue Chef der Deutschen Bank, Christian Sewing, ist sicher eine bessere Wahl für die Aufgabe als die meisten seiner Vorgänger, bei denen man sich vielfach nicht mal mehr an die Namen erinnert. Ob das reicht, um die Kastanien aus dem Feuer zu holen, bleibt trotzdem abzuwarten. I wish him luck. Bei der VP Bank und bei Vontobel ist natürlich die Eigentümerstruktur ganz anders als bei den meisten europäischen Grossbanken und das macht diese Finanzwerte für uns relativ immer attraktiver.
Werden wir eine Jahresend-Rallye bekommen?
Die Chance dafür ist nicht so klein, wie viele glauben. Die Frage ist allerdings, welche Aktien daran partizipieren. Die USA wohl sicher, Energieaktien auch. Konsum selektiv - lieber Swatch oder Richemont als Ferragamo, bei den Metallen kommt es auf Asien an. Aber interessant sehen Glencore, Teck Resources & Co. auf dem derzeitigen Kupferpreisniveau schon aus.
Der 1965 in Meppen an der Ems geborene Georg Oehm arbeitet seit seiner Banklehre Mitte der 80er Jahre in Frankfurt «rund um die Börse». Nicht nur die Diplomarbeit über den Kurssturz 1987 und seine Promotion über den Rohstoffhandel von Kupfer hatten mit der Börse zu tun. Auch Unternehmenskäufe und -verkäufe sowie die Begleitung von IPOs gehörten zu seinen Tätigkeiten. Seit 2008 bei Mellinckrodt aktiv, ist er heute Verwaltungsratsvorsitzender der Mellinckrodt 2 SICAV in Luxemburg, einem UCITS-Fonds, der in Luxemburg, Deutschland und Österreich zum öffentlichen Vertrieb zugelassen ist.