Live aus Saigon…!

20.03.2015
Herr Winkler, was ist der Grund für Ihre häufigen Aufenthalte in Saigon?
Seit 1994 das Embargo gegen Vietnam aufgehoben wurde, beschäftige ich mich mit diesem neuen Tiger-Staat. Und nachdem 2000 die Börse in Saigon eröffnet wurde und 2001 die USA und Vietnam ein Handelsabkommen abschlossen, habe ich umfangreiche Investments getätigt und besuche Vietnam deshalb drei- bis viermal pro Jahr.
Was macht Vietnam aus Ihrer Sicht so interessant für Investoren?
Mein Interesse für Anlagen in Asien geht bis Ende der Sechzigerjahre zurück, als ich mich noch während meiner Mittelschulzeit für Japan zu interessieren begann. Auf Japan folgten Hongkong, Indien, Südkorea, Taiwan, Thailand, China, Indonesien, etc. Aufgrund der grossen und jungen Bevölkerung hat sich das wirtschaftliche Schwergewicht von Europa/USA nach Asien verlagert. Das Bruttoinlandprodukt von China, berechnet anhand der Kaufkraft der lokalen Währung, ist heute bereits grösser als jenes der USA. Infolge 35 Jahren Krieg und 19 Jahren Isolation ist Vietnam entwicklungsmässig rund 35 Jahre hinter Südkorea und 15 Jahre hinter China, holt aber in atemberaubendem Tempo auf.
Was sind die hauptsächlichsten Wachstumstreiber?
Der wichtigste Faktor für Wirtschaftswachstum ist die demografische Struktur und Entwicklung. Am eklatantesten zeigt sich dies in Japan: Obwohl in unmittelbarer Nähe zu sehr wachstumsstarken Ländern kommt das Land der aufgehenden Sonne trotz unzähligen Konjunkturprogrammen nicht vom Fleck und fällt immer wieder in rezessive Phasen zurück. Dies ist darauf zurückzuführen, dass Japan eine überalternde und sogar schrumpfende Bevölkerung hat. Rentner geben aber viel weniger Geld aus als junge Leute, die eine Familie gründen, ein Auto, ein Eigenheim mit dazugehöriger Einrichtung, etc. erwerben wollen. Daran vermag die sehr aggressive Geldpolitik der Bank of Japan («Abenomics») nichts zu ändern.
Warum Vietnam und nicht China?
Ich hatte früher auch ein bedeutendes China-Engagement, bin aber heute aus verschiedenen Gründen sehr zurückhaltend. Erstens und am wichtigsten altert die chinesische Bevölkerung aufgrund der von 1978 bis 2013 verfolgten Ein-Kind-Politik sehr schnell. Deshalb wird sich das Wachstum von über 10 Prozent sukzessive auf etwa 5 Prozent verlangsamen. Zweitens steuert China auf grosse innenpolitische Probleme zu. Hongkong wird ohne Zugeständnisse von Peking nicht zur Ruhe kommen und macht die Führung Konzessionen, werden auch die Festlandchinesen mehr Freiheiten verlangen. Man kann eben nicht wirtschaftlich öffnen, politisch aber alles beim Alten belassen, vor allem nicht im Internetzeitalter. In Vietnam sind Google, etc. frei zugänglich, es gibt keine Zensur und das Parlament ist nicht nur dazu da, die Entscheide des Zentralkomitees abzusegnen. Es gibt teilweise harsche Kritik an der Regierung und dies vor laufenden TV-Kameras, etwas, was in China völlig undenkbar ist.
Sind die asiatischen Länder, allen voran China, nicht sehr stark von Exporten nach USA und Europa abhängig und deren Entwicklung damit an jene der westlichen Industrieländer gekoppelt?
Das war früher der Fall, hat sich in den letzten Jahren aber stark abgeschwächt und ist zudem von Land zu Land verschieden. Der innerasiatische Handel macht mittlerweile mehr als die Hälfte des Aussenhandels aus und durch eine ganze Reihe von Freihandelsabkommen, insbesondere zwischen den ASEAN-Staaten, wird diese Entwicklung noch stark gefördert. Während China immer noch die globale «Werkbank» ist, sind für Indonesien und Vietnam der Export von Nahrungsmitteln, welche praktisch unabhängig von der Wirtschaftsentwicklung nachgefragt werden, von grosser Bedeutung. War Vietnam vor 25 Jahren noch abhängig von der Nahrungsmittelhilfe der UNO, ist es heute der weltgrösste Exporteur von Reis, Pfeffer, Cashew-Nüssen und Meeresfrüchten sowie der zweitgrösste Exporteur von Kaffee.
Vietnam ist also immer noch ein Agrarland?
Noch lebt die Mehrheit der Bevölkerung von 91 Millionen Menschen auf dem Land und ist in der Agrarwirtschaft tätig. Der Umbau in einen Industriestaat geht aber zügig voran, zieht Vietnam doch ausländische Direktinvestitionen (Foreign Direct Investments - FDI) wie kein anderes Land an. 2014 wurden beispielsweise Investitionsprojekte im Umfang von 20,2 Mrd. US-Dollar angemeldet und bewilligt, aber nur 12,4 Mrd. US-Dollar ausgeführt. Diese Situation besteht schon seit über zehn Jahren, und es hat sich eine Investitionspipeline von mehr als 100 Mrd. US-Dollar aufgebaut. Diese dürfte in diesem Jahr weiter wachsen, ist doch bekannt, dass Samsung verschiedene Projekte mit einem Investitionsvolumen von 10 Mrd. US-Dollar in Vorbereitung hat, welche über 100’000 Arbeitsplätze schaffen werden. Und die thailändische PTT und Saudi Aramco haben eine Machbarkeitsstudie für eine Raffinerie in Mittelvietnam erstellt. Diese hat in der ersten Ausbauphase eine Tageskapazität von 440’000 Fass und wird 22 Mrd. US-Dollar kosten. Mit dem Bau soll 2017 begonnen werden und 2021 ist die Inbetriebnahme geplant. Solche Grossprojekte erklären die Diskrepanz zwischen bewilligten und ausgeführten FDI. Anderseits sichert diese wachsende Investitionspipeline Wirtschaftswachstum auf Jahre hinaus.
Was macht Vietnam für ausländische und insbesondere asiatische Corporate Investors so attraktiv?
Vietnam verfügt über ein grosses Reservoir an jungen und motivierten Arbeitskräften mit guter Grundausbildung zu günstigen Kosten (die Lohnkosten liegen bei etwa einem Drittel von China!). Hinzu kommt, dass sich China mit dem innenpolitisch motivierten Säbelrasseln betreffend Hoheitsrechte über einige unbewohnte Inseln in Japan und Südkorea nicht eben beliebt gemacht hat. Diese beiden Länder sowie Taiwan sind heute die grössten Investoren und verlagern sogar Produktionsstätten von China nach Vietnam.
Angesichts dieser günstigen Wirtschaftsentwicklung müsste die vietnamesische Börse doch heute viel höher stehen als vor der globalen Finanzkrise? Tatsächlich notiert der Index aber heute bei etwa der Hälfte von 2007.
Die Börse von Saigon erlebte 2006/2007 einen eigentlichen Höhenflug. Die überfällige Kurskorrektur wurde durch die in den USA und in Europa grassierende Finanz- und Vertrauenskrise verstärkt und viele ausländische Finanzinvestoren, welche sich von der Euphorie hatten anstecken liessen, zogen sich wieder zurück. Dies führte zu einem Rückgang des Vietnam-Index (VN-Index) um 80 Prozent. Von diesem Rückschlag hat sich die Börse erst teilweise erholt, halten sich die ausländischen Portfolio (im Gegensatz zu den Corporate) Investors doch sehr bedeckt. 2014 haben sie beispielsweise lediglich 243 Mio. US-Dollar investiert, das ist nur etwa ein Fünfzigstel der FDI.
Wie erklären Sie dieses Verhalten der ausländischen Finanzinvestoren?
Die Kenntnisse der asiatischen Tiger-Länder ganz allgemein und von Vietnam im Speziellen sind in den USA und in Europa sehr beschränkt. Diese Märkte werden deshalb stark vernachlässigt und untergewichtet. Und weil Vietnam immer noch Kapitalverkehrskontrollen kennt, wird es vom «hot money» gemieden. Für einmal wirkt sich eine dirigistische Politik positiv aus, wurde Vietnam doch nicht von der durch die wichtigsten Zentralbanken geschaffenen Überschussliquidität nach oben getrieben und ist deshalb immer noch sehr günstig bewertet.
In der Schweiz und in Deutschland ist ein Vietnam-ETF der Deutschen Bank recht beliebt. Sie würden also empfehlen, beispielsweise mit diesem ETF von der günstigen Bewertung und den interessanten Aussichten zu profitieren?
Ich erachte Vietnam als die derzeit interessanteste Makro-Story weltweit und empfehle deshalb ein Engagement in Vietnam. Der erwähnte ETF wie auch derjenige von Van Eck können den Markt aber nicht wirklich abbilden und weisen deshalb eine riesige Underperformance gegenüber dem VN-Index auf. Diese betrug in den letzten drei Jahren 44 Prozent bzw. 48 Prozent, über die letzten fünf Jahre 63 Prozent bzw. 44 Prozent! Hochinteressant ist dagegen die in London (AIM) und in Frankfurt («Parkett» und Xetra) kotierte VietNam Holding (VNH:LN bzw. VH1:GY, ISIN KYG9361X1043), welche den Index in der gleichen Zeitspanne um 48 Prozent bzw. 18 Prozent geschlagen hat. Trotz dieser ausgezeichneten Performance wird VNH mit einem Abschlag von 17 Prozent zum inneren Wert gehandelt. Mit anderen Worten kann man sich an einem ausgezeichnet verwalteten und erstklassigen Portfolio mit einem Discount von 17 Prozent beteiligen!
Nach dem Studium an der Universität St. Gallen (HSG) und Ausbildung bei zwei Schweizer Grossbanken gründete Markus Winkler die VGZ Vermögensverwaltungs-Gesellschaft Zürich. Als Verwaltungsratspräsident heute verantwortlich für die Anlagestrategie. Besonderes Interesse an Unterbewertungssituationen und Emerging Markets. Aufsichts- oder Beirat verschiedener Emerging-Market-Fonds. Mitgründer und während Jahren Vorstand des Verbandes Schweizerischer Vermögensverwalter (VSV) sowie der Schutzgemeinschaft der Investoren Schweiz.