«London ist das Fintech-Mekka Europas»

15.06.2023
Herr Borini, Sie waren gerade mit der HWZ Hochschule für Wirtschaft auf einer Studienreise in London. Um was für ein Programm handelt es sich dabei?
Ich leite nebenamtlich an der HWZ den Lehrgang CAS Future Banking & Digital Transformation. Wir machen die Banker fit für morgen, wir fördern das Verständnis für neue Technologien, neue Kundenanforderungen und letztlich, wie das Geschäftsmodell in Zukunft aussehen wird. Ein Bestandteil dieser 18-tägigen Weiterbildung ist eine Studienreise in das Fintech-Mekka London.
Ist Brexit eigentlich noch ein Thema und spüren die Startups in London die Auswirkungen?
Brexit ist überhaupt kein Thema in der Startup-Szene. Die Fintechs haben sich vom Brexit nicht einschüchtern lassen. Nach wie vor ist der Nährboden für Startups im Königreich ideal. Eine viel grössere Herausforderung ist derzeit das Auftreiben von Venture Capital. Die Bewertungen haben in den letzten Monaten stark abgenommen und der Runway, also bis das Geld ausgeht, reicht bei vielen vielleicht für rund zwölf Monate. Das ist aber eine globale Herausforderung, auch hier in der Schweiz sind Finanzierungsrunden anspruchsvoller geworden.
Was macht London besser als die Schweiz?
Ich würde nicht sagen «besser», vielmehr anders und ihr Weg gefällt mir sehr gut. Grossbritannien hat früher und konsequenter den Fokus auf Tech-Startups gesetzt, im Speziellen Fintech. Die Regierung unter dem damaligen Premierminister David Cameron hatte bereits im Jahr 2014 die Wichtigkeit von neuen Technologien erkannt und mit zahlreichen Massnahmen ein echtes Fintech-Ecosystem entstehen lassen.
Was hat die Regierung gemacht?
Zwei Beispiele von vielen. Angel-Investoren erhalten steuerliche Anreiz bei Investments in Early-Stage-Startups. Diese Finanzierungsphase ist enorm wichtig für ein Startup. Oder mit der unabhängigen Branchenvereinigung Innovate Finance wird seit 2014 die Vernetzung von Fintech mit etablierten Finanzunternehmen gefördert. Dreh- und Angelpunkt ist Level39, ein Co-Working Space mit Eventhallen, Kaffee und Lounges in Canary Wharf. Dieser Fintech Hub ist im zweithöchsten Gebäude von London angesiedelt, inzwischen auf drei Stockwerken, und ringsum sind alle etablierten Banken zu Hause. Die Regierung hat strategisch das Thema angepackt und konsequent umgesetzt. Dieses konsequente Handeln fehlt bei uns ab und an.
Wir haben dafür das Crypto Valley.
Das ist richtig und ist global anerkannt. Aber wir müssen aufpassen, dass wir den Vorsprung nicht verlieren. Auch beim Thema Krypto-/Digital-Assets hat der aktuelle Premier Rishi klare Visionen, um eine führende Rolle zu übernehmen. Wir dürfen uns also nicht ausruhen.
Aber für Fintech ist die Schweiz auch zu klein, oder?
Für B2C-Fintech gebe ich ihnen Recht, im B2B könnten wir global skalieren, sofern die Gründer eine «Think-Big-Mentalität» aufweisen. Der Schweizer Markt ist für B2C zu kompliziert mit vier Landessprachen und einer Population von knapp 9 Millionen Menschen zu klein, so viele leben allein in London. Durch den grossen Heimmarkt im Königreich mischen viele Challenger-Banken und andere Fintechs, wie Freetrading oder Robo-Advisory, den Markt auf.
Sind diese erfolgreich?
Einige davon sind super erfolgreich, ich denke da an Wise, Monzo oder Starling Bank. Diese drei Fintechs schreiben inzwischen Gewinne. Starling Bank hat im letzten Geschäftsjahr knapp 200 Mio. Britische Pfund vor Steuern erwirtschaftet. Oder Revolut wächst unheimlich schnell, inzwischen sind sie in 39 Ländern aktiv und haben rund 30 Millionen Nutzer. Übrigens ist die Schweiz ein Top-10 Markt; seit 2018 ist ein bedeutender zweistelliger Milliardenbetrag von Schweizern in diese App geflossen.
Was ist Ihr Fazit?
Wir machen in der Schweiz schon vieles richtig. Uns geht es vielleicht zu gut, wodurch der Druck aufs Banking nicht so stark ist wie im Vereinigten Königreich. Ich finde, wir müssen den Anspruch haben, das beste Banking der Welt - auch für uns Schweizer (!) - anzubieten. Und das beste Banking geht nur, wenn man aus 100-prozentiger Kunden- und Technologiesicht denkt. Ach, da fällt mir was Spannendes ein. Halbjährlich lässt die UK-Wettbewerbsbehörde Bankkunden die Qualität der Retail-Bankdienstleistungen befragen. Welche Institutionen belegen seit Jahren die ersten Plätze?
Ich vermute, es sind keine etablierten Banken.
Richtig, es sind nicht die Barclays, Lloyds oder Royal Bank of Scotland’s. Aktuell sind es die Neo-Banken wie Starling und Monzo. Das sind die, die wissen, dass exzellente Customer Experience nur mit modernster Technologie möglich ist! Diese haben es auch geschafft, dass sie bei vielen Kunden zur Hauptbankbeziehung geworden sind. Das bedeutet: B2C-Fintechs üben einen Druck auf etablierte Banken aus und das ist gut. So werden nämlich auch die Incumbents besser. Dieser Druck fehlt in der Schweiz.
Link zum Disclaimer
Rino Borini ist Mitgründer des Beratungs- und Medienhauses Scarossa. Das Unternehmen setzt den Fokus auf digitale Transformation der Finanzindustrie sowie «Next Generation Invest» und betreibt unter anderem die Anlegerplattform «10x10.ch» und die Veranstaltungsplattform «Finance 2.0». Rino Borini leitet den Certificate of Advanced Studies (CAS) «Future Banking & Digital Transformation» an der Hochschule Zürich und ist Verwaltungsratspräsident beim WealthTech Descartes Finance. Im Herbst 2020 hat ihn das Wirtschaftsmagazin «BILANZ» zu den «Digital Shapers 2020» gekürt, also den 100 wichtigsten Köpfen, die die Digitalisierung im Land vorantreiben.