Medizinische Innovation im Fokus der Anleger

24.07.2020
Herr Dr. Koller, das 1. Halbjahr 2020 wird in die Geschichtsbücher eingehen. Wie ist es für den Biotechsektor gelaufen?
Geldpolitische, fiskalische und wirtschaftliche Interventionen weltweit führten im 2. Quartal zu einer Erholung der Aktienmärkte von ihrem Erstquartalseinbruch. Die Erwartungen einer raschen Konjunkturerholung stiegen mit den Lockerungen der Lockdowns in China und in den europäischen Ländern, die früh von der SARS-CoV-2-Pandemie betroffen waren. Verstärkt wurde die positive Stimmung durch erste Erfolge bei führenden Impf- und Wirkstoffkandidaten gegen Covid-19 und deren Potenzial einer möglichen Lancierung zum Jahresende 2020 oder zu Beginn des Jahres 2021. Speziell die Gesundheitsmärkte vermochten durch Widerstandsfähigkeit und Dynamik zu überzeugen. Entwickler von Diagnostika, Medikamenten und Impfstoffen zur Bekämpfung und Eindämmung von Covid-19 schnitten erneut besser ab als verbraucherorientierte und zyklische Subsektoren. Innerhalb des Biotechnologiesektors machten Large Caps Boden gut, die grössten Gewinne verbuchten jedoch Mid Caps und einige kleinere Werte. Nach einer längeren Phase der Mittelabflüsse wurde im 2. Quartal die Erholung der Branche an der Börse durch Mittelzuflüsse getrieben, darunter auch zahlreiche IPOs, Sekundärmarktgeschäfte und Anleiheangebote.
Was heisst das in konkreten Zahlen?
Nach einer starken Korrektur legte der S&P Index um über 20 Prozent im 2. Quartal zu, während die Gesundheitsmärkte von einer noch stärkeren Dynamik geprägt waren. Der Nasdaq Biotech Index verbucht ein Plus von knapp 27 Prozent.
Wie verlief die Entwicklung von BB Biotech?
Im 2. Quartal 2020 legte der Aktienkurs von BB Biotech um 32.1 Prozent in Schweizer Franken zu und weist für die erste Jahreshälfte 2020 eine Gesamtrendite einschliesslich Dividende von 11.4 Prozent in Schweizer Franken aus.
Haben Sie neue Investments getätigt?
Wir haben am Börsengang von Generation Bio teilgenommen und so die Portfolioallokation im Bereich Genmedizin ausgebaut. Generation Bio befindet sich noch in einem frühen Entwicklungszyklus, ist aber aufgrund seines Potenzials für längere DNA-Inserts, Tissue Targeting und der Mehrfachdosierung bei Patienten mit seltenen oder weitverbreiteten Erkrankungen ein vielversprechendes Investment.
Kann die Biotechbranche von der Corona-Pandemie profitieren?
Ja und Nein. Gelingt es, die Corona-Pandemie dauerhaft zu beseitigen, wird breitenwirksam sichtbar, dass medizinische Innovation in ihrer Gesamtheit eine grosse gesellschaftliche, wirtschaftliche und politische Relevanz hat. Davon werden langfristig sowohl der Gesundheits- wie auch der Biotechsektor profitieren. Die Mehrheit der Unternehmen, welche an der Bekämpfung des Covid-19-Virus arbeiten, sei es in der Impfstoffentwicklung, Akutbehandlung oder im diagnostischen Bereich, haben verkündet, dass sie den Zugang zu ihren Produkten zur Lösung dieser Pandemie als oberste Priorität setzen und nicht die Gewinnmaximierung. Viele Gesellschaften wollen aktiv einen Beitrag zur Lösung leisten. Für die Biotechbranche bietet sich eine einmalige Chance, sich in ein positives Licht zu rücken. Das Ansehen des Sektors hat in den letzten Jahren teilweise in der Öffentlichkeit gelitten, denn Themen wie hohe Medikamentenpreise sind intensiv debattiert worden.
Was erwarten Sie von der 2. Jahreshälfte?
Die Auswirkungen der Lockdowns auf die globale Wirtschaft und Gesellschaft veranlassten Regierungen dazu, in diagnostische Testverfahren zu investieren und Vereinbarungen über den Masseneinkauf von Covid-19-Therapeutika und -Impfstoffen auszuhandeln. Aus unserem Portfolio erwarten wir einen stetigen Newsflow, was Studienergebnisse aber auch Zulassungen betrifft. Mit Spannung werden hier natürlich die Daten von Moderna zu seinem SARS-CoV2-Impfstoffkandidaten mRNA-1273 in den kommenden Wochen erwartet. Darüber hinaus dürfte die Dynamik innerhalb des Biotechsektors weitere Börsengänge und Kapitalerhöhungen begünstigen, welche die Bilanzen der Firmen stärken, die die Entwicklung von Technologien und Medikamenten der nächsten Generation vorantreiben.
Warum investieren Sie vermehrt in klein- und mittelkapitalisierte Biotechunternehmen?
Wir gehen davon aus, dass Arzneimittel, die auf neuartigen Technologien wie mRNA basieren, in den kommenden Jahren mit weiteren Produkten auch grösseren Patientenpopulationen zugänglich gemacht werden. Dementsprechend steigt das Kommerzialisierungspotenzial. Knapp die Hälfte aller neu zugelassenen Medikamente stammt aus den Laboren von Biotechs. Mittelgrosse und kleinere Biotechfirmen sind nach unserer Auffassung erfolgreicher darin, neue Produkte und Plattformen zu entwickeln. Dementsprechend haben wir unser mit bis zu 35 Beteiligungen recht konzentriertes Portfolio ausgerichtet. Unternehmen mit einem Börsenwert von 5 bis 30 Mrd. US-Dollar, die in der Regel bereits marktreife Produkte besitzen und mehrheitlich profitabel sind, stellen die Hälfte der Portfoliogewichtung. Ein weiteres Drittel besteht aus Firmen, die mit ihren Technologien vor dem Durchbruch stehen und eine Marktkapitalisierung von 1 bis 5 Mrd. US-Dollar ausweisen.
Ist dadurch nicht auch das Risiko höher?
Die Herausforderung bei Biotechinvestments liegt darin, die wissenschaftlichen Neuigkeiten und die Risiken der medizinischen und klinischen Entwicklungen richtig einzuschätzen. Dazu kommen andere Faktoren wie regulatorische Hürden, Preisverhandlungen und die Marktpositionierung von Produkten. Die Hebelwirkung von Erfolg und Misserfolg ist aufgrund der Kapitalintensität dieser Industrie sehr gross: eine gute oder eine schlechte Nachricht kann den Aktienkurs stark bewegen. Darum ist es sehr wichtig, ein über Indikationsgebiete, Reifegrad und Marktkapitalisierung diversifiziertes Portfolio zu konstruieren und kontinuierlich weiterzuentwickeln. Aktuell besteht unser Portfolio zu 37 Prozent aus Firmen, die im Bereich der seltenen Erkrankungen, also Indikationen mit häufig genetischem Ursprung, unterwegs sind. Weitere 27 Prozent der Unternehmen entwickeln in der Onkologie neue Therapien und Medikamente.
Link zum Disclaimer
Dr. Daniel Koller trat 2004 bei Bellevue Asset Management ein und ist als Senior Portfolio Manager im Bereich Biotechnologie mit Spezialgebiet Herz-Kreislauf-Krankheiten tätig. Seit 2010 ist er Head Management Team der börsenkotierten Beteiligungsgesellschaft BB Biotech AG. Vor seinem Eintritt bei Bellevue Asset Management war er während vier Jahren in der Finanzindustrie tätig, zuerst in der Funktion als Aktienanalyst bei UBS Warburg, danach als Private-Equity-Investor bei equity4life. Daniel Koller studierte Biochemie an der ETH Zürich und doktorierte im Bereich Biotechnologie während seiner Tätigkeit bei Cytos Biotechnology.