«Medtech und Hightech gehen zusammen»

14.10.2016
Herr Blum, wie hat sich die Stimmung gegenüber dem Vorjahr entwickelt?
Vor einem Jahr waren die Investoren noch nicht zu 100 Prozent überzeugt, dass die Branche wieder im Schnitt um 5 Prozent und mehr wächst. Inzwischen sind sie von der Nachhaltigkeit überzeugt.
In welche Richtung entwickeln sich die Geschäftsmodelle?
Immer mehr Branchengrössen werden zu Komplettanbietern. Medtronic ist ein gutes Beispiel für die vertikale Integration bei den Services in den Spitälern, Sonova wiederum für den Zugang zu Services für Endkunden in der Hörgerätebranche über Audiologen.
Sonova verstärkt sich mit dem Zukauf von Audionova. Ein Trend für die gesamte Branche?
Sehr viele Firmen haben ihre Bilanzen verbessert und sind jetzt in der Lage, im aktuellen Niedrigzinsumfeld neues Fremdkapital für Akquisitionen aufzunehmen. Tiefe Zinsen sind das eine, das andere ist das Einhalten von Kennziffern, um zu Bilanzen zu stärken, etwa der Nettoverschuldung gegenüber dem Free Cashflow, der Faktor 2,5 beim Verhältnis von Firmenwert zu operativem Gewinn auf EBITDA-Basis. Letztendlich erwarte ich, dass nach Medtronic, Abbott Labs und Johnson & Johnson eine vierte Branchengrösse durch Zukäufe zu einem Komplettanbieter avanciert. Ob es sich dabei um Boston Scientific, Stryker oder Zimmer handelt, werden wir noch sehen.
Sind Zukäufe unternehmensspezifisch oder sind einzelne Subsektoren besonders von der Konsolidierung betroffen?
In gewisser Hinsicht trifft beides zu. Medtronic ein Beispiel für die vertikale Integration bei den Services in den Spitälern, Sonova ein Beispiel beim Zugang zu Services für Endkunden in der Hörgerätebranche über Audiologen. Die Firma hat eigene Plattformen bei Hörgeräten. Während die Läden als Basis für Erstkontakt mit Endkunden und für Ersatzteile dienen, gewinnen diese Technologieplattformen an Bedeutung. Zum Beispiel wenn die Kunden per App auf dem iPad mit den Audiologen Kontakt aufnehmen, um das Gerät per Autodiagnose zu überprüfen.
Wie können sich Nischenanbieter behaupten?
Straumann hat einen hohen Marktanteil in einer Nische bei Zahnimplantaten erreicht. Darauf aufbauend hat die Firma Produkte in anderen Bereichen wie Zahnprothesen oder Geweberegeneration lanciert, und damit ebenfalls hohe Wachstumsraten erreicht. Darüber hinaus sind sie vom Premium-Preissegment in andere Preisklassen vorgestossen, um etwa Märkte in Schwellenländern wie Brasilien abzudecken.
Welche Unternehmen haben Sie auf der Konferenz besonders überzeugt?
Baxter hat uns gut gefallen. Der neue Vorstandschef hat die Aufgabe bei Covidien im Sinne von Restrukturierung und Bilanzstärkung schon erfüllt, ehe die Firma von Medtronic übernommen wurde. Dabei ging die Initiative für die Transaktion von ihm selbst aus. Dasselbe setzt er jetzt bei Baxter um. Aktuell ist das Gewinnwachstum bei Baxter eher von der Restrukturierung als vom Gesamtmarkt abhängig. Kurz: Baxter ist ein Allwetterinvestment.
Trifft das auch für Gesundheitsdienstleister wie Fresenius zu?
Fresenius ist bei uns ein Kerninvestment. Die geplante Übernahme von Quirónsalud, dem grössten Betreiber von Privatkliniken in Spanien, wird das Meisterstück des neuen Vorstandschef Stephan Sturm, der als Finanzvorstand schon lange dabei ist. Die Eingliederung wird bis zu zwei Jahre in Anspruch nehmen. Danach werden andere Märkte wie Grossbritannien, wo private Klinikbetreiber gegenüber öffentlichen Spitälern nicht benachteiligt werden, ins Visier geraten.
Welche Turnaround-Kandidaten haben auf der Konferenz von Goldman Sachs Highlights gesetzt?
Bei Elekta haben wir nach der Konferenz Positionen aufgebaut. Das neue Management hat einen exzellenten Eindruck hinterlassen. Es hat operative Verbesserungen eingeleitet, dazu könnte ein neues Produkt, das Magnetresonanz-Scanning mit der Strahlentherapie etwa bei Lungentumoren kombiniert, eine neue Einnahmequelle bilden.
Werden IT-Grössen wie IBM oder Alphabet in die Medizintechnik vorstossen?
Letztendlich werden Big Hightech und Big Medtech Partnerschaften eingehen. Nehmen wir das Beispiel der künstlichen Bauchspeicheldrüse. Um Geräte zu entwickeln, die den Glukose- und Insulinspiegel dauerhaft steuern, bedarf es den Datenzugriffs aus der Cloud. Zugleich kommen Firmen ins Spiel, die Sensoren für die Glukosemessung entwickeln. Dieses Zusammenspiel gewinnt an Dynamik.
Stefan Blum trat 2008 bei Bellevue Asset Management AG ein und ist Lead Portfolio Manager des BB Adamant Medtech (Lux) Fonds. Er verfügt über 15 Jahre Berufserfahrung im Bereich Healthcare. Vor seinem Eintritt bei Bellevue Asset Management war er während vier Jahren verantwortlich für die Betreuung der Investoren beim weltgrössten Hörgerätehersteller Sonova. Bei der Bank Sarasin (heute Bank J. Safra Sarasin) war Stefan Blum von 1996 bis 2000 als Finanzanalyst tätig und betreute den Medizinaltechnik- und Hightech-Sektor. Ausserdem leitete er die Finanzabteilung von Obtree Technologies Inc. und beriet Schweizer börsennotierte Unternehmen in strategischen Investor-Relations-Fragen. Stefan Blum schloss sein Studium in Wirtschaftswissenschaften an der Universität St. Gallen ab und ist Absolvent der AZEK.