«Meine Vision: Aus Anlegern und Beratern ETF-Profis machen»

13.10.2014
Herr Hecher, Sie zählen in Deutschland, Österreich und der Schweiz zu den besten Kennern der ETF-Industrie. Gab es für Sie dieses Jahr handfeste Überraschungen?
Die grossen Überraschungen gab es eher in der Vergangenheit. Vielmehr war die Entwicklung in 2014 zu erwarten: Vanguard hat Erfolg mit seiner grundsätzlichen Niedrigpreisstrategie und demonstriert dies an den Nettomittelzuflüssen auf seinen Vanguard S&P 500 Index UCITS ETF. Die Preisstrategie für Core Produkte in Kombination mit einer Umwandlung zahlreicher ETFs von synthetischer auf physische Replikation ermöglicht Deutsche Asset & Wealth Management wieder eine erfreuliche Zunahme des verwalteten Vermögens. Bei UBS wirkt sich die Übernahme von Credit Suisse ETFs durch BlackRock sowie der Ausbau der Vertriebsstruktur positiv auf das Geschäft aus.
Was halten Sie vom Wettlauf bei den Gebührensenkungen?
Für den Anleger ist da jede Meldung zu diesem Thema positiv zu sehen. Gerade bei ETFs auf die Kernmärkte hat der Anleger inzwischen mehrere Anbieter zur Auswahl, die ihre ETFs zu äusserst attraktiven Gebühren (häufig unter 0,1 Prozent p.a.) anbieten. Da macht Investieren Spass, und die teuren aktiv gemanagten Fonds werden zunehmend überflüssiger. Für die Anbieter bedeutet dies dagegen mehr Zwang zur Grösse, um Einnahmerückgänge auf der Gebührenseite durch Wachstum beim verwalteten Vermögen auszugleichen. Möglicherweise bedeutet dies eine weitere Konzentration der Anbieter in der Zukunft. ETF-Anbieter, die neu in Europa einsteigen, haben dann nur als Nischenanbieter mit ETFs auf Spezialthemen eine Chance auf dem Markt.
Smart-Beta-ETFs spriessen wie Pilze aus dem Boden. Welchen Mehrwert liefert Ihrer Meinung nach das stetig wachsende Angebot?
Der überwiegende Teil der Aktienindizes gewichten Aktien im Index gemäss ihrer Marktkapitalisierung. Dies führt dazu, dass diese Indizes häufig eine hohe Konzentration zugunsten grosskapitalisierter Unternehmen aufweisen. Beispielsweise deckt man bereits mit den 51 grössten Unternehmen des STOXX Europe 600 Index die Hälfte der Indexmarktkapitalisierung ab.
Smart-Beta-Indizes und die darauf basierenden ETFs bieten hier Alternativen wie beispielsweise die Gleichgewichtung als maximale Dekonzentration oder Minimum-Varianz-Ansätze mit dem Ziel, das Risiko zu reduzieren. Aktuelle Trends bei neuaufgelegten Smart-Beta-ETFs von Deutsche Asset & Wealth Management und iShares sind die Abbildung spezieller Faktoren wie Value, Qualität, Grösse und Momentum.
Von ETF-Anbietern hört man immer wieder, dass Privatanleger die Produkte noch nicht entdeckt hätten. Was sagen Sie dazu?
Leider trifft diese Aussage weitgehend zu. Der Lichtblick ist eine überschaubar grosse Gruppe aufgeklärter selbstgesteuerter Anleger, die mit dem Vertrauen zu ihrem Bankberater längst abgeschlossen haben und ihr Schicksal als Anleger selbst in die Hand nehmen. ETFs werden gekauft und diese Anlegergruppe informiert sich ausreichend über Anlagemöglichkeiten mit ETFs, um in der Lage zu sein, dies im eigenen Depot umzusetzen. Bankberater sind angehalten, das Thema ETFs im Beratungsgespräch möglichst zu vermeiden, da ETFs keine Provisionen zahlen und man dem Kunden lieber teure Bankprodukte oder Investmentfonds verkauft, die hohe Provisionen zahlen. Ein europaweites Provisionsverbot für alle Finanzprodukte wäre im Sinne der Anleger sehr zu begrüssen und würde ETFs in der Beratung gegen Honorar fest verankern.
Wie lautet Ihre Einschätzung hinsichtlich des Wachstums des europäischen ETF-Marktes?
Eine Studie der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft PwC prognostiziert ein jährliches globales Wachstum von rund 15 Prozent für die in ETFs investierten Anlagegelder, während für die gesamte Asset-Management-Industrie 6 Prozent als Vergleichsgrösse genannt wurde. Dieser Einschätzung schliesse ich mich aus Überzeugung an und erwarte, dass dies auch für den Teilmarkt Europa eintreten wird.
Können Sie ein paar Tipps geben, was ETF-Anleger noch besser machen könnten?
- Ausreichend persönliche Zeit für den Vergleich von ETFs bei der Auswahl investieren.
- Auf die Kosten achten, aber auch Kriterien wie Thesaurierung oder Ausschüttung der Erträge, die Abbildungsmethode und die Eigenschaften des abgebildeten Index beachten.
- Diversifizieren durch Festlegen einer auf die persönliche Risikostruktur passende Asset Allocation, d.h. geeignete Quoten für Aktien, Anleihen und Rohstoffe definieren.
Noch ein paar Worte zu Ihrem Geschäft. Wie läuft es?
Neben der Deutsche Börse AG arbeite ich nun auch mit der Wiener Börse bei der Ausbildung rund um das Thema ETFs zusammen. In Partnerschaft mit dem «EXtra-Magazin», der führenden monatlich erscheinenden ETF-Publikation in Deutschland, veranstalte ich regelmässig Webinare für Einsteiger.
Das neu entwickelte ETF-Learning-Management-System «ETF-Profiwissen» der delta one academy richtet sich an Mitarbeitende im Fondsvertrieb, der Vertriebssteuerung und der Fonds- und Produktselektion, Kundenberater in der Vermögensverwaltung und im Private Banking, unabhängige Finanzberater sowie alle Mitarbeitenden von Kreditinstituten und fortgeschrittene selbstentscheidende Privatanleger, die an innovativen und effizienten Anlagelösungen interessiert sind. Der entscheidende Vorteil ist, dass sie orts- und zeitunabhängig einen mehrstündigen Intensivkurs über ETFs im Büro oder zuhause am Rechner absolvieren können. Das Produkt ist seit drei Monaten auf dem Markt, kann bereits Absolventen aus der Beraterlandschaft vorweisen, wird inhaltlich stetig weiterentwickelt und um Aktuelles aus der ETF-Welt ergänzt.
Was haben Sie sich fürs kommende Jahr auf die Fahne geschrieben?
Neben den Präsenzseminaren steht insbesondere die Vermarktung des ETF-Learning-Management-Systems «ETF-Profiwissen» im Vordergrund. Eine Neuauflage meines Fachbuches «Anlegen wie die Profis mit ETFs» steht wohl erst in 2016 an.
Claus Hecher ist ein erfahrener ETF-Experte und Inhaber der delta one academy in München, deren Dienstleistungsangebot sich auf Ausbildung und Verkaufstraining rund um das Thema ETFs fokussiert. Im Mai 2013 ist sein Fachbuch «Anlegen wie die Profis mit ETFs» im Finanzbuchverlag München erschienen. Der Diplom-Kaufmann begann seine Karriere bei der Deutsche Bank und verfügt mittlerweile über mehr als 25 Jahre Erfahrung an den Kapitalmärkten. Zu seinen Stationen als Derivatespezialist zählen Frankfurt, Zürich und London. Bis 2012 war er in leitender Funktion für die weltweit bedeutendste ETF-Marke iShares der US-Fondsadresse BlackRock tätig. Im Anschluss hat er die französische ETF-Boutique Ossiam bei ihrem Markteintritt in Deutschland beraten.