«Meine Vision: Aus Anlegern und Beratern ETF-Profis machen»

01.10.2015
Herr Hecher, Sie zählen in Deutschland, Österreich und der Schweiz zu den besten Kennern der ETF-Industrie. Gab es für Sie dieses Jahr handfeste Überraschungen?
Die grossen Überraschungen gab es eher in der Vergangenheit. Keine Überraschung ist auch, dass die in ETF investierten Vermögen stark wachsen. Das wird auch in Zukunft so bleiben.
Trotz der Unruhe an den Aktienmärkten sind die Zuflüsse insbesondere in ETFs, die europäische Aktienindizes abbilden, erfreulich, während im Vorjahr US-Aktien stärker im Fokus standen. ETFs auf den chinesischen und die anderen asiatischen Aktienmärkte sind in 2015 nicht gefragt, ETFs auf Schwellenländer kaum. Bei den Anleihen-ETFs können selbst die Aussichten auf höhere US-Leitzinsen und die Feststellung, dass die Spreads für Unternehmensanleihen sehr niedrig sind, den Anlegern den Appetit darauf nicht verderben. Das zunehmende Angebot an währungsgesicherten ETFs findet grossen Anklang bei den Anlegern. Verlierer unter den ETPs sind auch in 2015 wieder die Gold-ETPs.
Das Angebot an Smart Beta ETFs wächst ständig. Welchen Mehrwert liefert Ihrer Meinung nach das stetig wachsende Angebot?
Der überwiegende Teil der Aktienindizes gewichtet Aktien im Index gemäss ihrer Marktkapitalisierung. Dies führt dazu, dass diese Indizes eine hohe Konzentration zugunsten grosskapitalisierter Unternehmen aufweisen. Dies ist der Hauptkritikpunkt an der klassischen Indexgewichtung.
Smart Beta Indizes und die darauf basierenden ETFs bieten hier Alternativen wie beispielsweise die Gleichgewichtung als maximale Dekonzentration oder Minimum-Varianz-Ansätze mit dem Ziel, das Risiko zu reduzieren. Aktuelle Trends bei neuaufgelegten Smart Beta ETFs sind die Abbildung spezieller Faktoren wie Value, Qualität, Grösse und Momentum. Interessant ist, dass sich auf diesem Gebiet auch neue Anbieter wie WisdomTree und First Trust tummeln und für frischen Wind in der Branche sorgen.
Wenngleich die Anzahl der Smart Beta ETFs stark zunimmt, machen die verwalteten Vermögen allerdings in Relation zum ETF-Gesamtmarkt erst einen kleinen einstelligen Prozentsatz aus. Die Absatzzahlen in diesem Teilsegment sind nach wie vor schwach.
Von ETF-Anbietern hört man immer wieder, dass Privatanleger die Produkte noch nicht entdeckt hätten. Was sagen Sie dazu?
Leider trifft diese Aussage weitgehend zu. Eine überschaubar grosse Gruppe aufgeklärter selbstgesteuerter Anleger, die mit dem Vertrauen zu ihrem Bankberater längst abgeschlossen haben und ihr Schicksal als Anleger selbst in die Hand nehmen, wächst gemäss einer Umfrage bei Direktbanken stetig, wobei das Wachstumspotenzial noch sehr gross ist. ETFs werden gekauft und diese Anlegergruppe informiert sich ausreichend über Anlagemöglichkeiten mit ETFs, um in der Lage zu sein, dies im eigenen Depot umzusetzen.
Können Sie ein paar Tipps geben, was ETF-Anleger noch besser machen könnten?
- Ausreichend persönliche Zeit für den Vergleich von ETFs bei der Auswahl investieren.
- Auf die Kosten achten, aber auch Kriterien wie Thesaurierung oder Ausschüttung der Erträge,
die Abbildungsmethode und die Eigenschaften des abgebildeten Index beachten. - Diversifizieren durch Festlegen einer auf die persönliche Risikostruktur passenden Asset
Allocation, d.h. geeignete Quoten für Aktien, Anleihen und Rohstoffe definieren. - Wer es bequem haben will, soll sich die inzwischen zahlreich angebotenen indexierten
Anlagelösungen mit ETFs anschauen, egal ob reine ETF-Dachfonds oder synthetisch
abgebildete Asset-Allocation-Produkte.
Noch ein paar Worte zu Ihrem Geschäft. Wie läuft es?
Neben Präsenzseminaren biete ich das in 2014 entwickelte ETF-Learning-Management-System «ETF-Profiwissen» an. Es richtet sich an Mitarbeitende im Fondsvertrieb, der Vertriebssteuerung und der Fonds- und Produktselektion, Kundenberater in der Vermögensverwaltung und im Private Banking, unabhängige Finanzberater sowie alle Mitarbeitenden von Kreditinstituten und fortgeschrittene selbstentscheidende Privatanleger, die an innovativen und effizienten Anlagelösungen interessiert sind. Der entscheidende Vorteil ist, dass sie orts- und zeitunabhängig einen mehrstündigen Intensivkurs über ETFs im Büro oder zuhause am Rechner absolvieren können. Das Produkt ist seit gut einem Jahr auf dem Markt, kann bereits Absolventen aus der Beraterlandschaft vorweisen, wird inhaltlich stetig weiterentwickelt und um Aktuelles aus der ETF-Welt ergänzt. Allerdings muss ich feststellen, dass sich die Bereitschaft für diese Art von Training noch entwickeln muss.
Claus Hecher ist ein erfahrener ETF-Experte und Inhaber der delta one academy in München, deren Dienstleistungsangebot sich auf Ausbildung und Verkaufstraining rund um das Thema ETFs fokussiert. Im Mai 2013 ist sein Fachbuch «Anlegen wie die Profis mit ETFs» im Finanzbuchverlag München erschienen. Der Diplom-Kaufmann begann seine Karriere bei der Deutsche Bank und verfügt mittlerweile über mehr als 25 Jahre Erfahrung an den Kapitalmärkten. Zu seinen Stationen als Derivatespezialist zählen Frankfurt, Zürich und London. Bis 2012 war er in leitender Funktion für die weltweit bedeutendste ETF-Marke iShares der US-Fondsadresse BlackRock tätig. Im Anschluss hat er die französische ETF-Boutique Ossiam bei ihrem Markteintritt in Deutschland beraten.