Modelle und Teamwork als tägliches Brot

06.06.2014
Herr Härter, Sie kümmern sich als Chefstratege um die Anlagepolitik von Swisscanto. Können Sie erklären, was Swisscanto macht?
Wir sind ein Schweizer Asset Manager mit einem Gruppenvermögen von rund 51,9 Mrd. Schweizer Franken, der seinen Kunden umfassende Dienstleistungen in der Vermögensverwaltung und Vorsorge anbietet. Nummer 4 im Bereich Anlagefonds Schweiz; grösste Anlagestiftung für Pensionskassen in der Schweiz. Swisscanto befindet sich im Besitz der Schweizer Kantonalbanken. Zudem ist Swisscanto für seine Vorreiterrolle bei nachhaltigen Anlagen sowie für die jährlich publizierte Studie «Schweizer Pensionskassen» bekannt.
Und wie sieht Ihre Arbeit als Chefstratege aus?
Ein Grossteil der täglichen Arbeit besteht darin, diverse Modelle aufzudatieren, neue Modelle zu entwickeln und den täglich relevanten Nachrichtenfluss zu analysieren und sich mit Arbeitskollegen aus verschiedenen Bereichen regelmässig auszutauschen. Spätestens seit der Finanzkrise ist leider die Analyse zukünftigen Zentralbankverhaltens fast allentscheidend und somit unnatürlich wichtig geworden. Das Studium von Fach-Artikeln (Finance & Economics) finde ich ebenfalls sehr wichtig. Und - last but not least - was macht die Konkurrenz und mit welchen Begründungen empfehlen die sogenannten Sell-Side-Strategen und -Analysten welche Anlagen? Man sollte stets darüber informiert sein, wie sich «die Anderen» positionieren und was die Konsensus-Empfehlungen sind.
Sind Sie Teil eines Teams oder treffen Sie Entscheidungen alleine?
Alle Entscheide sind breit durch verschiedene Teams und ein Investment-Komitee abgestützt. Wir glauben, dass es sehr wichtig ist, dass beispielsweise Anlageentscheide im Aktienbereich auch durch Informationen, welche im Fixed-Income-Team erarbeitet werden, abgestützt werden. Es ist wichtig, die Dinge aus unterschiedlichen Blickwinkeln zu betrachten und widersprüchliche Meinungen zuzulassen, wenn man zu guten Entscheiden kommen will.
Haben Sie auf dem Höhepunkt der Finanzkrise viele schlaflose Nächte gehabt? Ist Ihre Arbeit nun ruhiger geworden?
Die derzeitige Ruhe an den Finanzmärkten erachte ich als trügerisch. Man kann sagen, dass die Zentralbanken systematisch Volatilität verkauft haben und somit auf künstlich tiefe Niveaus gedrückt haben. Warum? Weil immer dann, wenn die Märkte wegen irgendetwas beunruhigt waren, die Zentralbanken weitere Stützungsmassnahmen durchgeführt oder wenigstens angekündigt haben. Ich befürchte deshalb, dass die Welt deutlich riskanter ist, als es die tiefen Volatilitäten anzeigen und die nächste Finanzkrise weniger als Jahre in der Zukunft liegt. Da die wirtschaftspolitische Munition weitgehend verschossen ist… (man kann die Zinsen nicht auf null senken, wenn sie schon bei null sind, man kann keine keynesianischen Staatsausgabenerhöhungsprogramme durchführen, wenn man die Staatsschulden bereits auf nicht nachhaltig tragbare Niveaus hochgejagt hat und man kann auch kein klassisches QE machen, wenn man bereits 70 Prozent der Staatsschulden aufgekauft hat)… geht man weitgehend «nackt» in die nächste Finanzkrise. Der derzeitige Wirtschaftsaufschwung dürfte zu kurz sein, um richtig aufzumunitionieren, d.h. die Zinsen zu erhöhen, die Staatsschuld wesentlich abzubauen und die riesigen Bestände an Staatsanleihen in den Zentralbankbilanzen zu reduzieren. Deshalb sollte man eigentlich schon jetzt «ein bisschen nervös sein».
Mit welchen Produkten decken Sie Ihre Ideen ab? Kommen nebst aktiv verwalteten Fonds auch ETFs und Strukturierte Produkte zum Zuge?
Wir setzen auch ETFs ein, beispielsweise um ganz gezielt in Teilsegmenten zu investieren. Dies haben wir beispielsweise gemacht, um Positionen im russischen Aktienmarkt aufzubauen. Bezüglich Strukturierter Produkte sind wir zurückhaltend. Für grosse institutionelle Anleger ist es zumeist sinnvoller statt Strukturierten Produkten sogenannte Excess Return Swaps einzugehen, die genau auf die jeweiligen Bedürfnisse zugeschnitten werden. Da Privatanleger dies nicht tun können, müssen diese eben auf Strukturierte Produkte ausweichen.
Sie unterhalten einen vielbeachteten Blog. Können Sie dazu ein paar Worte sagen?
Das Entwerfen von Posts macht wirklich Spass! Wo sonst kann man über Ganzkörpervergoldung (und Gold als Anlageklasse), vegetarische Haie (und Moral Hazard der EZB), Miniröcke (und Kointegrationsaktienbewertungsmodelle) und den jüngsten Beitrag Krieg und Frieden und russische Aktien schreiben? Das Medium Blog verträgt mehr «Klartext» und Schärfe und muss nicht so humorfrei sein wie manche formalere Medien.
Schauen Sie, was Analystenkollegen schreiben oder schwimmen Sie dann und wann auch gerne gegen den Strom?
Es ist wichtig, was die Konkurrenz denkt und warum sie das denkt, was sie denkt. Diese Aussage gilt übrigens nicht nur für Asset Manager, sondern auch für Zentralbanken und andere wirtschaftspolitische Akteure. Insbesondere bei den Zentralbanken muss man zwischen den Zeilen lesen. Wenn man dies tut, so kommt man meiner Ansicht nach übrigens zur Aussage, dass die Zentralbanken absichtlich «behind the curve» sein wollen, das heisst mit anderen Worten, unerwartete Inflation generieren wollen, um das Verschuldungsproblem, welches die Weltwirtschaft immer noch plagt, etwas abzumildern. Das heisst, sie werden weiterhin kommunizieren, dass es trotz Tiefzinspolitik und Zentralbankgeldschöpfung kein Inflationsproblem geben wird. Werden in Zukunft erhöhte Inflationsraten ausgewiesen, werden diese mit dem Hinweis, dass es sich um ein temporäres Phänomen handeln würde, «abgetan werden» (man beachte die grammatikalische Verwendung der Zeiten!).
Welche Ihrer Ideen der letzten Monate liefen besonders gut?
Russische Aktien. Das Unterbewertungssignal war so gross, dass sich ein Kauf trotz der Ukraine-Krise aufdrängte. Besonders gut lief auch der Tipp Italienische Aktien aus dem Minirock-Blog vom 24. Januar 2013. Erfolgreich im Sinne vermiedener Verluste war auch der Ratschlag, Vorsicht vor physischen Investitionen in Gold. Danke, dass Sie nicht das Gegenteil gefragt haben.
Haben Sie einen heissen Tipp für unsere Leser?
Derzeit leider nein, es drängt sich nichts wirklich auf, da die Extremsignale fehlen. Ich habe aber einen «kalten und vielleicht langweiligen Tipp mit potentiellem heissen Ende». Geduld ist nicht nur die Mutter aller Tugenden, sondern auch die Mutter (oder Vater) von Extremsignalen. Wie gesagt, diese fehlen insbesondere im Aktienbereich derzeit sowohl was den Einstieg, als auch was den Ausstieg betrifft. Insofern lautet mein heisser Tipp: abwarten.
Thomas Härter hat in Freiburg i. Breisgau Volkswirtschaft studiert, früher bei der BAK Konjunkturforschung BASEL, beim Bankverein (heute UBS), bei UBS, Vontobel und bei der Bank Leu (heute Credit Suisse) gearbeitet. Seit 2005 arbeitet er bei Swisscanto als Leiter Anlagestrategie in Zürich.