Nachhaltigkeit, ETFs und Konsolidierung - Die Trends von heute und morgen

26.11.2021
Herr Glow, Ihre jeden Montag erscheinenden Kommentare und Analysen sind in der Fondsindustrie nicht mehr wegzudenken. Hatten Sie auch in diesem Jahr genug Material, um die Seiten zu füllen?
Glücklicherweise gibt es in der Fondsindustrie genug Themen, über die man schreiben kann. Somit bin ich in der glücklichen Situation, dass ich jeden Montag über mehr als ein Thema schreiben könnte. Bei der Themenauswahl ist es mir wichtig, meine Leser über die Entwicklungen in der Fondsbranche zu informieren und einzelne Themen, die gerade im Fokus stehen, unabhängig zu beleuchten. Dabei ist es mir wichtig, nicht durch plakative Überschriften zu provozieren, sondern den Lesern mit guten Informationen und unabhängigen Kommentaren einen Mehrwert bei der Meinungsbildung zu bieten.
Gab es dabei eine wirkliche Überraschung?
Eine echte Überraschung gab es im Jahr 2021 nicht. Vielmehr haben sich die Trends der letzten Jahre, zum Teil verstärkt, fortgesetzt. Aber auch wenn es keine echten Überraschungen gab, waren die Entwicklungen in der europäischen Fondsindustrie doch sehr interessant. Zum einen haben wir eine grosse Anzahl von Firmenübernahmen gesehen, mit denen die übernehmenden Firmen ihre besteheneden Geschäftsfelder gestärkt oder sich neue Geschäftsfelder oder Kundenzugänge erschlossen haben.
Auch die starken Mittelzuflüsse in nachhaltige Anlageprodukte und die hohe Aktivität der Fondsanbieter in diesem Bereich waren aufgrund der Einführung der neuen ESG-Offenlegungs-/Transparenzpflichten im März 2021 nicht überraschend.
Ebenso sind die Rekordzuflüsse in ETFs eine logische Konsequenz aus den Entwicklungen der Vergangenheit. Denn meiner Ansicht nach gab es keine erhöhte Nachfrage nach ETFs. Stattdessen konnten ETFs, wie in der Vergangenheit, von den hohen Mittelzuflüssen in Investmentfonds profitieren.
Das Thema «ESG» rauf- und runterzuschreiben. Hand aufs Herz: macht das noch wirklich Spass?
ESG ist nur eines der Themen, mit denen ich mich in der Tiefe befasse. Aus meiner Sicht ist es im Moment sehr spannend, die Entwicklungen in Bezug auf die Integration von ESG-Kriterien bei den Regulatoren und in der Fondsindustrie von aussen zu beobachten. Gerade im Bereich der Regulatorik gibt es viele interessate Entwicklungen. Denn während lokale Regulatoren ihre Vorgaben für nachhaltige Investments nachschärfen, werden gleichzeitig globale Standards für das Nachhaltigkeitsreporting entwickelt. Somit könnte zum einen unter anderem in der EU ein regulatorischer Flickteppich entstehen, während andererseits ein übergeordneter einheitlicher globaler Rahmen entwickelt wird. Die grosse Frage wird dann sein, wer sich im Laufe der Zeit an welche Vorgaben anpasst. Die Frage ist also, ob die lokalen Regulatoren die globalen Standards übernehmen werden oder weiterhin ihre eigene Auslegung verfolgen. Ich erwarte hier einen Kompromiss, bei dem das neugegründete International Sustainable Standards Board (ISSB) grosse Teile der lokalen Definitionen übernehmen wird und diese dann durch weitere zielführende Vorgaben ergänzen wird, während die lokalen Regulatoren im Gegenzug die einheitlichen (Reporting-) Standards nutzen werden, um ihre eigenen Vorgaben zu schärfen und zu verbessern.
Gleichzeitig erleben wir auf der Ebene der Fondsanbieter eine echte Evolution im Bereich der ESG-Produkte. Während die Anbieter von Investmentfonds zu Beginn des Trends in Richtung ESG versucht haben, ihren Produkten einen grünen Anstrich zu geben, indem sie sagten, dass sie jetzt auch ESG-Kriterien nutzen, um von diesem Trend zu profitieren, wird das Thema heutzutage sehr ernsthaft betrachtet. In der Vergangenheit waren die von den Fondsanbietern genutzten ESG-Faktoren häufig nur sehr rudimentär, da zum Teil einfach nur einzelne Sektoren ausgeschlossen wurden oder auf die Nutzung von ESG-Kriterien hingewiesen wurde, ohne diese konkret zu benennen oder zu beschreiben, welchen Einfluss die ESG-Kriterien im Einzelnen auf die Titelselektion haben. Die strenger werdenden regulatorischen Vorgaben haben in Verbindung mit den steigenden Anforderungen der Investoren an die Nutzung von ESG-Kriterien im Portfoliomanagement dazu geführt, dass die Produktanbieter reagieren mussten und und jetzt zum Teil sehr innovative Strategien nutzen, um die Anforderungen der Investoren zu erfüllen Die verbindliche Nutzung von ESG-Kriterien hilft den Anbietern dabei, einen «Greenwashing-Skandal» zu vermeiden.
ETFs werden immer mehr «aktiv». Befürworten Sie diesen Trend?
Derzeit sind in Europa noch keine wirklich aktiven ETFs zugelassen. Die ETFs, die derzeit als aktive ETFs gelten, folgen immer noch einem Index, können aber in einzelnen Positionen von den Vorgaben des Index abweichen. Dass es noch keinen komplett aktiven ETF gibt, liegt an den Vorgaben und Anforderungen der UCITS-Regulierung. Ich bin aber der Ansicht, dass die Regulatoren diese Vorgaben in den nächsten Jahren anpassen werden, um es den Anbietern zu ermöglichen, «echte» aktive ETFs auf den Markt zu bringen.
Dies könnte zur Folge haben, dass langfristig betrachtet, die meisten Fonds in Europa als ETFs aufgelegt werden oder zumindest eine Anteilsklasse als ETF an den Börsen gelistet wird. Schliesslich können sich die Fondsanbieter mit der Nutzung der «ETF-Hülle» neue Vertriebswege erschliessen, während die Anleger so auch bei aktiv gemanagten Portfolios von den Vorteilen eines ETF profitieren können.
Aus meiner Sicht wäre eine entsprechende Änderung der Regulierung, die es aktiven Managern ermöglichen würde, ihre Portfolios als semi-transparente ETFs an die Börse zu bringen, sehr zu begrüssen. Da dies den Wettbewerb zwischen den Anbietern erhöhen würde, was meiner Ansicht nach zu niedrigeren Gebühren und einer höheren Produktqualität führt, da der Markt für Investmentfonds so noch transparenter werden würde.
Wagen wir einen Blick in die Kristallkugel: wird auch 2022 ein gutes Jahr für die europäische Fondsindustrie?
Sowie es derzeit aussieht, stehen die Ampeln für das Wachstum der europäischen Fondsindustrie im Jahr 2022 auf Grün. Allerdings gibt es einige Störfaktoren wie mögliche umfassende Lockdowns aufgrund der vierten Corona-Welle oder die Folgen einer anhaltend hohen Inflation in der Eurozone, bei gleichzeitig weiter steigenden Energie- und Rohstoffpreisen, die die Märkte und damit auch das Wachstum der Fondsbranche im Jahr 2022 bremsen könnten.
Meiner Ansicht nach werden die Trends aus den Vorjahren auch im Jahr 2022 die Entwicklungen in der europäischen Fondsindustrie bestimmen. Somit sollten die Themen Nachhaltigkeit und ETFs weiterhin das Marktgeschehen bestimmten. Das heisst, ich glaube, dass die Gewinner des Jahres 2022, unabhängig von der Marktentwicklung, diejenigen Anbieter sein werden, deren Produkte ein gutes Nachhaltigkeitsprofil haben und/oder die über eine wettbewerbsfähige passive Produktpalette verfügen. Ebenso wird sich der Trend zur Konsolidierung - aus meiner Sicht - auf allen Ebenen der europäischen Fondsindustrie weiter fortsetzen.
Link zum Disclaimer
Detlef Glow, MBA (UoW), begann im Jahr 2005 als Leiter der Fondsanalyse für Deutschland und Österreich bei Refinitiv Lipper. Anfang 2007 übernahm er die Leitung für die Regionen Zentral-, Nord- und Osteuropa. Seit Oktober 2010 ist Glow Leiter der Fondsanalyse von Lipper in Europa, dem Nahen Osten und Afrika (EMEA). Zuvor war er als Direktor Portfoliomanagement bei der Feri Wealth Management GmbH in Bad Homburg als Portfoliomanager für vermögende Privatkunden tätig. Seine Karriere begann Detlef Glow neun Jahre zuvor bei der tecis Holding AG in Hamburg, wo er zuletzt als Leiter der Fondsanalyse sowohl für das quantitative als auch das qualitative Fondsresearch der tecis Asset Management AG verantwortlich war.