«Negativzinsen: Experiment mit ungewissem Ausgang»

Leiter Portfoliomanagement - Anleihen & Währungen
Union Asset Management Holding AG, Frankfurt
union-investment.de
27.09.2019
Herr Kopf, Sie verwalten mit Ihrem Team Anleihen im Umfang von rund 66 Mrd. Euro und sollten in einem Null-Zins-Umfeld Renditen erwirtschaften. Wie schafft man das?
Wir folgen dabei einer Reihe einfacher Regeln. Die erste Regel lautet: Investiert bleiben - und keine Angst vor der Zinsbindung! Denn solange die Renditen fallen, steigen auch die Kurse festverzinslicher Anleihen.
Die zweite Regel lautet: Rollertrag anstreben! In der Eurozone haben wir eine steile Zinskurve. Das bedeutet: Langlaufende Anleihen haben eine höhere Rendite als kurzlaufende Anleihen. Wenn ich eine zehnjährige Anleihe kaufe und einfach ein Jahr warte, dann wird die Rendite dieser Anleihe wahrscheinlich sinken und ich kann einen Kursgewinn erzielen. Anschliessend nehme ich den Gewinn mit und erwerbe eine neue zehnjährige Anleihe.
Die dritte Regel lautet: Die faulen Äpfel aussortieren! Wir haben bei Union Investment ein grosses Team an hervorragenden Finanzanalysten und Fondsmanagern, die sehr darauf bedacht sind, Verluste für unsere Kunden zu vermeiden. Vom Thomas-Cook-Bankrott vor wenigen Tagen waren wir nicht betroffen, weil wir die entsprechenden Anleihen schon Monate zuvor veräussert hatten - denn die Unternehmenskrise haben unsere Marktexperten kommen sehen.
Die vierte Regel lautet: Blicke über den Tellerrand! Die weltweiten Obligationenmärkte bieten immer attraktive Gelegenheiten, auch bei negativen Zinsen in den Kernmärkten.
Durch das Beherzigen dieser vier einfachen Regeln konnten wir mit einigen unserer Flaggschiff-Fonds wie dem «UniEuroAnleihen», dem «UniEuroRenta Corporates» oder «UniRenta» im Jahr 2019 Anlageerfolge zwischen sieben und elf Prozent erzielen. Sie sehen also: Null-Zinsen heisst nicht Null-Ertrag!
Wo finden Sie denn heute noch Rendite? Nur an der Peripherie?
Anleihen aus den Peripheriestaaten der Eurozone sind nach Mario Draghis grosszügigem Abschiedsgeschenk einer weiteren Einlagezinssenkung sicherlich attraktiv. Aber es gibt noch viele andere interessante Märkte - beispielsweise Nachranganleihen europäischer Industrieunternehmen, Verbriefungen von Unternehmenskrediten oder Anleihen aus Schwellenländern.
Die Politik der Zentralbanken ist aus Ihrer Sicht ein gigantisches soziales Experiment. Können Sie dies näher ausführen?
Unsere Volkswirtschaften haben jahrtausendelang unter positiven Zinssätzen operiert. Führende Wirtschaftswissenschaftler wie Thomas Piketty gehen in ihren Schriften von einem langfristig weitgehend unveränderten Zinssatz aus, der zudem oftmals die Wachstumsrate der Volkswirtschaft überschreitet. Und nun haben wir durch die extrem aggressive Geldpolitik der Notenbanken in vielen Ländern nicht nur an den Obligationenmärkten, sondern auch auf grössere Sparguthaben plötzlich Negativzinsen. Das ist ein Experiment mit ungewissem Ausgang, was die Verteilungswirkungen und was die Finanzstabilität angeht.
Sie erwähnten oft den Begriff «Schrumpfgeld» und zeigten das «Wunder von Wörgl im Jahr 1931» auf. Was ist darunter genau zu verstehen?
Interessanterweise gibt es für das heutige Experiment mit Negativzinsen ein historisches Vorbild. Im Jahr 1931, inmitten von Wirtschaftskrise und Deflation, wurde der Lokomotivführer Michael Unterguggenberger Bürgermeister der kleinen Gemeinde Wörgl in Tirol. Er führte 1932 eine Parallelwährung ein, den Wörgler Schilling. Die Geldscheine mussten jeden Monat gestempelt werden, damit sie gültig blieben. Dieses Stempeln kostete für einen Fünf-Schilling-Schein eine Gebühr von fünf Groschen - der Geldwert schrumpfte also jeden Monat um ein Prozent. Deshalb haben die Bürger das Geld nicht mehr gehortet, sondern waren im Gegenteil bemüht, es so schnell wie möglich auszugeben, um den Stempelgebühren zu entgehen. Die Umlaufgeschwindigkeit des Geldes stieg an und durch die gesteigerten Umsätze kam die Wirtschaft wieder in Schwung. Die Deflation wurde überwunden und die Arbeitslosigkeit ging zurück - das war das «Wunder von Wörgl».
Und der Name «Silvio Gesell» begleitet Sie offensichtlich auch stark…
Ganz genau. Bürgermeister Unterguggenberger hatte sich das Schwundgeld nämlich nicht selbst ausgedacht. Er setzte vielmehr ein Konzept des unorthodoxen Volkswirts Silvio Gesell um, der heute von führenden Geldpolitikern der EZB und der Federal Reserve zu Recht als geistiger Vater der Negativzinsen genannt wird.
Ich persönlich finde allerdings, dass Negativzinsen à la Gesell heute nicht das richtige Rezept sind. Anfang der 1930er Jahre ging es darum, in Zeiten hoher Arbeitslosigkeit, einer sehr geringen Kapazitätsauslastung der Volkswirtschaft und fehlender Kreditwürdigkeit des Staates die Wirtschaft kurzfristig wieder anzukurbeln, um so eine anhaltende Depression und Deflation zu verhindern. Heute haben wir annähernd Vollbeschäftigung in der Schweiz und im Euroraum. Zudem übersteigt die Wirtschaftsleistung das langfristige Produktionspotenzial. Deshalb gibt es auch keine Deflation. Der Staat kann zu sehr günstigen Konditionen Schulden aufnehmen. Die Bedingungen sind also überhaupt nicht mit 1931/1932 vergleichbar. Daher halte ich das Instrument der Negativzinsen auch nicht für angemessen. Anstatt die Finanzstabilität wiederherzustellen, könnten die Negativzinsen sogar zu einer Gefahr für die Finanzstabilität werden.
Ausserdem hat der Ansatz Silvio Gesells einen bedeutenden Haken, auf den schon John Maynard Keynes 1936 in seiner «General Theory» hingewiesen hat: Wenn die Zentralbank das Giralgeld mit immer negativeren Zinsen ausstattet, dann werden sich die Bürger nach Alternativen für die Wertaufbewahrung über die Zeit umschauen. Sie könnten derzeit beispielsweise Geldscheine in den Tresor legen anstatt der Bank Negativzinsen zu zahlen. Solange die Zentralbanken also keine Stempelpflicht für Geldscheine einführen, gibt es eine Untergrenze bei den Negativzinsen. Diese ist erreicht, wenn die Substitution in Bargeld einsetzt - und die sollte etwa bei minus 1 Prozent im Jahr liegen.
Sie hielten vor ein paar Tagen in Zürich einen Vortrag und schwärmten von Frankfurt als Arbeitsort. Was sind denn genau die Vorzüge?
Für Fondsmanager, die die Weltmärkte im Blick haben, liegt Frankfurt genau in der richtigen Zeitzone. Man bekommt morgens noch den asiatischen Markt mit, kann alle Währungen und Märkte in der europäischen Zeitzone handeln und am späteren Nachmittag auch am New Yorker Handel teilnehmen. Ausserdem kommen wir aufgrund der Zeitdifferenz eine Stunde vor den Londonern ins Büro, was oftmals einen entscheidenden Vorteil bringt. Denn bis die Kollegen auf der Insel sich einen Überblick verschafft haben, haben wir in Frankfurt schon die attraktivsten Trades durchgeführt. Zürich bietet hinsichtlich der Zeitzone dieselben Vorteile, aber für mich wäre diese Stadt einfach zu schön, um dort ernsthaft arbeiten zu können.
Link zum Disclaimer
Christian Kopf leitet seit September 2017 das Anleihenfondsmanagement von Union Investment mit mehr als 50 Mitarbeitenden und rund 66 Mrd. Euro an Kundengeldern. Er ist Mitglied des «Union Investment Committee» (UIC). Das UIC formuliert auf monatlicher Basis die Kapitalmarktstrategie von Union Investment und setzt damit die Leitplanken für die taktische Steuerung der Fonds durch die einzelnen Portfoliomanager. Zuvor war Kopf von 2006 bis 2017 für Spinnaker Capital in London tätig, einer auf Anlagen in Schwellenländern spezialisierten Kapitalverwaltungsgesellschaft. Dort verantwortete er zuletzt als Partner die globale volkswirtschaftliche Analyse und Anlagestrategie, die Risikoallokation in Staatsanleihen, Zinsprodukten und Währungen der europäischen und asiatischen Zeitzonen sowie das Management des «Spinnaker Emerging Markets Macro Fund». Vor seinem Wechsel nach London war Kopf sieben Jahre als Senior Portfolio Manager bei DWS Investments in Frankfurt tätig und dort für den Bereich Global Emerging Markets Fixed Income verantwortlich. Christian Kopf schloss sein Studium an der Universität Witten/Herdecke als Diplom-Ökonom ab und ist CFA Charterholder.