«Notenbanken müssen gemeinsam an einem Strang ziehen»

04.09.2016
Herr Jones, seit dem Brexit-Votum sind zwei Monate vergangen. Was hat sich seither getan?
Die Aktienmärkte haben kräftig zugelegt. Grossbritanniens Börse avancierte 15 Prozent, die weltweiten Indizes 9 Prozent. Die Bank of England liess ihre Muskeln spielen: Sie senkte den Leitzins, nahm ihr quantitatives Lockerungsprogramm wieder auf und dehnte ihr «Funding for Lending Scheme» (FLS) aus. Offensichtlich hat Mark Carney von der EZB und der Bank of Japan gelernt, dass eine zögerliche Umsetzung geldpolitischer Massnahmen sich schnell als kontraproduktiv erweist. Wie heisst es doch so schön: Das Glück ist mit den Mutigen!
Ist die Erholung gerechtfertigt?
Die britischen Anlagemärkte - vor allem diejenigen Segmente, die gegenüber der heimischen Wirtschaft besonders exponiert sind - haben sich kräftig erholt in Erwartung, dass die Mittel der Regierung zweckmässig eingesetzt werden. Wir können nur hoffen, dass sich Schatzkanzler Hammond ein Beispiel an Carney nimmt und erkennt, dass nun mutige Schritte gefragt sind.
Welche Schritte meinen Sie?
An der Fiskalfront hat sich noch nicht viel geändert. Die neue britische Regierung hat jedoch deutliche Hinweise geliefert, dass sie die strenge Sparpolitik ihrer Vorgänger zugunsten einer fiskalpolitischen Lockerung aufgeben werde. Das «Autumn Statement», also die öffentliche Bekanntgabe des Haushaltsplans, wird darüber Aufschluss geben, ob wir die Signale der neuen Regierung korrekt interpretiert haben.
Fällt auch der gefürchtete Dominoeffekt aus?
Offensichtlich hat das negative EU-Votum Grossbritanniens keinen Rechtsrutsch in Europa ausgelöst. Aber die befürchtete Schockwirkung des Brexit auf das globale Wirtschaftssystem hält weiterhin an und lässt keine Normalisierung der Notenbankpolitiken zu - tatsächlich hat sie für dringend erforderlichen frischen geldpolitischen Wind gesorgt.
Bleiben die Zinsen also am Boden?
Die EZB und die Bank of Japan setzen ihre Stimulusprogramme fort und die US-Notenbank dürfte ihre Zinsen nur dann anheben, wenn sie für einen solchen Schritt von den Märkten eine positive Rückmeldung erhält. Die Lage in China scheint auf einen konjunkturellen Aufschwung hinzudeuten und Anlagen aus den Schwellenländern erhalten von internationalen Anlegern weiterhin viel Aufmerksamkeit. Risikomärkte profitieren derzeit von der lockeren Geldpolitik, einem moderaten Wirtschaftswachstum und deutlich geringeren Diskontsätzen.
Niedrige Zinsen allein werden die Krise aber nicht lösen.
Um die grösste wirtschaftliche Finanzkrise unseres Zeitalters erfolgreich zu bewältigen, müssen die Notenbanken gemeinsam an einem Strang ziehen - auf monetärer, fiskalpolitischer und regulatorischer Ebene. Japan gilt als aktuelles Beispiel, wie töricht ein anderes Vorgehen sein kann. Nicht zum ersten Mal erhält das Vereinigte Königreich damit die Möglichkeit, anderen Ländern aufzuzeigen, wie man derartige Probleme löst. Vielleicht bietet sich ja bereits auf dem G20-Gipfel in China Anfang September die Möglichkeit, das Thema voranzutreiben.
Wie geht es an den Märkten weiter?
Wir bauen darauf, dass sich im Herbst/Winter ein neuer Ansatz für den Umgang mit den wirtschaftlichen Herausforderungen auftut und die Märkte positiv reagieren. Es steht viel auf dem Spiel. Der Brexit hat die Anleiherenditen auf noch nie da gewesene Niveaus sinken lassen. Wenn wir zulassen, dass diese Renditen die Endnachfrage eher widerspiegeln als stimulieren, dann wird sich das rächen. Das Northern-Rock-Debakel liegt inzwischen fast zehn Jahre zurück. Hoffen wir, dass uns ein vergleichbares Fiasko erspart bleibt.
Stephen Jones ist Chief Investment Officer (CIO) und Mitglied der Geschäftsleitung von Kames Capital. Zu seinen Verantwortlichkeiten gehört die Investment Performance und Strategie des schottischen Vermögensverwalters. Er verfügt über mehr als 25 Jahre Industrieerfahrung. Jones studierte Recht und Wirtschaft an der University of Newcastle. Kames Capital plc ist eine spezialisierte Investment-Management-Gesellschaft mit Sitz in Edinburgh und London. Von Edinburgh und London aus verwaltet das Unternehmen im Auftrag von internationalen und Kunden aus Grossbritannien 60 Mrd. Euro (Stand 30.06.2016) zu denen Pensionskassen, Regierungsbehörden, Finanzinstitute, Vermögensverwalter, Family Offices und Finanzberater gehören.