«Old and new build something new - das ist Finance 2.0»

CEO, Betreiber der ETF-Infoplattform 10x10.ch und Veranstalter der Finance 2.0
financialmedia AG, Zürich
10x10.ch
29.01.2016
Herr Borini, Sie haben mit der Konferenz «Finance 2.0», die am 9. März wieder stattfindet, das Thema Digitalisierung in der Finanzindustrie bereits 2013 aufgegriffen. Wird Banking wirklich auf den Kopf gestellt, wie Sie immer wieder sagen?
Ich sehe keinen einzigen Grund, warum nicht auch die Finanzindustrie umgekrempelt werden sollte. Sie wird sich sogar sehr stark verändern - und vor allem in immer höherem Tempo. Einfach ausgedrückt: Kurze Lunte, grosser Knall. Man darf nicht vergessen, was in anderen Branchen passiert ist: Uber hat die ganze Taxibranche auf den Kopf gestellt, iTunes und Streaming-Dienste haben der klassischen Musikindustrie das Genick gebrochen. Und schauen wir doch mal nach Zürich-West: Dort war der Hauptsitz des grössten Reiseunternehmens der Schweiz, Kuoni. Wichtig an diesem Satz ist das Verb: war.
Was bedeutet das konkret für die Finanzbranche?
Technologien entwickeln sich mit einer nie dagewesenen Geschwindigkeit. Beispiel Blockchain: Die Technologie hat das Zeug dazu, Börsen auszuknipsen und den ganzen Kapitalmarkt, beispielsweise die Beschaffung von Eigen- und Fremdkapital, umzukrempeln. Dazu kommt der Druck seitens Kunden: Produkte, die künstlich intransparent gehalten werden, verschwinden. Kunden erwarten ein neues Kundenerlebnis, sie wollen sinnvolle Finanzprodukte und -dienstleistungen, basierend auf ihren persönlichen Daten. Wer meint, dass nur die Generation Y nach digitalen Lösungen verlangt, ist auf dem Holzweg. Die Generation 55+ wird derzeit mit dem höchsten Tempo digitalisiert. Nicht vergessen sollte man, dass das Filetstück des Private Bankings, die Ultra High Net Worth Individuals (UHNWI), eine hohe Digitalaffinität aufweisen. Die rund weltweit 12’000 tätigen Fintech-Unternehmen haben das verstanden.
Was bedeutet das für die Vermögensverwaltung und das Asset Management?
Man könnte es so beschreiben: Old and new build something new - das ist Finance 2.0. Altbekannte Dienstleistungen, neu und besser verpackt. Nehmen wir das Beispiel Vermögensverwaltung: Profi raten, das Vermögen diszipliniert zu verwalten. Anlegen nach strikten Kriterien. Die Konsequenz daraus ist, dass ein disziplinierter Ansatz in der heutigen Welt digitalisiert werden sollte. Und genau das ist das Ziel von Robo-Advisory, der automatisierten Vermögensverwaltung. Die Risikoneigung des Kunden wird mit standardisierten Fragen erfasst, darauf basierend wird eine entsprechende Strategie angeboten und mit ETFs abgebildet. Sind wir ehrlich: Genau das machen Banken schon seit Jahrzehnten, einfach nicht digitalisiert, weniger transparent und oftmals ziemlich teuer.
Es gibt doch auch Kunden, die eine persönliche Beratung wünschen.
Und das wird auch so bleiben. Doch dazu brauchen wir neue Beratungskonzepte. Der moderne Berater ist ein Coach, der die Digitalisierung als Riesenchance sieht, den Kunden ein besseres Erlebnis zu bieten. Der Berater wird letztlich zum Experience Maker. Doch viele sind noch nicht in der digitalen Realität angekommen. Nur wenn man ein iPad bedienen kann, denkt man doch noch lange nicht digital.
Wohin geht die digitale Reise?
Das ist schwer zu sagen, da es fast keine technischen Grenzen mehr gibt. Aber wie Sie richtig fragen, es ist eine Reise und kein Ziel. Wichtig in diesem Zusammenhang ist, dass natürlich die ganzen Regularien für alle gelten. Also auch für Nichtbanken, die Finanzdienstleistungen anbieten. Schauen wir in die USA: Mit RobinHood kann man heute kostenlose Börsentransaktionen tätigen, alles in Echtzeit, direkt vom Smartphone. Im Bereich Robo-Advisory werden die Angebote ausgebaut. All das, was wir bis heute haben, ist ja nur ein erster Schritt. Es geht noch viel weiter.
Zum Beispiel?
Wenn ich eine Strategie habe, die ein klares Regelwerk aufweist, kann ich diesen Algorithmus auf einer Robo-Advisory-Plattform integrieren und mein Vermögen nach dieser Strategie investieren. Ich habe dann sozusagen meinen eigenen Fonds. In den USA gibt es bereits Robo-Advisory mit On-Demand-Beratung. Übrigens: Die Terminsuche gestaltet sich bei diesen Plattformen um einiges einfacher als bei herkömmlichen Banken.
Wie wird die Digitalisierung die Fondswelt betreffen?
Das klassische Asset Management steht erst am Anfang der Transformation. Sämtliche Servicethemen müssen künftig neu aufgestellt werden. Die Zeit der vier Wochen alten Fonds-Factsheets ist vorbei. Wer keine mobile Webseite hat, hat keinen Internetauftritt. Auch das Fondsmanagement wird sich verändern, und zwar an allen Fronten. Nur drei Beispiele: Sentiments aus der Crowd können zur Analyse genutzt werden, dank Unterstützung von künstlicher Intelligenz können Fonds ganz anderes verwaltet werden. Die Wertpapiertransaktionen innerhalb des Fonds könnten irgendwann nicht mehr über Börsen laufen, sondern über eine Blockchain abgewickelt werden. Somit müssen die Produkte günstiger werden.
Profitieren ETFs stärker von dieser Entwicklung als traditionelle Anlagefonds?
Ich denke, ja. Noch wird Robo-Advisory in der Szene oft nicht wirklich ernst genommen, was schade ist. Denn es hat Platz für beide. Die digitalen Vermögensverwaltungsplattformen sind für ETFs zweifelsfrei ein Wachstumsfaktor. Interessant ist ja auch, wie gewisse Fondshäuser reagieren: BlackRock kaufte FutureAdvisor, Invesco akquiriert Jemstep und Schroders ist bereits seit 2014 an Nutmeg beteiligt. Diese traditionellen Fondshäuser sind nicht dumm, die haben sich wohl etwas dabei überlegt.
Ist die Digitalisierung eine Gefahr für die Branche?
Viele Finanzdienstleister sind von der Entwicklung überfordert. Diejenigen, die den Zug verpassen, werden einen digitalen Kulturschock erleben. Um die Institute, die sich diesen Herausforderungen jetzt stellen und sie als Chance sehen, mache ich mir weniger Sorgen. Digitalisierung passiert exponentiell und das ist neu in unserer Welt. Nicht vergessen darf man die Mitarbeitenden: Die digitale Arbeitswelt verlangt andere, neue Fähigkeiten und hohe Flexibilität.
Zum Schluss: Was erwarten die Teilnehmer der diesjährigen Finance 2.0?
Einblicke in und Inspirationen für die digitale Zukunft des Bankings. Ebenfalls wichtig ist der Austausch untereinander. Inzwischen kommen rund 350 Teilnehmende, Finance 2.0 zählt europaweit zu den führenden Konferenzen in diesem Bereich.
Rino Borini ist Mitgründer und CEO der financialmedia AG in Zürich. Das unabhängige Medienhaus gibt verschiedene Publikationen im Wirtschafts- und Finanzbereich heraus und veranstaltet zahlreiche Veranstaltungen und Konferenzen wie die Finance 2.0. Borini leitet auch den Certificate of Advanced Studies (CAS) «Digital Finance» an der Hochschule Zürich. Davor war er in leitenden Funktionen in der Finanzindustrie tätig. Der Certified European Financial Analyst (CEFA) eignete sich während mehreren Jahren ein fundiertes Wissen über Banking und Kapitalanlagen an.