Plädoyer für das scheinbar Unwahrscheinliche

22.11.2019
Herr Masarwah, was war in diesem Jahr so ganz anders als in 2018?
Leider ist alles wie immer, fürchte ich. Es gibt nichts wirklich Neues. Ich könnte jetzt natürlich ganz viele Sachen benennen, die alle angeblich so nie stattgefunden haben, aber das wäre Humbug. Leider referieren wir oft nur über die Störgeräusche am Markt und lassen das wichtige aussen vor. Kontinente versinken im Meer, und wir diskutieren über den Wellenschlag an der Oberfläche!
Mit Verlaub, das versteht jetzt keiner.
Wir, und ich meine nicht uns zwei, sondern den allgemeinen Diskurs im Asset Management, beschäftigen uns viel zu sehr mit kurzfristigen Entwicklungen, die nicht von nachhaltiger Wirkung sind. Das klingt zwar alles mächtig schlau, bringt den Anleger aber leider nicht weiter. Damit das klarer wird, gebe ich Ihnen ein Beispiel. Ich könnte jetzt als aussergewöhnliches Ereignis hervorheben, dass die Kurse langlaufender Anleihen in diesem Jahr durch die Decke gegangen sind. Fonds für langlaufende Anleihen haben in diesem Jahr im Schnitt 25 Prozent zugelegt. Das hatte mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit vor einem Jahr niemand auf dem Radar. Was ist die voraussichtliche Reaktion der Marktteilnehmer darauf? Entweder sie kaufen jetzt noch Langläufer, oder sie kaufen sie nicht, mit der Erklärung, dass diese Anleihen himmelschreiend überbewertet sind und dass eine Korrektur bestimmt.
Klingt doch logisch.
Vielleicht ist es das, vielleicht aber auch nicht, das geht mir nicht um die Frage an sich, sondern darüber, wie wir zu solchen Urteilen kommen und wie wir sie in die Wirklichkeit in Portfolios übersetzen. Die Ursache der Malaise vieler Strategien ist doch, dass selten grundlegend reflektiert wird, warum etwas schief gegangen ist. Im Nachhinein werden Erklärungen für das Geschehene gesucht und gefunden, aber dann wird das abgehakt und das Spiel geht weiter. Das machen wir immer so, ohne zu merken, dass wir erkenntnismässig keinen Deut weitergekommen sind. Das ist ein typisches Experten-Phänomen. Ein nicht-Experte könnte vielleicht eher auf die Idee kommen, dass man das Zukünftige eben selten so zuverlässig prognostizieren kann, dass man sich nicht für alternative Entwicklungen wappnen sollte. Eine andere Denke stösst man an, indem man verschiedene Szenarien entwirft und nicht intuitiv den scheinbar naheliegenden Pfad beschreitet.
Denken Sie nicht, dass Fondsmanager, Berater und Analysten vor Beginn des Jahres verschiedene Szenarien entwickelt haben…
Das haben sie sicher, und dann haben sie sich für das vermeintlich naheliegende entschieden. Die Konsensmeinung siegt, die Minderheitenmeinung wird verworfen. Im Anlegeergebnis spiegelt sich dann nur die Konsensmeinung, und wehe, wenn die nicht aufgegangen ist! Das ist auch der Grund, warum Bond- und Mischfondsmanager seit Jahren mit falschen Durationswetten Rendite vernichtet haben. Jedes Jahr wird die Zinswende aufs Neue ausgerufen und die Duration kurz gehalten. Das ist übrigens ein Grund, warum Renten-ETFs, die den Gesamtmarkt abbilden, so gut abschneiden. Sie bilden den Index ab, und der ist tatsächlich ziemlich lang auf der Durationsseite. Mich persönlich wundert, dass Fondsmanager nicht mehr Offenheit und Empfängnisbereitschaft mitbringen, komplexere Szenarien zu entwerfen und stattdessen immer wieder auf den Top-oder-Flop-Ergebnispfaden herumtrampeln.
Sollten also Fondsmanager auch auf Langläufer setzen, wenn sie der Meinung sind, dass die Renditen steigen? Das könnte auf eine mutwillige Zerstörung der Portfolios hinauslaufen, nur um dem Minderheiten-Szenario Geltung zu verschaffen.
Das wäre ja jetzt schon wieder ein binäres Szenario. Es geht darum, unerwünschte Folgen von Entscheidungen abzufedern. Alleine die Frage zu stellen: «Und wie verdiene ich Geld, auch wenn meine Hauptwette nicht aufgeht?», wäre ein Anfang. Das könnte mehr Komplexität bei manchen Produkten bedeuten, aber das schliesst ja nicht aus, dass die andere Seite der Produktlandschaft eine stärkere Granularisierung erfährt. Heute ist es so, dass eigentlich nur Indexfonds zuverlässige, diversifizierte Bausteine liefern, derweil aktive Fonds zu oft mit direktionalen Strategien unterwegs sind und Beimischungen nur nutzen, um ihre ohnehin binäre Aufstellungen zu verstärken. Das muss nicht so sein.
Sie plädieren für neue Produkte? Das erstaunt mich. Der Markt ist doch ziemlich voll von Produkten.
Warum nicht? Nur weil es 80’000 Fonds in Europa gibt, heisst das noch lange nicht, dass der Fondsmarkt auch vielfältig ist. Da ist jede Menge Me-too-Kram dabei, den kein Mensch braucht. Faktisch schielen die meisten Fondshäuser auf den erfolgreichen Nachbar und versuchen die Strategie zu kopieren, und, um das auch ganz glaubhaft zu machen, werben sie gleich auch den Fondsmanager der Strategie ab. Sie lachen? Aber so passiert es doch immer wieder. Das Extrembeispiel finden wir bei einer zunächst sehr erfolgreichen Multi-Asset-Strategie aus Grossbritannien; das Fondshaus hat so viel Geld eingesammelt, dass mehrere Konkurrenten Me-too-Produkte aufgelegt haben. Zunächst hatten die auch Erfolg, aber per heute sind die Ergebnisse doch mässig. Für die Anleger, wohlgemerkt.
Sind Mischfonds immer noch Selbstläufer oder sehen Sie da nun einen gewissen Sättigungsgrad?
Ich sehe da tatsächlich einen Sättigungsgrad, oder, um es anders zu formulieren, eine Desillusionierung der Anleger. Oft haben Anleger auf Anraten der Berater immer wieder auf die Top-Performer der Vergangenheit gesetzt, und die haben dann oft enttäuscht. Dieses prozyklische Verhalten vernichtet viel Rendite. In diesem Jahr ist die Nachfrage nach Mischfonds geringer, was an der verhaltenen Nachfrage nach vielen ehemaligen Blockbustern liegt. Ob das aber Ausdruck einer nachhaltig kritischeren Haltung gegenüber Mischfonds ist, wird man erst im Nachhinein beurteilen können.
Wenn Sie als intimer Kenner der Branche selbst einen Fonds auflegen müssten, was wäre der Ansatz?
Günstig wäre er, und breit diversifiziert. Ich persönlich habe sehr viel Sympathie mit dem «Arero Weltfonds», einem Fonds, der nach einer von Prof. Weber an der Universität Mannheim entwickelten Heuristik gemanagt wird. Der Fonds ist nie ganz vorn dabei, aber weil er günstig ist, breit streut und streng systematisch vorgeht, liefert er à la longue eine solide Rendite. Übrigens kommt der Fonds ganz ohne Marketing aus und hat trotzdem bald eine Milliarden Euro angesammelt. Das zeigt, dass gute Lösungen für Anleger ultimativ auch dem Emittenten zugute kommen.
Link zum Disclaimer
Ali Masarwah ist Mitglied im europäischen Research-Team von Morningstar und als Chefredaktor für die deutschsprachigen Websites von Morningstar verantwortlich. Seit Juni 2015 ist er zudem als Direktor für das Editorial Team von Morningstar EMEA zuständig. Nach seinem Volontariat bei der Wirtschaftsnachrichtenagentur ADX in Berlin fand er recht zügig den Zugang zum Thema Investmentfonds. Im Jahr 2000 wurde er Mitglied der Fondsredaktion bei der Nachrichtenagentur vwd, die er von 2001 bis 2003 leitete. 2003 wechselte Ali Masarwah zur portfolio Verlagsgesellschaft, Frankfurt, wo er zunächst als Chefredaktor das Magazin «portfolio international» übernahm. Von 2006 bis zu seinem Wechsel zu Morningstar im Herbst 2011 hatte er zusätzlich als Redaktionsleiter die journalistische Verantwortung für alle Magazine und Websites des Verlags inne.