«Rohstoffe und Emerging Markets sind attraktiv»

29.06.2016
Herr Marti, wie sehen Sie die viel kolportierte chinesische Wachstums- bzw. Schuldenproblematik und dessen Auswirkung auf die Nachfrage nach Rohstoffen?
Es muss festgehalten werden, dass die schwache Nachfrage der letzten zwei Jahre hauptsächlich auf Lagerabbau zurückzuführen ist. Der effektive Verbrauch entwickelte sich analog zum Bruttosozialprodukt-Wachstum. Die Verschuldung in Emerging Markets, sowohl die der öffentlichen Hand als auch jene vom privaten Sektor, ist tiefer als im Westen. Die Währungsabwertungen und die gesunkenen Zinsen werden die lokale Wirtschaft beleben.
Wird das deflationäre Umfeld den Sektor weiter belasten?
Die letzten fünf Jahre musste man den «Deflationstrade» long sein. Yields gegen Cash, Developed gegen Emerging Markets, Bonds gegen Commodities, etc. Nach einem lange anhaltenden Trend sind die Investoren einseitig positioniert. Die Service Inflation in den USA liegt über zwei Prozent. Gegen Herbst entfällt der Basiseffekt von sinkenden Rohstoffpreisen. Die Inflation wird steigen. Die Notenbanken laufen in ein Dilemma, da viele Signale auf eine Abschwächung der Wirtschaft hindeuten. Der Leverage im System wurde seit 2008 weiter erhöht. Steigende Zinsen sind kaum verkraftbar für den Schuldendienst, sei es von den jeweiligen Staaten, Immobilienbesitzern, Kommunen, Autoleasing, Studentenkredite, etc. Ein stagflationäres Szenario wie in der zweiten Hälfte der siebziger Jahre zeichnet sich ab.
Rohstoffe sind Basisprodukte, welche wir täglich konsumieren. Deren Verbrauch ist eigentlich stabil und keinen grossen Schwankungen unterworfen. Weshalb sind deren Preise so volatil?
Man kann es mit dem Preis für ein Glas Wasser in der Wüste vergleichen. Hat man keinen Durst, kauft man es nicht, auch wenn es praktisch gratis ist. Ist man jedoch am verdursten, bezahlt man jeden Preis. Die Nachfrage ist inelastisch. Das Angebot ebenfalls. Es braucht lange andauernde Preissteigerungen bis die Produktion reagiert. Exploration, Bewilligungsverfahren, komplexe Logistik, hohe Kapitalkosten, fehlende Infrastruktur, instabile Länder sind nur ein paar Stichworte dazu. Bei einem Überangebot stellt man aufgrund der hohen Anfangsinvestitionen und fixen Betriebskosten den Betrieb erst dann ein, wenn die laufenden Betriebskosten nicht mehr gedeckt sind. Man kann nicht einfach «etwas weniger» produzieren, sondern nur den Betrieb von ganzen Produktionsstätten einstellen. Dies ist oftmals gleichbedeutend mit dem Einstellen des gesamten Geschäftsbetriebes. Bei vielen Rohstoffen verstärkt die limitierte Kapazität/Möglichkeit zur Lagerhaltung den Boom/Bust- Zyklus.
Bleibt das Überangebot bestehen?
Die Produktion beginnt nun auf die tiefen Preise zu reagieren. Investitionen werden deutlich zurückgefahren und die laufende Produktion beginnt zu sinken. Ebenfalls darf man nicht vergessen, dass ohne laufende Investitionen die jährliche Produktion sinkt. Bei Rohöl so ca. 6 bis 8 Prozent. Die Lagerbestände sind zwar hoch im historischen Vergleich, jedoch nicht im Verhältnis zum jährlichen Verbrauch. Sinkende Produktion wird die Lager normalisieren. Der Zeitpunkt, Rohstoffe zu kaufen, ist jeweils dann, wenn es am Schlechtesten aussieht. Die Lager auf dem höchsten Niveau, die Preise am Tiefsten, die Produzenten unprofitabel und die Investoren und Kreditgeber negativ eingestellt. Dann beginnt die Produktion zu sinken.
Schwächt sich das Wachstum in den Emerging Markets weiter ab?
Die Emerging Markets haben noch die Möglichkeit, monetär zu stimulieren. Die Zinsen können weiter gesenkt werden. Analog zum Westen 2011 dürften sich die gesunkenen Zinsen langsam auf die Wirtschaft und den Konsumenten auswirken. Die Refinanzierungskosten sinken zuerst für die öffentliche Hand. Dann frisst sich das durch zu den Corporate Bonds, Immobilien, Aktien, Konsumenten, etc. Natürlich basiert das Wirtschaftswachstum auf steigender Verschuldung und den sich daraus ergebenden Wealth Effect. Ebenso steigt die Verschuldung exponentionell zum Bruttosozialprodukt. Im Westen ist dies seit der Abschaffung des Goldstandards auch der Fall.
In China sind die staatlichen Fördermassnahmen zur Belebung der Wirtschaft bereits höher als nach der Finanzkrise. «New Silk Road» ist nur eines der Stichworte. Zudem gibt es da nicht nur China, sondern noch viele weitere bevölkerungsreiche Länder. Indien zum Beispiel dürfte dastehen, wo China vor fünfzehn Jahren war.
Im Westen wird man mittels Deficit Spending agieren. Hauptsächlich durch Infrastrukturinvestitionen. Notwendigerweise ist die Nullzinspolitik Voraussetzung zur Tragbarkeit des Schuldendienstes.
Welches sind die interessantesten Segmente im Rohstoffsektor?
Bei SIA analysieren wir den Investitionszyklus der Sektoren/Unternehmen und die sich daraus ergebende Veränderung der Produktion. Am attraktivsten sind Rohstoffe, welche selten, aber nicht zu selten sind. Die grossen Minengesellschaften werden zusehends Eisenerz und Kohle lastig. In Kupfer beispielsweise gibt es schlichtwegs nicht genügend interessante Projekte in der für einen Major erforderlichen Grössenordnung. Bei Eisenerz oligopolisieren die Grossen den Markt. Nicht die Knappheit des Erzes ist der Engpass, sondern die erforderliche Infrastruktur. Die Produktion kann relativ einfach ausgedehnt werden, nicht von neuen Mitbewerbern aber von den existierenden Majors. Andererseits lassen sehr seltene Rohstoffe eine moderne, industriell ausgerichtete Förderung selten zu. Die Erzkörper sind inkonsistent, verstreut und zuwenig konzentriert.
Bei der Firmenanalyse interessiert uns die Cashflow-Periode der Projekte/Unternehmungen. Auf die Explorationsphase folgt eine Phase der Enttäuschung. Kapitalerhöhungen, Verzögerungen, Kostenüberschreitungen, etc. lassen Investoren (ver)zweifeln. Meistens sind dann die Projekte/Firmen deutlich unter den bezahlten Projektkosten und Buchwerten zu erwerben. Unmittelbar darauf folgt die interessante Phase. Sobald die Cashflows einsetzen, wird die Verschuldung reduziert und Dividenden bezahlt. Später beginnt es wieder von Neuem, wenn die existierenden Projekte erneuert/vergrössert werden müssen.
Im Energiebereich korrelieren die Aktien der Grossen eher mit den Indizes statt den Ölpreisen. Production Sharing Agreements mit Regierungen funktionieren wie Caps und Floors auf die Erträge der Firmen. Abschliessend ergibt sich ein Portfolio, welches auf Midcaps fokussiert ist.
Urs Marti ist seit April 2016 bei SIA Funds beschäftigt. Zuvor arbeitete er bei der Schweizerischen Bankgesellschaft (heute UBS) und Credit Suisse First Boston (heute Credit Suisse) in Zürich. 2003 wechselte er zu Zulauf Asset Management, um einen Rohstofffonds zu managen. Vor vier Jahren gründete er eine Gesellschaft, welche grösstenteils in Agrarland und ähnliches investiert.