«Schwellenländer-Anleihen bleiben eine attraktive Assetklasse»

Head of Emerging Market & Sovereign Debt
Aberdeen Asset Management, London
aberdeen-asset.ch
27.05.2015
Herr Diment, die Federal Reserve wird ihre Zinsen in diesem Jahr früher oder später erhöhen. Einige Notenbanken in Schwellenländern haben dies bereits getan. China geht in die entgegengesetzte Richtung. Wie sind die Aussichten für diese Assetklasse?
Die Massnahmen der US-Notenbank Fed waren für Schwellenländeranleger ein sehr heikles Thema. Das so genannte Taper Tantrum (Beendigungs-Koller) hatte von Mitte 2013 bis Anfang 2014 massive Mittelabflüsse aus Investmentfonds zur Folge. Der Markt hatte die Verlautbarungen des damaligen Fed-Chefs Ben Bernanke so interpretiert, dass die Fed 2014 mit der Anhebung ihrer Leitzinsen beginnen würde, was sich de facto als falscher Alarm herausstellte. Unter der Leitung der neuen Chefin Janet Yellen hat die Fed die Orientierung über die zukünftige Ausrichtung der Geldpolitik («Forward Guidance») in den Vordergrund gestellt. Dies gab den Märkten eine klarere Orientierung vor, die 2013 nicht vorhanden war, als sie von den Tapering-Kommentaren auf dem falschen Fuss erwischt wurden. Ungewissheit ist der schlimmste Feind der Märkte. Deshalb unternimmt die Fed grosse Anstrengungen, auf diese Bedenken einzugehen.
Was hat sich im Markt unter der Ägide von Janet Yellen geändert?
Die Fed hat unter der Leitung von Janet Yellen ihr Bestes gegeben, um die Investoren daran zu erinnern, dass Geldpolitik von der jeweiligen Datenlage abhängt. Dies hat wesentlich dazu beigetragen, den Marktteilnehmern die Angst vor einer unmittelbar bevorstehenden Zinserhöhung zu nehmen. Im Gegensatz zur Fed hat der Markt eine gelassenere Einstellung gegenüber der Zinserhöhung an den Tag gelegt, obwohl offenbar eine Art Konsens über Tempo und Timing der Zinserhöhung herrscht, deren Beginn derzeit im September 2015 erwartet wird. Die Anlegerstimmung wird im Vorfeld der Leitzinsanhebung durch die Fed auf die Probe gestellt werden, doch dies dürfte die Nachfrage nach Schwellenländeranleihen nicht belasten, da die internationalen Zinsen einschliesslich der US-Zinsen noch längere Zeit niedrig bleiben werden. Da die desinflationären Kräfte und die Bereitstellung billigen Geldes in Europa und Japan noch für längere Zeit Bestand haben dürften, werden Schwellenländer-Anleihen aufgrund der höheren Renditen und der Investment-Grade-Qualität auch weiterhin eine attraktive Assetklasse bleiben.
Von Januar bis November 2014 war für Obligationen ein gutes Jahr. Dann setzte in der ersten Dezemberhälfte eine Verkaufswelle ein und die Preise sind erst vor kurzem wieder gestiegen. Rechnen Sie kurzfristig mit einem erneuten Ausverkauf? Oder ist jetzt ein günstiger Zeitpunkt für einen Einstieg?
Wir glauben, dass sich Schwellenländer-Anleihen 2015 aufgrund des gesunkenen Risikos, einer vorzeitigen geldpolitischen Straffung der Fed und der anhaltend lockeren Geldpolitik in Europa und Japan, die höher rentierlichen Anleihen auch weiterhin zugute kommen dürfte, gut entwickeln werden. Ferner ist zu beachten, dass die Bewertungsniveaus von Schwellenländer-Anleihen noch immer attraktiv sind - auf absoluter und relativer Basis. Anleger sollten ihr Augenmerk aber auch auf die Schwellenländerwährungen richten, die bei selektiver Betrachtung gemessen an ihren Bewertungen attraktiver sind. Unter dem Strich haben die Schwellenländer-Währungen seit 2011 kontinuierlich abgewertet, da nicht nur sie selbst, sondern auch alle anderen Währungen durch den starken US-Dollar unter hohen Abwertungsdruck gerieten.
Investieren Sie nur in Staatsanleihen oder auch in Unternehmenspapiere?
Wir investieren in Staats- und Unternehmensanleihen im gesamten Anleihen-Universum der Emerging Markets, um das Renditepotenzial unserer Fonds zu optimieren. Dazu zählen auch die Frontier-Märkte.
Von welchen Schwellenländern würden Sie derzeit Staatsanleihen kaufen? Warum?
Skeptiker gegenüber Schwellenländeranleihen haben behauptet, die Abhängigkeit der Industrieländer von einem Rückgang der Rohstoffpreise wäre übermässig hoch. Diese Aussage ist zu einfach. Die Preise von Öl und Eisenerz sind deutlich gesunken. Doch die Bewertungen vieler Agrarrohstoffe werden durch das weltweite Bevölkerungswachstum beflügelt. Hierzu gehört auch die schnell wachsende Mittelschicht in den Schwellenländern, die Rindfleisch und Milchprodukte aus Brasilien sowie anderer grosser Nahrungsmittelhersteller aus Schwellenländern konsumieren möchte. Das zunehmend wohlhabende Bürgertum Chinas ist hungrig nach Abwechslung und will sich mehr als nur Schweinefleisch leisten. China ist inzwischen der grösste Importeur von Rindfleisch aus Uruguay. Manche Kritiker haben ferner die Signale makroökonomischer und struktureller Reformen übersehen. Dilma Rousseff, die brasilianische Staatspräsidentin, überraschte die Anleihenmärkte ihres Landes positiv, denn sie forderte nach ihrer Wiederwahl im Oktober 2014 eine deutlich strengere Haushaltspolitik. Die Steuerreformen in Mexiko nach der Wahl von Präsident Enrique Peña Nieto Ende 2012 werden das Land wahrscheinlich vor seinem Ruf als schlechtester Steuereinnehmer der industrialisierten Welt bewahren: 2012 beliefen sich die Steuereinnahmen auf nur 19,6 Prozent des BIP - der niedrigste Wert aller OECD-Staaten. In Indien bringt der unternehmerfreundliche Premierminister Narendra Modi seit Mai 2014 frischen Wind in die Regierungspolitik, indem Investitionshürden abgebaut werden: Erleichterungen für den Erhalt von Bescheinigungen der Umweltverträglichkeit zur Errichtung von Produktionsstandorten, Umstellung auf öffentliche Versteigerungen von Kohlebergbaulizenzen usw. Diese Massnahmen sollten Indien ein relativ hohes Wirtschaftswachstum sichern und Staats- sowie Unternehmensanleihen Auftrieb verleihen.
Welche Laufzeiten empfehlen Sie? Kurze, mittlere oder lange? Welche Strategie ist derzeit die aussichtsreichste?
Unserem Portfolioaufbau liegt eine Bottom-up-Einzeltitelauswahl zugrunde, die uns die Identifikation des besten Wertpotenzials ermöglicht - sei es bei einer Staatsanleihe, einer staatsnahen Emission oder einer Unternehmensanleihe. Zwar berücksichtigen wir auch die Gesamtduration des Portfolios, doch Hauptvektor unserer Portfoliokonstruktion ist und bleibt die Bottom-up-Titelselektion. Wir halten derzeit in unserem Mischfonds eine leicht untergewichtete Durationsposition, eine übergewichtete Durationsposition in unserem Lokalwährungsfonds, sind in unserem Unternehmensanleihen-Fonds neutral positioniert und im Frontier-Fonds untergewichtet.
Welche Länder sollten Investoren dagegen besser meiden und warum?
Seit Anfang 2014 haben wir Investitionen in der Ukraine gemieden, da wir ein Kreditereignis befürchteten, und den Rest unserer untergewichteten Position nach der Ankündigung einer Vereinbarung mit dem IWF aufgelöst. Ukrainische Eurobonds erlitten in der zweiten Jahreshälfte 2014 inmitten eines sich verschärfenden Konflikts mit pro-russischen Separatisten im Osten des Landes, der die Tragfähigkeit der Schuldensituation gefährdet, herbe Verluste. Die Ukraine war in der Folge gezwungen, eine neue Milliardenhilfe beim IWF in Verbindung mit einem Schuldenerlass durch die privaten Gläubiger zu beantragen. Das Land verhandelt derzeit mit seinen Gläubigern über eine Umschuldung seiner Eurobonds, doch die Anleiheninhaber sträuben sich, den massiven Schuldenschnitt, den die Ukraine im Rahmen des IWF-Abkommens anstrebt, zu akzeptieren, so dass eine Einigung höchstwahrscheinlich Anfang Juni erreicht wird. Wir werden sicherlich noch abwarten, bis mehr Klarheit über den drohenden Zahlungsausfall und vor allem über die Tragfähigkeit der Schuldensituation herrscht.
Wir haben die gleichen Fragen für Unternehmensanleihen, vorausgesetzt, dass Sie in diese Papiere investieren.
Die Ukraine ist das einzige Land, in dem wir aus den vorgenannten Gründen keine Unternehmensanleihen gekauft haben, da die Krise bereits zu einer Reihe von Ausfällen ukrainischer Corporates geführt hat.
Können Sie einige interessante Emissionen empfehlen?
Die Auswirkungen der Konjunkturverlangsamung in China, die Kontraktion in Russland und die Rezession in Brasilien werden das Wachstum der Schwellenländer in diesem Jahr auf breiter Front belasten. Zwar räumen wir ein, dass der von den Rohstoffpreisen getriebene Superzyklus, der das Wirtschaftswachstum und den Aufstieg der Mittelschicht in den Schwellenländern befeuert hatte, vorbei ist, aber der drastische Einbruch der Rohstoff- und insbesondere der Ölpreise im letzten Jahr bietet den Regierungen die Chance zur Umsetzung überfälliger Reformen. Hierzu zählt z.B. der Abbau von Kraftstoffsubventionen, um ihre Staatsfinanzen auf eine tragfähigere Grundlage zu stellen. Dennoch sind wir im Hinblick auf die Steuerreformen in Brasilien, die Modi-Dynamik in Indien und die Haushaltsanpassungen ölexportierender Länder wie Russland und Nigeria recht zuversichtlich. Die Frontier-Märkte sind eine besondere Region mit einigen attraktiven Anlagechancen, da ein Grossteil dieser Länder Ölimporteure sind. Auch zeichnen sich die Frontier-Länder durch hohe Wachstumsraten und höhere Renditen im Vergleich zu den wichtigsten Schwellenländermärkten aus, so dass Investoren eine satte Vergütung für das höhere Kredit- und Liquiditätsrisiko erhalten.
Brett Diment ist bei Aberdeen Asset Management Leiter des Teams für Schwellenländer-Anleihen. Er studierte an der London School of Economics und startete seine Karriere bei Morgan Grenfell, die dann von der Deutschen Bank übernommen wurde. Er stieg von der Position des Analysten über den Portfolio Manager bis zum Leiter des Emerging Market Debt auf. 2005 übernahm er die gleiche Rolle bei Aberdeen Asset Management, wo er aktuell für vier Emerging Market Bond Funds zuständig ist.
Aberdeen Asset Management ist ein global aufgestellter Assetmanager und ein im FTSE 100-Index gefu¨hrtes Unternehmen. Es ist in 25 Ländern mit 33 Bu¨ros, u¨ber 850 Investmentspezialisten und insgesamt 2’700 Mitarbeitern vertreten. Die verwalteten Vermögen betrugen per 31. März 2015 über 330 Mrd. Britische Pfund (477 Mrd. Schweizer Franken).