Simplifizierung als Wettbewerbsvorteil

CEO, Betreiber der ETF-Infoplattform 10x10.ch und Veranstalter der Finance 2.0
financialmedia AG, Zürich
10x10.ch
02.06.2016
Herr Borini, Sie zählen zu den besten Kennern der hiesigen ETF-Industrie. Was fällt Ihnen dazu spontan ein?
Dass es noch viel zu tun gibt. ETFs haben es noch nicht in die breite Bevölkerung geschafft, dabei sind genau diese effizienten Vehikel ideal für Privatanleger. ETFs demokratisieren das Anlegen. Das heisst nicht, dass Private zu Selbstentscheidern mutieren müssen, aber sie sollten beim Berater nachfragen. Doch mir stehen die Haare zu Berg, wenn ich feststellen muss, dass eben genau diese Berater ETF teilweise nicht wirklich verstanden haben.
Von einem Berater sollte doch heute zu erwarten sein, dass er die Produkte versteht.
Absolut. Vermögensverwalter und Bankberater können heute sicherlich die Definition von ETFs liefern. Doch das sagt «Dr. Google» bereits jedem interessierten Investor. Die Krux liegt im zugrundeliegenden Index, was bildet dieses Barometer genau ab, wie sieht die Gewichtung aus, was geschieht mit den Dividenden et cetera. Dazu kommen weitere Faktoren auf Stufe Fondshülle wie die Performancequalität oder Steueraspekte. Aber zurück zu Ihrer ersten Frage. Die Auswahl ist an der Produktfront weiter gestiegen, das ist toll.
Sie haben also grundsätzlich Freude am Tempo der Lancierungen von neuen Produkten.
Ja, aber im Bereich der Zinsprodukte hat es noch einige Baustellen. Da wünsche ich mir mehr Tempo. Wir fluchen ja auch immer auf der Strasse über die ewigen Baustellen. Doch Neulancierungen haben nicht nur Vorteile. Ich beklage ja seit langem, dass es viel zu viele aktive Fonds hat. Ich finde diejenigen, die wirklich gut sind, kaum. Diese Gefahr besteht auch bei den passiven Produkten. Ich erwarte nicht mehr den x-ten MSCI Emerging Market ETF, ausser, wenn dieser mindestens 50 Prozent tiefere Kosten aufweist oder eine integrierte Währungsabsicherung bietet. Es geht nun um die Differenzierung.
Welche Entwicklungen machen aus Ihrer Sicht am meisten Sinn?
Die wichtigsten Kernmärkte sind investierbar geworden, zu äusserst tiefen Konditionen. Ich denke hier beispielsweise an den S&P 500 Index, den sogar meine sparsame Grossmutter ordern könnte und zwar zu einer Kostenbasis, die bis vor einigen Jahren nur institutionellen Anlegern möglich war. In diesem Beispiel: 5 Basispunkte und wenn man einen solchen ETF auf US Large Caps in den USA kauft, sogar nur 0,03 Prozent. Sensationell.
Wie schätzen Sie die Vielzahl an neuen Smart Beta ETFs ein?
Die Erweiterungen finde ich grundsätzlich positiv, wobei hier ganz wichtig ist, Hype von Substanz zu trennen. Nur weil «Smart» im Titel steht, heisst das noch lange nicht, dass jede Struktur wirklich funktioniert und für jeden Anleger passt. Die Zukunft wird es zeigen, was wirklich funktioniert. Im Backtesting sehen logischerweise alle Entwicklungen immer super gut aus. Ganz besonders, und da wünsche ich mir noch mehr, gefallen mir Produkte mit integrierten Währungsabsicherungen. Ich bin ein Verfechter von einer disziplinierten, langfristigen Vermögensallokation und für einen Franken-Anleger sind meines Erachtens Fremdwährungen sinnlos, ausser es ist eine taktische Position.
Da drängt sich die Frage auf: Gibt es auch Innovationen, auf die man eher verzichten könnte?
Jedes Produkt, das nicht in fünf Punkten erklärt werden kann, sollte ein Anleger kritisch hinterfragen. Der zugrundeliegende Markt mag vielleicht komplex sein, doch dann erwarte ich vom Anbieter eine Kommunikation zu entwickeln, die leicht verständlich ist, eben in fünf Punkten. Ich finde, die Finanzindustrie ist immer noch zu kompliziert, dabei sollte das Ziel sein, möglich konsequent zu simplifizieren. Das Produkt tut dies, doch das Drumherum nicht. Das wird aufgrund der neuen Kundenbedürfnisse und durch den Druck der Digitalisierung ein Wettbewerbsvorteil. Wie sagte bereits Steve Jobs: «Simplification is the ultimate form of sophistication».
Ohne Namen zu nennen, machen einige ETF-Emittenten ihren Job besonders gut oder andersrum, gibt es nennenswerte Unterschiede zwischen den Anbietern auf dem Schweizer Markt?
Es gibt Unterschiede, ohne Zweifel. Doch man darf nicht A mit B vergleichen. Es gibt ganz unterschiedliche Geschäftsstrategien. Anbieter, die eher Generalisten sind und diejenigen, die sich auf bestimmte Themen fokussieren. Vergleichen kann man den Service. Für Privatkunden sind einfache, klare Webseiten relevant, die auch Hilfetools anbieten. Für die grossen Investoren sind zudem andere Aspekte besonders wichtig, beispielsweise beim Handel von grossen Volumen. Aber ich denke, Anbieter sollten sich überlegen, wie sie selbst gerne Informationen bekommen würden. Es kann auch helfen, einen Blick in die USA zu werfen, wie dort gewisse Anbieter ETFs «verkaufen». Davon sind wir hierzulande teilweise noch meilenweit entfernt. Digitale Services helfen letztlich dem Profi wie auch dem Privatanleger. Die Zeit ist reif, diejenigen Anleger abzuholen, die noch nicht in ETFs investieren. Digitale Kanäle helfen, wetten?
Rino Borini ist Mitgründer und CEO der financialmedia AG in Zürich. Das unabhängige Medienhaus gibt verschiedene Publikationen im Wirtschafts- und Finanzbereich heraus und veranstaltet zahlreiche Veranstaltungen wie beispielsweise die grösste Fintech-Konferenz, die Finance 2.0. Borini leitet auch den Certificate of Advanced Studies (CAS) «Digital Finance» an der Hochschule Zürich. Davor war er in leitenden Funktionen in der Finanzindustrie tätig. Der Certified European Financial Analyst (CEFA) eignete sich während mehreren Jahren ein fundiertes Wissen über Banking und Kapitalanlagen an.