«Situation der Konjunktur in Europa erlaubt derzeit keinen starken Euro»

11.09.2014
Herr Savary, der Kurs des US-Dollars hat dieses Jahr angezogen. Hat Sie diese Entwicklung - speziell auch gegen den Euro - überrascht?
Die Situation hat sich innerhalb von nur wenigen Monaten mit einem Euro unter 1.32 US-Dollar und den Abwärtsanpassungen von Prognosen verschiedener Investmentfirmen radikal verändert. Dass die Währung von Uncle Sam wieder so stark in den Vordergrund gerückt ist, deckt sich mit der damit erst kürzlich wieder assoziierten Unzufriedenheit. In den vergangenen zwölf Monaten haben wir stets argumentiert, dass die US-Währung wieder steigen wird - mit dieser Prognose lagen wir bis vor kurzem falsch. Unsere Prognose basierte auf zwei Beobachtungen: Die US-Wirtschaft ist in besserer Verfassung als die in Europa und bei der Geldpolitik beidseits des Atlantiks wird es Abweichungen in der Ausführung geben. Zusammengefasst sind wir nicht also überrascht über das kürzliche Erstarken des US-Dollars.
Wie erklären Sie sich die plötzliche Kursänderung beim Euro/US-Dollar-Kurs?
Der Bruch im negativen US-Dollar-Trend ist ganz klar durch den Entscheid der Europäischen Zentralbank gesteuert, ihre Geldpolitik weiter zu lockern - dies aufgrund der schwachen Konjunkturentwicklung auf der einen und den anhaltenden Deflationsrisiken in Europa auf der anderen Seite. Das weitere Absinken der europäischen Zinsen, die Ankündigung, nun TLTROs (Targeted Longer-Term Refinancing Operations = zielgerichtete langfristige Refinanzierungsoperationen) zu schaffen und der Aussicht auf die quantitative Lockerung, die lange als Möglichkeit ausgeschlossen wurde, bestätigten den lange abgestrittenen Hinweis, dass die derzeitige Situation der Konjunktur in Europa keinen starken Euro erlaubt.
Goldman Sachs hat einen Paritätskurs von 1:1 für den Euro/US-Dollarkurs prognostiziert. Stimmen Sie mit einem solchen Level überein?
Die Prognose von Goldman Sachs ist für das Jahr 2017, ist also noch weit weg. In der Zwischenzeit können viele Dinge geschehen. Wir befinden uns in einem eigenartigen Konjunkturzyklus, wo viele Unsicherheiten bestehen bleiben. Um John Maynard Keynes zu zitieren: «Langfristig sind wir alle tot.»
Ist ein stärkerer US-Dollar gut für das Wachstum in Europa? Verändert es Ihre Sicht auf die europäische Erholung in den nächsten Monaten?
Nein, das verändert unsere Sicht nicht wirklich, weil wir einen stärkeren Dollar in unserem Ausblick auf Europa schon in Betracht gezogen haben. Europa ist mit einer langsamen und graduellen Erholung konfrontiert. Wir erwarten ein Wachstum für Europa von mehr als 1,5 Prozent für 2014 und 2015. Abhängig davon, wo der Wechselkurs in sechs Monate sein wird, werden wir unseren Ausblick anpassen. Jetzt ist es noch zu früh dafür.
Was sind Ihre Kursziele für den Euro/US-Dollarkurs?
Wir betrachten für den Euro einen Kurs von 1.27 US-Dollar als gutes Ziel bis Ende 2014. Bis Mitte 2015 erwarten wir einen Euro-Kurs von 1.20 US-Dollar.
Wird die USA erlauben, dass sich der US-Dollar so aufwertet?
Das ist eine gute Frage. Mann muss ein Auge auf das Verhalten der US-Behörden halten, wie sie auf die Neubewertung ihrer Währung reagieren. Wenn der US-Dollar sich zu rasch erhöht, könnte es die Entwicklung des US-Wirtschaftszyklus durcheinander bringen und Benzin in die Deflationsrisiken schütten. Das würde die US-Notenbank Fed ohne Zweifel als unvorteilhaft betrachten. Wir sollten uns dabei an den berühmten Satz des US-Notenbankchefs in den 1970er Jahren erinnern: «Der Dollar ist unsere Währung, aber Euer Problem.» In anderen Worten: Es wäre ein Fehler zu glauben, dass Europa darauf hoffen kann, dass der eigene Wirtschaftsrückgang durch den Währungsmarkt ausgeglichen werden kann. Hinzu kommt, dass für die Konjunktur und die internationalen Finanzmärkte nichts schlimmer wäre, als ein Krieg der quantitativen Lockerung zwischen den verschiedenen Währungsblöcken. Das würde nur zu Blasen führen. Hoffen wir daher, dass die USA einen stärkeren Dollar akzeptieren werden. Die US-Wirtschaft sollte einen Kurs von 1.28 oder sogar 1.20 verkraften können - ohne dabei etwas von einer Parität anzudeuten.
Der Ökonom und Finanzanalyst François Savary leitet die für die Anlagestrategien von REYL & Cie zuständige Abteilung für Finanzanalyse. Savary war zunächst als Chief Investment Officer bei Darier Hentsch & Cie sowie Chief Investment Stratege bei Deutsche Bank (Suisse) tätig und ab 2001 war er selbständiger Strategie- und Analyse-Consultant. 2006 war er Herausgeber der Tageszeitung «L’Agéfi». Seit 1992 unterrichtet François Savary beim Institut Supérieur de Formation Bancaire in Genf. 2007 kam er zu REYL & Cie. François Savary besitzt einen Abschluss des Institut des Hautes Etudes Internationales in Genf. Er nahm ferner am Doktorandenprogramm des Instituts im Fach Volkswirtschaft teil.