«Small Caps und nachhaltiges Dividendenwachstum sind kein Widerspruch»

07.09.2015
Herr Nossek, die Nervosität unter den Anlegern hat zugenommen. Wo sehen Sie die Gründe für den jüngsten Crash an den Aktienmärkten?
Es ist eine klassische Aktienmarkt-Korrektur bei der die Wachstumserwartungen zu gross waren und jetzt auf realistischere Werte zurück gestutzt wurden. Entscheidend für die Beurteilung der Lage ist die Tatsache, dass die Korrektur nicht von der hohen Verschuldung der Haushalte und Unternehmen in den Industrieländern hervorgerufen wurde, sondern vom Einbruch der Rohstoffpreise. Dieser bringt die chinesischen Hersteller unter Druck. Sie kämpfen derzeit profitabel zu bleiben und ihre überschüssigen Produktionskapazitäten abzubauen.
Der Einfluss Chinas auf die weltweite Konjunktur ist markant gestiegen. Wie gross ist die Ansteckungsgefahr, dass Chinas Probleme andere Märkte mitreissen?
Derzeit ist diese Gefahr eher gering. Wir beobachten, dass sich der US-Arbeitsmarkt nach wie vor stabil zeigt und der Ausbau der Produktionskapazität in den USA nachhaltig steigt. Die Unternehmen nehmen dabei aber keinen exzessiven Anstieg der Schulden zu Finanzierungszwecken in Kauf. In der Eurozone sehen wir ebenfalls positive Zeichen, so festigt sich das Wirtschaftswachstum. Der Finanzsektor in der Eurozone hat sich erholt und beginnt mehr Geld an den Privatsektor auszuleihen. Dies ist eine wichtige Voraussetzung für eine breitgefasste Wachstumsphase, die anstatt von Exportstärke zunehmend durch die bisher seit mehreren Jahren fehlende Binnennachfrage vorangetrieben wird.
Die europäischen und US-Märkte haben sich von den chinesischen Märkten abgekoppelt, wo die Korrektur weiter geht. Zwar werden die Wachstumserwartungen für sämtliche Aktienmärkte weiter zurückgeschraubt, zu einem Wachstumseinbruch wird es aber nicht kommen, zumal die Erholung in Europa und das Wachstum in den USA durch strukturelle Treiber bedingt ist. So haben sich die Aktienkurse in den USA und Europa stabilisiert. Das deutet darauf hin, dass der unvermeidliche Abschwung in China nicht in einer Bruchlandung enden und weitere Märkte in Mitleidenschaft ziehen wird. Kursgewinne werden eher schwächer ausfallen, wobei dieses Risiko bei den höher bewerteten US-Aktien grösser sein sollte als bei den europäischen Aktienmärkten.
Wenn ich Sie richtig verstehe, dann sprechen wir hier eher von einer Kaufgelegenheit?
Schauen Sie, kurzfristig können weitere Verwerfungen nicht ausgeschlossen werden. Bewertungstechnisch sind die Unternehmen in den Industrieländern mit einem KGV im mittleren Zehner-Bereich aber keineswegs teuer (S&P 500 = 16.7x, DAX 30 = 12.3x, EURO STOXX 50 = 13.6x, FTSE 100 = 14.8x). Angesichtes der niedrigen Renditen auf den Anleihenmärkten ist das, sowohl absolut als auch relativ, keine Überbewertung. Sollten wir weiter sinkende Kurse sehen, dann reden wir von einer Unterbewertung von Aktien, was Anlegern insbesondere auf den Aktienmärkten der Industrieländer Chancen eröffnet.
Das Dauerthema ist derzeit, was Anleger tun sollen angesichts der mickrigen Zinsen.
Wir haben es hier mit einem Problem zu tun, dass sich in Zukunft noch zuspitzen wird. Viele Anleger sind in auf Dividenden bzw. Zinszahlungen angewiesen. Sobald die geburtenstarken Jahrgänge in Rente gehen, wird sich diese Abhängigkeit sogar verstärken. Angesichts der Zinspolitik der Notenbanken ist vor allem in Europa noch relativ lange mit sehr tiefen Zinsen zu rechnen.
Konkret, wo finden Anleger interessante Anlagemöglichkeiten?
Eine nach unserer Meinung häufig übersehene Anlagekategorie sind Small Caps, besonders Nebenwerte aus Industrieländern und Schwellenmärkten. Sie sorgen für Diversifizierung und bieten zudem ein hohes Ertragspotenzial, das vor allem durch die volkwirtschaftliche Binnennachfrage getrieben wird. Sprich, will man als Anleger gezielt auf die strukturelle Erholung Europas setzen, so sind breitgefasste europäische Small-Cap-Aktienbaskets eine effektive Art und Weise, um dieses Thema zu spielen.
Nebenwerte sind aber nicht dafür bekannt, dividendenstarke Titel zu sein?
Viele Anleger täuschen sich und sind der Meinung, dass Nebenwerte keine Dividendenausschüttungen leisten können, weil sie sich in erster Linie auf Wachstum konzentrieren und ihre Gewinne reinvestieren müssen, um dieses Wachstum zu unterstützen. In Wirklichkeit haben viele Unternehmen mit geringer Marktkapitalisierung bewährte Geschäftsmodelle mit relativ stabilen Gewinnen. Nach unserer Meinung sind viele dieser Unternehmen in der Lage, Dividenden an die Aktionäre auszuschütten und sie mit der Zeit zu steigern. Ein breitgestreutes Aktienportfolio, das solche Nebenwerte hält, kann deswegen auch ein nachhaltig starkes Dividendenwachstum erwirtschaften.
Wie gehen Sie hierbei vor bzw. was können Sie den Anlegern bieten?
Die Methodik der fundamentalen Indizes von WisdomTree unterscheidet sich deutlich von einem nach Marktkapitalisierung gewichteten Ansatz. Wenn WisdomTree seine Dividendenmethodik anwendet, nimmt es nur Dividenden ausschüttende Unternehmen auf und gewichtet anschliessend diese Unternehmen nach ihren Dividenden. Jeder Index wird dann einmal jährlich neugewichtet, indem die relativen Gewichte anhand von Trends in den zugrunde liegenden Fundamentaldaten angepasst werden. Das trägt dazu bei, das Bewertungsrisiko in den Griff zu bekommen. Ein Vergleich mit herkömmlichen Indizes über die letzten 12 Monate zeigt, dass WisdomTree US Small Cap Dividend mit über 3,5 Prozent Dividendenrendite deutlich über dem S&P 600 liegt. Auch der WisdomTree Emerging Markets Small Cap Dividend oder der WisdomTree Europe Small Cap Dividend schlagen die Vergleichsindizes.
Viktor Nossek ist Leiter Research von WisdomTree Europe. Nossek verantwortet das Research von WisdomTree Europe, wozu Makro-Analysen entlang der wichtigsten Assetklassen wie Aktien, Rohstoffe und Anleihen zählen. Zu seinen Aufgaben gehört es auch, Tradingideen für Short- und Hebel-ETPs zu liefern. Viktor Nossek verfügt über mehr als 14 Jahre Erfahrung als Research-Spezialist. Bevor er zu WisdomTree stiess, arbeitete als Leiter Research für Renaissance Asset Managers. Davor war er für BlackRock und Thomson Financial als Analyst tätig. Er besitzt einen Master in Economic der Maastricht Universität in den Niederlanden.