Südafrikas Demokratie ist erwachsen aber noch nicht reif

18.02.2015
Herr Dr. Vogt, Sie haben ein Buch «Südafrika - Eine Demokratie wird erwachsen» geschrieben, das jüngst im renommierten «Verlag Neue Zürcher Zeitung» erschienen ist. Was hat Sie dazu bewogen?
Ein wichtiger Auslöser war sicher der Tod Nelson Mandelas im Dezember 2013. Ich schrieb aus diesem Anlass eine Artikelserie für die «Weltwoche» und irgendwie bekam ich Lust, die Geschichte Südafrikas, die ja sehr stark auf die heutige politische Aktualität einwirkt, in einem kurzen Buch darzustellen. Seit meiner Zeit als Auslandkorrespondent für die «Neue Zürcher Zeitung» und andere Schweizer Tageszeitungen in Johannesburg (1996 bis 2000) habe ich das Land regelmässig bereist und mich mit der dortigen Entwicklung auf einer kontinuierlichen Basis befasst.
Wie erwachsen ist Südafrikas Demokratie?
Etwa so wie ein Lehrabsolvent oder Maturand: Erwachsen, aber noch nicht reif. Es wird immer noch viel zu stark in den Gegensätzen, ja Feindschaften der Vergangenheit gedacht. Kritisiert ein Weisser die Regierung - auch wenn seine Kritik sachlich und fundiert ist - wird er auch heute noch gerne mit dem Killerargument konfrontiert, dass er ja vom ancien régime - der Apartheid - profitiert habe. Sodann wird die Regierung heute wie auch noch auf viele Jahre hinaus eigenes Versagen mit der Vergangenheit des Landes begründen.
Wann und wie begann Ihre Liebe zu Südafrika?
«Liebe» ist ein grosses und romantisches Wort, aber ich habe sicher eine tiefe Sympathie für Land und Leute und entwickelte diese schon bald, nachdem ich ankam und zu arbeiten begann. Die Südafrikaner, ob schwarz oder weiss, haben etwas sehr Offenes, Herzliches und Spontanes gegenüber von Fremden. So ging es mindestens mir, meiner Familie und meinen Freunden. Etwas völlig anderes ist es, wenn schwarze Migranten etwa aus Simbabwe in Südafrika Arbeit suchen. Diese sind extrem unbeliebt nach dem Motto «die stehlen unsere Jobs» und im Extremfall sind sie durch ihre blosse Präsenz an Leib und Leben gefährdet.
Können Sie ein Erlebnis schildern, dass Sie nie vergessen werden?
Das waren neben vielen anderen sicher mehrere Begegnungen mit Präsident Nelson Mandela. Vor allem aber jene, wo wir ihn mit einer Gruppe von Schweizer Journalisten bei ihm zuhause interviewen durften. Der Termin war eigentlich auf 30 Minuten angesetzt, dauerte aber anderthalb Stunden, weil ich meine damals vierjährige Tochter mitnahm, die ihn in der Folge um den Finger wickelte. Dieser goldene Moment ist übrigens auf einem 3-Minuten-Video zu sehen:
Gab es auch Enttäuschungen, wo Sie sich überlegten, die Koffer zu packen?
Nein. Man braucht allerdings starke Nerven, um die Qualität der südafrikanischen Dienstleistungen (etwa im Telekommunikationsbereich) zu ertragen. Jedes Jahr (vorab in der Gewittersaison) fiel mein Fixnet-Telefon mindestens zweimal aus. Hier innert nützlicher Frist (innert weniger Tage) Hilfe zu organisieren, kostete stundenlange Anstrengungen. Sodann war natürlich eine gewisse Grundangst vor der Kriminalität schon da. Wir hatten eine Alarmanlage, sämtliche Fenster und Türen vergittert, ein Abo bei einer Sicherheitsgesellschaft sowie einen Schäfer- und einen Appenzellerhund. Dies ist so das Standardprogramm.
In den vergangenen Jahren hat sich bestimmt viel verändert. Würden Sie heute in Südafrika leben wollen?
Für ein zeitlich beschränktes Engagement, warum nicht? Heute müsste ich allerdings einen starken Generator für meine Privatliegenschaft anschaffen, derart wacklig ist die Stromversorgung wegen unterlassener Investitionen in die Stromproduktion und -verteilung geworden. Definitiv nach Südafrika emigrieren würde ich nicht, weil zu viele Entwicklungen im Land bei mir die Alarmlampen aufleuchten lassen. Ich nenne drei: eine extrem unternehmerunfreundliche Gesetzgebung, eine stupende Militanz in der Arbeiterschaft (namentlich im Bergbau und in der Automobilindustrie) sowie ein Präsident, bei dem man den Eindruck erhält, er betrachte das Land als seinen Privatbesitz und lasse es sich und seinem gesamten Clan mehr als nur gutgehen.
Welchen Einfluss auf die Stimmung hat die Höhe des Goldpreises?
Die Höhe des Goldpreises ist weniger eine Frage der Stimmung als eine Frage der jeweiligen Profitabilität des Minensektors. Wenn der Goldpreis unter ein bestimmtes Niveau sinkt, dann müssen ganze Schächte mit niedrigem Goldgehalt in Südafrikas Minen eingemottet werden. Als ich dort lebte, senkte sich der Preis von knapp über 400 US-Dollar pro Unze auf rund 300 US-Dollar. Während und nach der Finanzkrise von 2008 betrug der Goldpreis ein Vielfaches davon, womit bewiesen ist, dass der Preis für das gelbe Edelmetall nicht in Johannesburg gemacht wird.
Sie malen nicht gerade ein rosiges Bild…
Das ist so. Da gibt es vieles, das im Argen liegt. Natürlich gab es in den ersten 20 Jahren der neuen Demokratie auch zahlreihe Erfolge. Millionen von (schwarzen) Menschen geht es jetzt besser als 1994. Heute ist die erste Generation von Südafrikanern erwachsen, die nie unter der Apartheid gelebt hat. Aber sehr vieles im Bereich der Besserstellung geschah durch Umverteilung. Und genau hier wird es problematisch. Die Wertschöpfung aus eigener unternehmerischer Kraft ist unterentwickelt.
Oder sollten Anleger sich gerade jetzt Gedanken über ein Investment machen?
Man muss unterscheiden. Direktinvestitionen in südafrikanische Firmen sind wie überall auf der Welt nur etwas für Profis, die das Land in- und auswendig kennen. Ein Risiko, das man im Kopf behalten sollte, ist die Volatilität der Währung oder eher die langfristige kontinuierliche Abschwächung des Rand gegenüber US-Dollar, Euro und Franken. Seit die südafrikanische Medi-Clinic-Gruppe Hirslanden übernahm (2007), hat sich der Wert des Rands halbiert. Ceci dit hat Südafrika einen Kapitalmarkt, der Erstwelt-Niveau hat und eine Börse, die dies auch hat. Interessierte Anleger sollten sich eventuell den einen oder andern US-Dollar- oder Euro-denominierten Anlagefonds genauer ansehen.
Werner Vogt (1960), Dr. phil., Exec. MBA HSG, promovierte mit einer Arbeit über das Churchill-Bild in der «Neuen Zürcher Zeitung». Er ist Gründer und Inhaber der in Medienarbeit, Ghostwriting und Corporate Publishing spezialisierten Werner Vogt Communications AG in Küsnacht ZH. Zuvor war er während 14 Jahren Journalist (NZZ-Auslandredaktor und Südafrika-Korrespondent) sowie über sieben Jahre Pressechef der Schweizer Börse/SIX. Er ist Autor und Mitherausgeber mehrerer Sachbücher über Geschichte, Politik und Wirtschaft.