Im Portfolio muss es nicht immer trendy zugehen

11.04.2021
Herr Masarwah, das 1. Quartal ist Geschichte. Gab es viel Spannendes zu schreiben?
Jede Menge! Angefangen mit der spektakulären Aufwärts-Entwicklung an den Märkten. Es ging wieder einmal nach oben. Da werden Sie sagen: Und, was gibt es Neues? Einerseits hätten Sie natürlich Recht: Es ist, wie so oft in den vergangenen Jahren, auch im letzten Quartal aufwärts gegangen. Aber die Art und Weise, wie Anleger den Konjunktur-Wiederauferstehungs-Trade gespielt haben, war schon spektakulär: Zyklische Aktien mit haptischen Produkten und klassischen Dienstleistungen haben immens zugelegt. Banken, Energiewerte, zyklische Konsumwerte sind regelrecht durch die Deken gegangen. Das ging zu Lasten von Tech- und anderen Growth-Werten, die im Corona-Jahr 2020 noch reüssieren konnten - nur relativ gesehen, absolut konnten natürlich auch letztere zulegen. Und wissen Sie, was ich daran besonders spektakulär finde?
Wir sind gespannt.
Im Gegensatz zur gesellschaftlichen Debatte, die doch jede Menge Gloom and Doom-Szenarien hervorbringt, sind Anleger optimistisch! Ja, Corona hat uns einen historischen Einbruch beschert, ja, viele Menschen sind arbeitslos geworden, ja, unser gesellschaftliches Leben ist zum Stillstand gekommen. Aber die Wissenschaft hat uns mit jeder Menge an effektiven Impfstoffen beschert, die Menschheit ist im Begriff, das Corona-Virus in Rekordzeit auf Normalmass zurechtzustutzen. Das alles sehen Anleger - im Gegensatz zum anscheinend Aktien-abstinenten Homo-Sapiens-Zweig, der in tiefste Depressionen gestürzt wurde und in einem tiefen Loch steckt. Auch wenn ich den Optimismus der Aktienanleger manchmal etwas naiv finde, würde ich mir mehr von diesem wundervollen Optimismus für die gesamte Gesellschaft, gerade bei uns in Europa, herbeiwünschen.
Wenn ich den Advocatus Diaboli machen wollte, würde ich jetzt sagen: Das sind doch nur die Notenbanken, die die Märkte mit Liqudität fluten.
Ach, wissen Sie, ich kenne diese Argumente, wonach die Märkte und das reale Wirtschaftsleben zwei verschiedene, voneinander vollkommen getrennte Welten wären. Aber das finde ich etwas absurd. Die Notenbanken schaffen die Voraussetzung - übrigens Hand in Hand mit der Fiskalpolitik - dass das reale Leben wieder in Gang kommt. Besonders beeindruckend ist das in den USA zu beobachten: Die Biden-Administration und die Notenbank feuern aus allen Rohren, und die positiven Effekte werden in jedem Bereich des Wirtschaftslebens ihre Wirkung zeigen.
So optimistisch kenne ich Sie ja gar nicht!
Tut mir Leid, Doom and Gloom über die ach so fürchterlich irrationalen Märkte werden Sie heute von mir nicht hören. Ich finde, dass Anleger übrigens in einer anderen Hinsicht durchaus rational sind: Sie kaufen nicht nur die Aktien, die von der Konjunkturerholung profitieren werden, sondern sie strafen die vollkommen absurd bewerteten High-Tech-Werte ab - nicht nur viele gehypte Geschäftsmodelle von digitalen Champions aus Amerika, sondern auch viele chinesische Tech-Aktien, die tatsächlich absurde Kurshöhen erreicht haben.
Was halten Sie vom Thema Nachhaltigkeit? Es scheint, dass nun wirklich jede Adresse auf den ESG-Zug aufgesprungen ist. Wie beurteilen Sie diese Entwicklung?
Der Ball rollt, und ich sehe nicht, warum sich das ändern sollte. Immer mehr Anleger glauben daran, dass es Zeit ist, die Wirtschaft auf ein neues nachhaltigeres Fundament zu stellen, und das halte ich für sehr wichtig. Wenn immer mehr Anbieter auf den Zug aufspringen: umso besser. Sie müssen sich nur darauf gefasst machen, dass sie angesichts der immer besseren Transparenz auch liefern müssen, wenn sie ein Produkt als nachhaltig deklarieren. Wer Green Washing betreibt, muss sich darauf gefasst machen, dass er Gefahr läuft, in einen Naming- und Shaming-Strudel zu geraten. Die Kehrseite des ESG-Hypes ist die Ächtung der Green-Washing-Scharlatane.
Thematic Investing scheint nun auch ein Renner zu werden. Ist das alter Wein in neuen Schläuchen oder finden Sie Gefallen dran?
Da bin ich hin und hergerissen. Einerseits sehe ich da die grosse Gefahr, dass Anleger zum komplett falschen Zeitpunkt - geblendet von der Vergangenheits-Performance - einsteigen und Schiffbruch erleiden. Selbst wenn sie ein gutes Händchen hatten bei einem Thema, ist ein Thema nun einmal deshalb ein Thema, weil alle darüber reden, es also längst von Investoren hochgekauft wurde. Da droht also dann Korrekturgefahr. Auf ein eher weniger hippes Thema zu setzen, kann aber zur Folge haben, dass das Thema absolut nicht an den Märkten laufen wird. Und dann kommt noch die Frage: welche Themen-Strategie ist die richtige? Andererseits leiden Sektorfonds oft unter einer Umwucht. Sie sind oft nicht gut diversifiziert, weil da zwei, drei Player dominieren, und dann hat man ein handfestes Klumpenrisiko. Denken Sie nur an das gigantische Gewicht von Microsoft in Technologie-Sektor-ETFs!
Was erwarten Sie von der Fondsindustrie insgesamt in den kommenden Monaten?
Sehr viel prozyklische Neuauflagen, das, was gut läuft, wird immer wieder neu verpackt und auf den Markt geworfen. Caveat emptor ist da mein dringender Rat an Investoren! Übrigens hat man im 1. Quartal gesehen, dass auch ganz langweilige Standardwerte-Indizes und Aktiensegmente ordentlich performen konnten: DAX, S&P 500, MSCI World… die soliden Bausteine haben ordentlich performt. Es muss also nicht immer trendy zugehen im Portfolio.
Link zum Disclaimer
Ali Masarwah ist Mitglied im europäischen Research-Team von Morningstar und als Chefredaktor für die deutschsprachigen Websites von Morningstar verantwortlich. Seit Juni 2015 ist er zudem als Direktor für das Editorial Team von Morningstar EMEA zuständig. Nach seinem Volontariat bei der Wirtschaftsnachrichtenagentur ADX in Berlin fand er recht zügig den Zugang zum Thema Investmentfonds. Im Jahr 2000 wurde er Mitglied der Fondsredaktion bei der Nachrichtenagentur vwd, die er von 2001 bis 2003 leitete. 2003 wechselte Ali Masarwah zur portfolio Verlagsgesellschaft, Frankfurt, wo er zunächst als Chefredaktor das Magazin «portfolio international» übernahm. Von 2006 bis zu seinem Wechsel zu Morningstar im Herbst 2011 hatte er zusätzlich als Redaktionsleiter die journalistische Verantwortung für alle Magazine und Websites des Verlags inne.