Unabhängigkeit in den Lieferketten als Investmentchance

08.08.2023
Frau Lagron, Covid und der Ukraine-Krieg haben uns schmerzlich aufgezeigt, wie fragil gewisse globale Lieferketten sind. Hat sich die Lage aus Ihrer Sicht wieder normalisiert?
Die globalen Lieferketten haben sich (von einigen Regionen in China abgesehen) fast gänzlich von den Auswirkungen der Covid-19-Pandemie erholt. Die Lagerbestände in Industrie und Einzelhandel normalisieren sich auch langsam. Vereinzelt kommt es noch zu spezifischen Kurzzeitengpässen.
Was allerdings den immer noch anhaltenden Ukraine-Konflikt betrifft, handelt es sich um einen separaten geopolitischen Konflikt, der eigene und eher langfristige Auswirkungen auf die globalen aber auch vor allem die europäischen Lieferketten hat: vor allem im Bereich Energie-Belieferung hat sich die Ressourcensituation wohl nachhaltig geändert. Da wo früher ein grosser Teil von Gas und Öllieferungen aus Russland kam, wurden die Lieferketten radikal diversifiziert. Dafür wurden mehrere LNG-Terminals für die Regasifizierung unter anderem in Brunsbüttel, Wilhelmshafen und Lubmin aufgebaut. Mehrere weitere Projekte zum Beispiel in Italien, Rumänien und Belgien werden zurzeit vorangetrieben , um das Anlanden von Flüssiggas aus vielfältigen Quellen wie beispielsweise den USA zu vereinfachen. Von daher ist davon auszugehen, dass die Abhängigkeit von russischem Gas eher der Geschichte angehört.
Werden wir nun eine Phase der Regionalisierung von Industriezweigen sehen?
Der Schwerpunkt wird jetzt verstärkt auf der Widerstandsfähigkeit liegen: steigende USA- China-Spannungen, die Pandemie und letztlich der Ukraine-Konflikt haben die Bedeutung der Widerstandsfähigkeit von Lieferketten bei grossen exogenen Schocks verdeutlicht. Unternehmen und Regierungen streben nun danach, ihre Agilität, Flexibilität und ihre Fähigkeit zur Bewältigung zukünftiger Störungen zu stärken.
Wo sehen Sie entlang der Sektoren den grössten Bedarf für Veränderungen?
Während Handlungsbedarf in fast allen Industrien gegeben wäre, liegen die dringendsten Anpassungen im Bereich der Halbleiter, der erneuerbaren Energien («Cleantech»), dem Gesundheitswesen und der Agrarwirtschaft: über 80 Prozent der Halbleiter werden in Asien, hauptsächlich in Taiwan, produziert, circa 90 Prozent aller Solarzellen werden in China hergestellt, Europa lässt derzeit über 75 Prozent der pharmakologischen Wirkstoffe (die sogenannten APIs: Active Pharmaceutical Ingredients) in Asien (hauptsächlich Indien und China) erzeugen, während ein Grossteil aller auf Kali basierenden Düngemittel aus Russland und Weissrussland stammt.
Mit «Echiquier Go Local» haben Sie eine neue Aktienstrategie lanciert, die in Unternehmen investiert, die zur Widerstandfähigkeit und Autonomie strategischer Sektoren beitragen. Wo sehen Sie die konkreten Chancen für Investoren?
Die Vorteile für Unternehmen und logischerweise für deren Investoren sind vielfältig und umfassen unter anderem folgende Aspekte: eine bessere Kontrolle und Duplizierung der Lieferketten (mit Verkürzung der Lieferzeiten, Rückverfolgbarkeit usw.), Reduzierung von Logistikkosten und -zeiten sowie Finanzierungskosten für Lagerbestände und die Verringerung der damit verbundenen Risiken, des Betriebskapitals und positive Auswirkungen auf die Margen, Stärkung der Preisgestaltungsmacht, Lösung zur Überwindung nationaler Barrieren und bessere Kontrolle über nicht-finanzielle Risiken (ESG) in der Lieferkette sowie die Verbesserung des Images und des Rufes (Qualität, «Made in Europe/the USA» gegenüber «Made in Southeast Asia»).
Daher sucht sich ein Investor Unternehmen aus, die in einer Zeit anhaltender höherer Inflation eine Widerstandsfähigkeit des Umsatzes zeigen, ihre Margen durch Kostenmanagement und Preisgestaltung halten oder steigern können. Diese Unternehmen können auch während geopolitischer Spannungen ihre Marktanteile halten, indem sie die Versorgung sichern und von protektionistischen Massnahmen wie Subventionen und Steuergutschriften profitieren.
Rückenwind dürfte von staatlichen Unterstützungsprogrammen kommen. Welche Rolle spielen sie bei der Auswahl der Unternehmen?
Staatliche Hilfsprogramme wie zum Beispiel der amerikanische «CHIPS Act», der amerikanische «IRA Act» oder das indische «PLI» sind zentral, um die Investitionen anzukurbeln vor allem in Bereichen, wo wir von Multimilliarden-Projekten sprechen. Sie helfen unterdurchschnittliche Investitionsrenditen in finanziell sehr interessante Projekte zu verwandeln. Für uns als Stockpicker bedeutet das, dass wir vermehrt sehr rentable Unternehmen mit potenziell starker Umsatzsteigerung vorfinden.
Können Sie uns ein konkretes Beispiel nennen?
Das Unternehmen Meyer Burger ist ein gutes Beispiel. Es hat sich erfolgreich vom Anbieter von Solarausrüstung zum Hersteller von Heterojunction-Zellen und -Modulen transformiert. Nun baut Meyer Burger bedeutende Lieferkettenvereinbarungen auf und fährt seine Produktionskapazität in den USA hoch. In den vergangenen Monaten hat das Unternehmen mehrere Vereinbarungen mit D.E. Shaw Renewable Investments (DESRI) unterzeichnet, um Solarmodule für die Grossprojekte des unabhängigen US-Stromerzeugers zu liefern. Diese langfristigen Abnahmeverträge sind einem Kickstart der Produktion gleichzusetzen, auch weil diese neuen Vereinbarungen grösstenteils die Finanzierung der Investitionen in die neuen Zelllinien durch entsprechende Vorauszahlungen der Kunden abdecken. Meyer Burger hat sich nun dazu entschieden, die jährliche Kapazität der Modulproduktion in Goodyear (Arizona, USA) zu erhöhen. Die etwa 25-prozentige Steigerung der Produktivität der geplanten Glas-Glas-Produktion wird durch die Optimierung der Produktion auf Basis der bisherigen Erfahrungen ermöglicht. Lediglich die notwendige Erweiterung der entsprechenden Zellkapazität in Thalheim (Deutschland) erfordert erhebliche Investitionen in neue Ausrüstung. Das zusätzliche jährliche Produktionsvolumen wird über neu abgeschlossene langfristige Abnahmeverträge ab 2025 und über mehrere Jahre hinweg an zwei renommierte Unternehmen verkauft werden.
Was ist generell der Hauptfokus bei LFDE?
Innovativ für unsere Kunden zu sein. Wir sind bestrebt, immer einen Schritt voraus zu sein. Dies zeigt sich insbesondere in der Auflegung von Fonds, die innovative Themen frühzeitig abdecken. So haben wir zum Beispiel 2018 den Themenfonds «Echiquier Artificial Intelligence» aufgelegt, einen Fonds, der sich mit dem Thema Künstliche Intelligenz beschäftigt. Im Jahr 2021 folgte der Themenfonds «Echiquier Space», der erste europäische Fonds, der sich dem Weltraum und dessen Ökosystem widmet. Unser Ziel ist es, die grossen strukturellen Trends zu antizipieren. «Echiquier Go Local», der Ende 2022 aufgelegt wurde, ist auch ein konkretes Beispiel dafür. Vor dem Hintergrund multifaktorieller Krisen, die unsere Abhängigkeiten und strategischen Verwundbarkeiten offengelegt haben, formiert sich die Weltwirtschaft neu. In diesem Zusammenhang entscheiden wir uns dafür, Teil dieser Entwicklung zu sein und uns mit Souveränität und dem Bedürfnis nach Autonomie in strategischen Sektoren zu befassen. Ein grundlegendes Thema unserer Zeit!
Link zum Disclaimer
Nina Lagron hat einen Master-Abschluss in Finanzen von der Universität Paris-Dauphine und ist CFA-Charterholder. Sie begann ihre Karriere 1998 bei UBS als Investmentbankerin, bevor sie 2002 als Fondsmanagerin und Analystin zu Fortis Investments kam. Danach arbeitete sie als internationale Aktienmanagerin bei Crédit Agricole Asset Management, dann bei Amundi, bei Gemway Assets und schliesslich bei La Française als Leiterin der Aktienabteilung. Nina Lagron kam 2022 als Managerin für internationale Aktienfonds zu La Financière de l'Echiquier. Im Jahr 2022 erwarb sie das CFA-Zertifikat in ESG-Investing und legte den Fonds «Echiquier Go Local» auf, einen internationalen Fonds, der auf die Herausforderungen von Unternehmensverlagerungen reagiert.