Value-Investoren und ESG: Was sollten Anleger beachten?

18.11.2021
Herr Mallet, die aktuelle Situation stellt Value-Investoren vor einige Herausforderungen. Viele Menschen sind der Meinung, dass sich das Wesen von Value-Investitionen nicht immer mit den ESG-Zielen vereinbaren lässt. Stimmt das?
Es ist richtig, dass eine Anzahl an Unternehmen aus den Bereichen Energie, Werkstoffe und Versorgung bei der Analyse ihrer ESG-Faktoren negativ abschneiden könnten. Der Grund ist, dass sie in der Vergangenheit für eine grosse Menge der Kohlenstoff-Emission verantwortlich waren. Wie die UN-Klimakonferenz zeigte, stehen wir vor einem erheblichen Wandel. Damit ergeben sich für Investoren einige Chancen.
Was genau meinen Sie damit?
Wenn aktive Manager ESG-Faktoren in die Entscheidungsfindung einbeziehen, können neue Möglichkeiten bei der Auswahl der Aktien entstehen sowie Risiken aufgedeckt werden, die sonst vom Markt nicht in vollem Umfang wahrgenommen werden. Sogenannte Nachzügler im Bereich ESG stellen sich plötzlich als Namen heraus, die viel Potenzial bieten.
Wo genau liegt das Potenzial in diesen Fällen?
Oft entwickeln diese Unternehmen Technologien, erschliessen Ressourcen und kanalisieren Finanzmittel, die den Wandel vorantreiben können. Dann zeigt sich, dass ESG und Value-Investing das Potenzial haben, Hand in Hand zu gehen. Durch unsere Gespräche mit den Unternehmen erhalten wir Einblicke in die Denkweise des Managements. In einigen Fällen sind wir sogar möglicherweise in der Lage, Entscheidungen und das Agieren zu beeinflussen und die Entwicklung in eine positive Richtung zu lenken.
Wie gehen Sie dabei vor? Wie bieten Sie den Unternehmen Anreize, ESG-Faktoren stärker in die Entscheidungen einzubeziehen?
Wir bevorzugen bei Unternehmen ein Management, das wie ein Eigentümer denkt und handelt. Zudem wählen wir oft Aktien aus, bei denen das Management durch den Erhalt von Zertifikaten Anreize erhält. Wir scheuen aber auch die Auseinandersetzung nicht. Wir äussern unsere Bedenken und erklären den Unternehmen genau, welche Entscheidungen positive oder negative Auswirkungen auf die Aktien haben. Denn eine Verbesserung des ESG-Profils kann auch die weitere Entwicklung eines Unternehmens nachhaltig verbessern.
ESG wird also auch bei der Value-Investition immer wichtiger?
Das ist richtig. ESG ist ein entscheidender Faktor bei richtigen Anlageentscheidung geworden. Ein angemessenes Bewusstsein für ESG-Risiken kann auch eine funktionierendes Abwehrmittel gegen die «Value-Falle» sein. Diese Falle beinhaltet, dass Unternehmen zwar auf den ersten Blick sehr günstig erscheinen, bezieht man dann jedoch eine Analyse nicht-finanzieller ESG-Faktoren ein, kommt man oft zu dem Fazit, dass die Titel nicht ohne Grund günstig sind. ESG-Daten sind für uns eine wichtige Informationsquelle, die uns dabei hilft, Aktien auszuwählen, die mit einem deutlichen Abschlag gegenüber unserer Einschätzung ihres Substanzwertes gehandelt werden. Denn letztendlich geht es beim Value Investing eben darum, fehlbewertete Aktien zu kaufen, bei denen wir der Meinung sind, dass der potenzielle Gewinn grösser ist als die Risiken.
In welchen Branchen sehen Sie besonderes Potenzial?
Es gibt drei Branchen, in denen wir Chancen sehen. Dies sind europäische Autohersteller, Wertstoffe und Stahl. Im Bereich der Wertstoffe steht der Wechsel von Kunststoffen zu nachhaltigeren Materialen bevor. Dabei haben wir einige Unternehmen identifiziert, die Zugang zu forstwirtschaftlichen Vermögenswerten haben, die durch Kohlenstoffabscheidung und -speicherung eine wichtige Rolle bei der Bewältigung des Klimawandels spielen können. Im Fall von Stahl gibt es viele Unternehmen, die eine Netto-Null-Zusage machen. Die Umstellung zu weniger kohlenstoffintensiveren Verfahren ist allerdings teuer. Es entstehen Markteintrittsbarrieren, die jedoch ein günstigeres Umfeld für etablierte Unternehmen schaffen könnten. Im Falle der europäischen Autohersteller haben unsere Analysen gezeigt, dass einige dieser Unternehmen stark investieren, um sich mit Nachdruck auf den Übergang zur E-Mobilität vorzubereiten.
Link zum Disclaimer
Sébastien Mallet ist seit 2005 für T. Rowe Price tätig. Zuvor war er als Banker im Bereich Telekommunikation bei Credit Suisse First Boston in den Niederlassungen Tokio und London im Einsatz. Er begann seine Karriere als Finanzanalyst bei France Telecom in Guangzhou, China und Madrid, Spanien. Sébastien Mallet hat mit Auszeichnung einen Master in Finanzwesen von der Universität Paris und einen MBA von der London Business School abgeschlossen.