«Wachstum in einem saturierten Markt kreieren»

26.04.2019
Herr Dr. Gast, wieso sind Sie vom weltgrössten Vermögensverwalter zu einer Schweizer Boutique gewechselt?
Bei BlackRock Schweiz war ich als Mitglied der Geschäftsleitung für das ganze ETF-Geschäft verantwortlich. Seit den 1980er Jahren wurden in den USA und in Europa über 2’000 ETFs an den Start gebracht. Man muss heute im institutionellen Geschäft praktisch nicht mehr erklären, was ein ETF ist. Das Thema ist bei den Investoren überall bekannt. Zum Wechsel motiviert hat mich unter anderem, dass Indexing zwar weiterhin eine gute Zukunft hat, aber insgesamt vermutlich nicht mehr an die Wachstumsraten von früher heranreichen wird. Das Vermögenswachstum betrug in der Vergangenheit an die 20 Prozent pro Jahr. Das wird sich in der Zukunft signifikant reduzieren. Daran ändert sich auch durch das neue Angebot wie Smart-Beta- und Faktor-ETFs nichts, die neben den Standard-ETFs angeboten werden.
Wo findet denn das künftige Wachstum im Asset Management statt?
Ich denke, gute Perspektiven hat nach wie vor der Bereich «Private Markets», also verschiedene Formen illiquider Investments. Daneben findet ein anhaltend starkes Wachstum im sogenannten Quant-Bereich statt, dies vor allem getrieben durch technologischen Fortschritt und die bessere Verfügbarkeit grosser Datenmengen (Stichwort «Big Data»). Meine Überzeugung von der Superiorität dieses Ansatzes im Unterschied zum klassischen Bottom-Up-Stock-Picking war eine meiner Hauptmotivationen, jetzt zu einem spezialisierten Haus zu wechseln.
Was ist Ihr Setup bei Systematic Investment Management AG (SIMAG)?
Im Kern ist SIMAG ein Unternehmen mit zwei starken Partnern im Rücken. Das ist einerseits die Kooperation der Credit Suisse und der ETH Zürich, von wo ein grosser Teil der Intelligenz in den Investmentansatz einfliesst.
Wann ist SIMAG gestartet?
Viele im Team sind von der Credit Suisse gewechselt, wo sie systematische Strategien aufgebaut und entwickelt haben. Mit dem renommierten ETH-Professor Didier Sornette wurde schon ein Jahr zusammengearbeitet, bevor die SIMAG gegründet wurde und ihre operative Tätigkeit aufnahm. 2016 wurden die Theorien, die an der ETH entwickelt wurden, auf ihre praktische Umsetzbarkeit hin weiterentwickelt; in 2017 wurde das Unternehmen gegründet. Per heute verwalten wir etwas mehr als 100 Mio. US-Dollar in öffentlichen Fondsvermögen.
Wieso wurde das nicht bei der Credit Suisse gemacht?
Grundsätzlich ist die Informationstechnologie einer Grossbank auf die effiziente Durchführung von Kundentransaktionen optimiert. Wir setzen dagegen einen Supercomputer ein, der aus einem riesigen Datenvolumen mit Hilfe komplexer wissenschaftlicher Verfahren investierbare Muster versucht zu extrahieren. Es hätte einfach länger gebraucht, eine solche Technologie in das IT-Ökosystem der Credit Suisse einzubringen. Daher war es einfacher, das auf der grünen Wiese zu starten und pragmatisch in eine Legal Entity einzubringen.
Was spricht für die SIMAG?
Wir bieten in der SIMAG regulierte long-only-Aktienprodukte an, die von den Gebühren her mit ETFs vergleichbar sind. Unterstützt durch eine moderne Technologie wissenschaftlicher Theorien von der ETH, haben wir Investmentstrategien für Portfolios auf ihre Robustheit für verschiedene Marktkonstellationen entwickelt. Unsere Modelle lernen mit Hilfe von Artificial Intelligence (AI), welche Investmentstrategie in welcher Marktkonstellation den grössten Erfolg verspricht. Das Portfolio passt sich dynamisch an die veränderten Marktgegebenheiten an, ohne menschlichen Eingriff, sondern vollständig regelbasiert und damit objektiv und datenbasiert. Im Prinzip funktioniert das nach logischen «Wenn-Dann»-Entscheidungsregeln, die auch erfahrene Portfoliomanager anwenden. Unsere moderne AI macht im Prinzip das Gleiche, nur einfach viel schneller und mit viel mehr Daten. Darin liegt die Zukunft. Und darin liegt auch das grösste Wachstum in der Investmentindustrie.
Wir differenzieren uns also in Bezug auf Methoden und Prozessen von anderen Vermögensverwaltern. Wir sind weltweit der einzige Vermögensverwalter, der die Methoden von ETH-Professor Sornette zum Aufspüren von Herdentrieb praktisch anwendet. Damit verfügen wir über einen technologischen Vorsprung, den andere Player im Markt so nicht haben.
Warum sollten Investoren nicht an ETFs festhalten?
Zweifellos haben ETFs vor allem von dem «Quantitative Easing» der Zentralbanken sehr stark profitiert. Viele Investoren sind mit ETFs gut und günstig gefahren. Und sie glauben, dass sie mit einem kapitalgewichteten ETF diversifiziert sind. Das stimmt nicht in jedem Fall. So haben zum Beispiel die Top-10-Unternehmen im MSCI USA ein Gewicht von rund 20 Prozent. Die starre Regelbasiertheit von ETFs führt zudem dazu, dass immer die Gewinner des letzten Jahres gekauft werden müssen, um auf einer Linie mit der Benchmark zu sein, völlig egal, ob dieses Verhalten die Kurse mit nach oben treibt. Es gibt eine kontroverse Debatte darüber, ob das Verhalten von solchen regelbasierten Anlagegefässen Kurse mit nach oben zieht. Es bleibt abzuwarten, wie die Marktdynamik durch die ETFs angeheizt wird, wenn die Märkte stark und nachhaltig fallen. Man darf nicht vergessen: Inzwischen ist die Penetration für indexierte, sprich regelgebundene Anlagen, die starr die Benchmark replizieren, gross, dass man die Kritik ernster nehmen sollte. Hinzu kommen weitere Anlageprodukte, die auf Basis vordefinierter Regeln im Markt aktiv sind. Wir schätzen, dass 70 bis 75 Prozent des Umsatzes an den US-Aktienbörsen durch diese Investoren bestimmt werden. Das hat es noch nie gegeben. Und wir befürchten, dass es Anlass zu einem Herdentrieb geben kann, weil soviele Anlageprodukte auf die gleichen Signale zur gleichen Zeit völlig mechanisch reagieren könnten und Börsenverluste noch grösser ausfallen lassen. Ein Indiz für einen Herdentrieb ist das in den letzten Jahren gehäufte Aufkommen von sogenannten Flash Crashes, so zum Beispiel am 24. August 2015. Es gab ETFs, die sind im Börsenhandel kurzfristig über 40 Prozent gefallen, während die im ETF repräsentierten Aktien an der Börse im Schnitt lediglich 8 Prozent fielen. Flash Crashes gab es auch in anderen Börsensegmenten und immer war der Grund eine zu starke Konzentration und fehlende Liquidität.
Können Sie die Zukunft voraussagen?
Nein, das kann niemand, selbst wenn man den besten Supercomputer besitzen würde. Aber darum geht es uns auch gar nicht. Wir können zwar nicht wissen, was die Zukunft bringt, aber wir können ziemlich gut abschätzen, welche Aktienkombinationen in welchem Marktumfeld den grössten Erfolg versprechen. Wir besitzen das Know-how und die Technologie, täglich Tausende Aktien weltweit auf ihre Attraktivität hin zu untersuchen. Aus den besten Aktien bauen wir ein diversifiziertes Portfolio. Wir denken, dass unser Produkt besser ist, als passiv den Markt zu replizieren, weil es auf Änderungen des Marktregimes reagiert. Und deswegen ist es auch wichtig, dass möglichst viele Marktinformationen berücksichtigt werden in der Analyse. Wenn man systematisch durch diese Informationen filtert, kann man einen Eindruck erlangen, was auf der Mikroebene des Marktes vor sich geht und wie bestimmte Dynamiken Aktien in unterschiedlichen Industrien beeinflussen.
Was ist bei einer stärkeren Börsenkorrektur zu erwarten?
Stellen Sie sich ein Kanu vor, bei dem sich alle zur gleichen Zeit zur gleichen Seite lehnen. Irgendwann wir das Kanu mit allen Insassen kentern. Genau dieses Phänomen sehen wir derzeit an den Börsen. Viele institutionelle Investoren wurden durch das «Quantitative Easing» der Zentralbanken gezwungen, Mehrrenditen durch das Eingehen von Illiquidität einzugehen. Die letzten zehn Jahre hat das funktioniert und sogar Diversifikationspotenzial im Portfolio gebracht. Aber was passiert, wenn Investoren gezwungen werden, im grösseren Stil abzubauen? Das ist genau der Punkt, bei dem sich alle auf die gleiche Seite des Kanus lehnen.
Es ist durchaus vorstellbar, dass die Zentralbanken in der Zukunft mit Interventionen vorsichtiger werden, um nicht ihr ganzes Pulver vorschnell zu verschiessen. Wir glauben, dass die Märkte dann stärker zwischen «Risk-off» und «Risk-on»-Phasen schwanken werden, so wie wir es Dezember 2018 und Januar 2019 gesehen haben. Das Potenzial für Fehler ist in solchen stark schwankenden Märkten enorm. Man kann bei einer beginnenden Marktkorrektur aus den richtigen Gründen vorsichtiger werden, aber wenn die Zentralbanken plötzlich die Spielregeln verändern, muss man reagieren, um die Rally nicht zu verpassen. Ein starres Festhalten an Überzeugungen oder Investmentregeln wäre fatal.
Wie verläuft das Bewertungssystem bei SIMAG?
Täglich analysieren wir 7’500 Aktien auf komplexe Datenmuster. Jede Aktie erhält eine Bewertung für ihre Attraktivität für das aktuell vorherrschende Börsenumfeld. Dafür setzen wir 90 Indikatoren ein und testen mit Hilfe künstlicher Intelligenz, welche Kombination von Indikatoren die Attraktivität von Aktien am besten erklärt hat. Die künstliche Intelligenz hilft uns dabei, Tausende von möglichen Konstellationen zu testen und die für das aktuell vorherrschende Börsenumfeld vielversprechensten Aktien zu finden.
Wir konstruieren ein diversifiziertes Portfolio aus 120 bis 150 der besten Aktien aus unserem Universum, um unser Renditeziel von knapp 2 Prozent Outperformance gegenüber der Benchmark zu erzielen. Und das bei einem moderaten Tracking Error von rund 4. Ein höheres Alpha wäre möglich, aber nur zum Preis eines wesentlich höheren Tracking Errors. Da wiederum widerspricht dem Wunsch unserer bestehenden Kunden, unsere Proukte als Kernbaustein in der Asset Allocation einsetzen zu können.
Und das führt immer zum Erfolg?
Wir können nur das berücksichtigen, was im Markt stattfindet, also endogen ist. Exogene Faktoren wie Erdbeben, Kriege oder einer plötzlichen Regeländerung durch eine Zentralbank lassen sich definitionsgemäss nicht herausfiltern.
Link zum Disclaimer
Dr. Christian Gast ist CEO der Investmentboutique Systematic Investment Management AG (SIMAG). Er war zuletzt von 2010 bis 2018 als Head iShares & Index Investing Switzerland Mitglied der Geschäftsleitung von BlackRock Schweiz. Zuvor war er von 1999 bis 2010 Head Exchange Traded Funds (ETFs) bei der UBS sowie 1998 bis 1999 Portfolio Manager bei der St. Galler Kantonalbank. Christian Gast hat einen MBA der Universität Saarbrücken und dissertierte an der Universität Zürich. Er ist Dozent an der Frankfurt School of Finance and Management sowie an der Fachhochschule Nordwestschweiz (FHNW).