Warum die «Fahrtrichtung» für Indiens Wirtschaft günstig ist

Country Head Switzerland - MD
abrdn Investments Switzerland AG, Zürich
abrdn.com
16.11.2023
Herr Steffens, abrdn richtet derzeit ein grosses Augenmerk auf Indien. Mit welchen Argumenten überzeugen Sie die Investoren?
Indien befindet sich seit geraumer Zeit auf einem vielversprechenden Weg. Wir sind der Meinung, dass einige herausragende politische Faktoren für die weiteren Wachstumsaussichten Indiens entscheidend sein werden. Dazu gehören die Politik des wettbewerbsorientierten Föderalismus, die Fortschritte auf dem Weg zu einem umfassenden neuen digitalen Ökosystem und der Vorstoss zu mehr erneuerbaren Energien. Zudem ist Indien in einer guten Ausgangslage, um von der sich verschärfenden Rivalität zwischen den USA und China zu profitieren.
Welche Rolle spielen konkret die politischen Aspekte?
Eine gute Politik ist unseres Erachtens ein zentraler Faktor, der die Schwellenländer auf das Niveau der Industrieländer hebt. Natürlich muss eine solide Politik auch mit einer guten Umsetzung kombiniert werden, was wiederum mit Faktoren wie Rechtsstaatlichkeit, institutioneller Stärke und der Qualität der politischen Führung zusammenhängt. Die Politik in Indien ist insgesamt auf gutem Weg. Zu den oft zitierten Reformen gehören die Lockerung der Beschränkungen für ausländische Investitionen und ein strengeres Konkursrecht. Der Übergang zu einem neuen Steuersystem im Jahr 2017, das die Einführung einer Waren- und Dienstleistungssteuer in allen Bundesstaaten umfasste, war ebenfalls ein Erfolg. Das alles kam dem indischen Geschäftsklima zugute. In den letzten zehn Jahren konnten wir denn auch einen deutlichen Anstieg der ausländischen Direktinvestitionen und ein starkes durchschnittliches reales BIP-Wachstum verzeichnen.
Wo liegen die Herausforderungen, mit denen sich Indien konfrontiert sieht?
Die Entwicklungen in den Schlüsselbereichen müssen positiv bleiben. Hier werden ein paar wenige Faktoren einen grossen Einfluss haben. Erstens: Ein wettbewerbsfähiger Föderalismus ist unabdingbar. Gemeint ist hier die Stärkung der Bundesstaaten. 2015 ersetzte die Regierung das alte Top-down-Modell durch einen Bottom-up-Ansatz. Den Regierungen der Bundesstaaten wurde eine wesentlich grössere Autonomie eingeräumt, verbunden mit steigenden Steuerzuweisungen. Den einzelnen Bundesstaaten wurde mehr Spielraum für den Wettbewerb untereinander eingeräumt. Dieser Wettbewerb fördert die Bemühungen um die Verbesserung der lokalen Wirtschaftsbedingungen, um Investitionen anzuziehen und das Wachstum anzukurbeln. Gleichzeitig wird durch eine stärkere Konzentration auf lokale Wettbewerbsvorteile die Verschwendung verringert und die Ressourcenverteilung verbessert.
Ein zweiter wichtiger Faktor ist die Digitalisierung als Motor für Effizienz und Wachstum. Die wohl erfolgreichste Politik Indiens in den letzten zehn Jahren war die kontinuierliche Förderung des Aufbaus eines umfassenden neuen digitalen Ökosystems. Einst unter dem Namen «India Stack» bekannt und später in «Digital Public Infrastructure» (DPI) umbenannt, handelt es sich um eine Sammlung von digitalen Plattformen für den öffentlichen Bereich, die einen grossen Einfluss auf viele Wirtschaftssektoren haben. DPI basiert im Wesentlichen auf drei «Schichten»: Identität, Zahlungen und Datenmanagement. Das wichtigste Grundelement dabei ist «Aadhaar», ein biometrisches, digitales Identitätssystem. Der IWF schätzt, dass die Verlagerung von Sozialleistungen auf Aadhaar-verknüpfte Bankkonten die Verluste durch Korruption zwischen 2013 und 2021 um 34 Mrd. US-Dollar verringern wird.
Die Vorteile von Indiens DPI gehen weit über den öffentlichen Bereich hinaus und treiben Bereiche wie den elektronischen Handel, den Zugang zu Banken und Krediten sowie die Innovation voran. Indien, einst für die Dominanz informeller Bargeldtransaktionen bekannt, hat sich rasch dem digitalen Zahlungsverkehr zugewendet: Im April 2023 wurden bereits 88 Prozent aller bargeldlosen Zahlungen digital abgewickelt, während es im April 2020 erst 56 Prozent waren.
Welche Elemente sind für den Erfolg zudem entscheidend?
Ein zentraler Aspekt liegt in der Energiewende. Eines der wichtigsten politischen Ziele der indischen Regierung ist es, ein saubereres und weniger kohlenstoffintensives Modell der wirtschaftlichen Entwicklung zu verfolgen. So soll bis 2030 die Hälfte des Strombedarfs aus erneuerbaren Energiequellen gedeckt werden. Die durchschnittlich 50 Millionen neuen Stromanschlüsse pro Jahr in den letzten zehn Jahren zeigen, wie gross der Energiehunger auch künftig sein wird.
Zu einer erfolgreichen Energiewende gehören eine stärkere Elektrifizierung, eine grössere Durchdringung des Energiemixes mit saubereren Brennstoffen, eine beschleunigte Einführung energieeffizienter Technologien und eine verbesserte Materialeffizienz. All dies erfordert enorme Investitionen sowohl auf Bundes- und Landesebene als auch im privaten Sektor. Die Internationale Energieagentur (IEA) schätzt, dass Indien bis 2030 jährliche Investitionen in Höhe von durchschnittlich 160 Mrd. US-Dollar (etwa 4.7 Prozent des BIP) benötigt, um sein Ziel, bis 2070 netto emissionsfrei zu werden, zu erreichen. Die beträchtlichen Ausgaben, die Indien für seine Energiewende benötigt, dürften in den kommenden Jahren eine wichtige Triebfeder sowohl für Investitionsmöglichkeiten als auch für das Wirtschaftswachstum sein.
Kann Indien vom Zwist zwischen den USA und China profitieren?
Durchaus. Angesichts der sich verschärfenden Rivalität zwischen den USA und China scheint Indien ein idealer strategischer Verbündeter für die USA zu sein. Immerhin ist es die «grösste Demokratie der Welt» und die fünftgrösste Volkswirtschaft mit einer riesigen Landgrenze zu China.
Zu den bemerkenswerten Bereichen der Zusammenarbeit, die nach dem Staatsbesuch Modis in den USA dieses Jahr hervorgehoben wurden, gehören die Technologie und der Übergang zu sauberer Energie - beides wichtige Wachstumsmotoren für Indien, bei denen es auf das enorme Know-how, die Kapitalkraft und die direkte Unterstützung der USA zurückgreifen kann.
Was hat das alles für Auswirkungen auf Investitionen? Können Sie konkrete Beispiele nennen?
Die langfristigen Wachstums- und Investitionsaussichten Indiens werden stark begünstigt. Indien beherbergt einige der weltweit grössten Projekte für erneuerbare Energien. Das kann auf der Aktienseite Unternehmen wie Renew Power, dem grössten Unternehmen des Landes für Dekarbonisierungslösungen, und Suzlon Energy, dem grössten Windturbinenhersteller, zugutekommen. Gleichzeitig führt die digitale Infrastrukturrevolution in Verbindung mit der Verbesserung der physischen Infrastruktur zu einem Boom im elektronischen Handel, der Unternehmen wie dem Online-Shopping-Riesen Flipkart, dem Versicherungsunternehmen PolicyBazaar und dem Online-Personalvermittlungsunternehmen InfoEdge zugutekommt.
Die indischen Anleihemärkte sind für ausländische Investoren leichter zugänglich als je zuvor. Eine besonders wichtige Triebkraft dafür war die Einführung der «Fully Accessible Route» (FAR) im Jahr 2020, die es ausländischen Anlegern ermöglichte, bestimmte Staatsanleihen ohne Beschränkungen zu kaufen. Der Bestand an indexfähigen FAR-Wertpapieren beläuft sich inzwischen auf fast 400 Mrd. US-Dollar und macht damit über 30 Prozent des Marktes für Staatsanleihen aus. Der Gesamtmarkt beläuft sich auf über 2 Billionen US-Dollar und bietet eine gute Liquidität. Die Argumente für die Aufnahme Indiens in globale Anleihenindizes sind daher überzeugend. Um die verbesserte Zugänglichkeit des Marktes besser widerzugeben, ist auch eine höhere Gewichtung in den bestehenden Indizes für asiatische Lokalwährungsanleihen überfällig. Anleger besitzen derzeit weniger als 2 Prozent des inländischen Anleihemarktes, der in globalen Portfolios kaum vertreten ist. Dies deutet darauf hin, dass es in den kommenden Jahren noch viel Spielraum für eine höhere Allokation gibt. Für die Anleger bedeutet eine bessere Zugänglichkeit die Chance, die Diversifizierung zu verbessern und sich an einem relativ stabilen, hochverzinslichen und grossen Anleihemarkt eines Landes zu beteiligen, der seit vielen Jahren eine konstant überdurchschnittliche Performance aufweist.
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Karsten-Dirk Steffens ist als Länderchef Schweiz seit Oktober 2019 für den schottischen Asset Manager abrdn tätig. Seit rund 20 Jahren ist Steffens in Deutschland, Grossbritannien und in der Schweiz in leitenden Funktionen bei bekannten Unternehmen in der Branche tätig, darunter Threadneedle, AXA Investment und Aviva. Er ist Experte für Geschäftsentwicklung in der Vermögensverwaltung für den Wholesale-Bereich und institutionelle Kunden. Er verfügt über tiefgreifende Kenntnisse der Asset-Management-Produktlandschaft, der Kundenplattform-Peripherie, strategischer Allianzen und Kundennetzwerke. In Deutschland geboren und aufgewachsen, hat er seinen Lebensmittelpunkt 2007 in die Schweiz verlegt und ist mittlerweile eingebürgert. Karsten-Dirk Steffens hat eine fundierte Ausbildung an der Verwaltungs- und Wirtschaftsakademie in Frankfurt am Main durchlaufen und gezielt Weiterbildungen, u.a. im Managementbereich, absolviert.