«Wir sehen einen Renditetourismus in riesigem Ausmass»

Altrafin / Portfoliomanager - CONREN Fonds
CONREN Research GmbH, Zürich conrenfonds.com
01.09.2019
Herr Picenoni, man liest von Ihnen oft den Begriff «Spätzyklus der Märkte». Stecken wir nun wirklich in so einem?
Ja, der Spätzyklus ist deutlich zu sehen und zwar mehrfach: bei Volkswirtschaften, nehmen wir zum Beispiel Asien und hier insbesondere in China schwächt sich das Wachstum merklich ab, die Wirkung von Zinsherabsetzungen nimmt ab, Aktien, vor allem in den USA, sind hoch bewertet, auch der Zenit bei der Steigerung von Unternehmensgewinnen liegt wohl erst einmal hinter uns. Aber, und das ist ein grosses Aber: das muss für Aktienmärkte erst einmal nichts Negatives sein. Natürlich kann Goldilocks noch eine ganze Weile gehen und der Spätzyklus bietet in der Regel hohe Chancen auf erhebliche Kursgewinne. Dazu bieten sich im Spätzyklus immer Chancen für flexible, aktive Investoren durch Marktverwerfungen. Schauen wir uns das Wechselbad der Gefühle in den letzten 18 Monaten an. Eine regelrechte Achterbahn, doch für uns als aktive Investoren haben sich daraus auch eine Vielzahl von Chancen ergeben. Viele davon konnten wir in den letzten Monaten nutzen. Die Steuerung der Investmentquoten, insbesondere auf der Aktienseite, spielte dabei eine zentrale Rolle: In unserem vermögensverwaltenden Aktienfonds waren wir zum Beispiel im Hoch bei einer Quote von leicht über 100 Prozent und stehen nun - bei Investmentquoten zwischen 60 und 90 Prozent. In unserem vermögensverwaltenden Balanced-Mandat sind es derzeit Aktienquoten zwischen 35 und 60 Prozent. Anspruchsvolle Marktentwicklung mögen wir, liegen uns. Aber im Spätzyklus müssen wir natürlich immer auch mit einem Fuss auf der Bremse bleiben: der Zeitpunkt, an dem ein «Buy-the-Dips» nicht mehr funktioniert, rückt näher - und zehn Jahre Niedrigstzinsen haben den Abgrund tiefer und tiefer werden lassen.
Wie sahen die Parallelen in der Vergangenheit aus?
Im Englischen sagt man: «History does not repeat itself, but it rhymes.» So ist das auch bei Volkswirtschaften und Märkten - die beide am Ende von Menschen gemacht werden und sich in Zyklen bewegen. Der Ablauf ist in der Regel immer ähnlich. Mitunter sträuben sich die Marktteilnehmer, aber am Ende wird die letzte Krise doch vergessen, in den Hintergrund gedrängt und so kann der Zyklus seinen Lauf nehmen. So sehen wir heute unter anderem: eine Jagd nach Rendite - für ein wenig Rendite mehr werden mitunter extreme Verlustrisiken in Kauf genommen (da es innerhalb dieses Zyklus bisher gut lief, die Volatilität meist niedrig blieb). Das führt zu Renditetourismus in riesigem Ausmass. Automatisches, passives Investieren ist sehr mondän. Überuferndes Vertrauen in neue Geschäftsmodelle (teilweise berechtig, aber vielerorts nicht). Das Infragestellen von «traditionellen» Bewertungsmethoden. Eine extreme Verschuldung (dieses Mal bei Staaten und Unternehmen), etc. Da kommt einem doch einiges bekannt vor. Allerdings sind das nur Anzeichen. Als professionelle Investoren wissen wir aus Empirie und eigener Erfahrung, die nächste Krise wird voraussichtlich wiederum aus einer heute wenig betrachteten Ecke ausgelöst und weltweit über alle Vermögensklassen verbreitet. Das kann allerdings, wie gesagt, noch eine ganze Weile auf sich warten lassen.
Und wie entwickelten sich dann die Märkte?
Als aktive Investoren, die schon einige Krisen mitgemacht haben, müssen wir keine Angst vor dem Spätzyklus haben. In der Regel ziehen Aktien im Spätzyklus - oftmals durchaus entgegen der ökonomischen Logik (abflachende Konjunktur, rezessives Umfeld, etc.) - noch einmal erheblich an. Oftmals drehen Notenbanken nochmals ihren monetären Schleusen erheblich auf (wie jetzt auch wieder), um die nächste Rezession zu umgehen bzw. zumindest abzufedern. Das heisst, die Wirtschaft läuft nicht mehr rund, doch die Liquiditätsschwemme kann Börsenkurse noch weiter beflügeln. Das müssen wir nutzen. Dazu ergeben sich auch immer kurzfristige Chancen und man darf auch nicht vergessen, eine nächste Krise ist eben auch immer der (zu nutzende) Ausgangspunkt des nächsten Bullenmarktes.
Wir haben in den letzten Monaten ein - für den Spätzyklus typisches - Wechselbad der Gefühle erlebt: Im Januar 2018 herrschte euphorische Stimmung «Wachstum & Goldilocks für immer», immer Februar / März 2018 die Wende aufgrund von Angst vor höheren Zinsen (heute gar nicht mehr vorstellbar), Märkte korrigieren deutlich, im September bis Dezember 2018 kommt die Panik mit abstürzenden Aktienmärkten, Rebound im Januar bis April 2019… und so weiter.
Auch wenn wir den Spätzyklus und die mitunter prekäre Situation deutlich sehen, sind wir keineswegs negativ gestimmt, was die nächsten Monate angehen. Auch wenn die Presse fast nur noch negativ berichtet, viele Grossbanken ihre Voraussagen für Indexstände wieder nach unten korrigieren, etc. Es spricht nach unserer Ansicht vieles dafür, dass wir am Ende des Jahres vor allem im ohnehin schon teuren US-Markt höhere Kurse sehen.
Wie können Anleger heute noch befriedigende Renditen erzielen?
Die wichtigste Frage muss hier natürlich sein: Was ist eine befriedigende Rendite? Was ist realistisch? Welche Risiken bin ich bereit, dafür einzugehen? Was man auf keinen Fall tun sollte: Das ist meine Zielrendite, das habe ich in der Vergangenheit bekommen oder brauche ich für meinen Zahlungsplan und so schliesse ich von meiner Zielrendite auf das zu tätigende Investment. Das kann gerade in dieser Marktphase schief gehen. Allgemein müssen für die nächsten Jahre die erwarteten Anlagerenditen wohl nach unten revidiert werden. Dies über sämtliche Anlageklassen hinweg. Langfristig ausgerichtete, intelligent zusammengesetzte und breit diversifizierten Portfolios mit einer möglichst hohen Sachwertquote (Übergewichtung in Aktien aber auch Gold), gekoppelt mit einer strategischen Cash-Quote (die man bei Kurzkorrekturen für Zukäufe nutzen kann), sollten jedoch weiterhin Renditen abwerfen können, die (nach Abzug von Verwaltungskosten) über die Inflation und einem Risikoaufschlag von 2 bis 3 Prozent liegen.
Um diese Frage kommt man aktuell fast nicht herum: was halten Sie von Gold?
Nachdem Jahre lang niemand mehr zu Gold gefragt hat, ist es nun wieder eine übliche Frage. Mit Gold hatten wir bisher ein recht gutes, nicht zu sagen goldenes Händchen. Gold ist nach unserer Meinung als Investment allerdings komplexer als allgemein angenommen. Wir haben nach der Finanzkrise mit Gold gut verdient. Es war ein fester Bestandteil des «CONREN Fortune Portfolios». Nachdem es ein wenig heiss gelaufen war, haben wir es vor einigen Jahren aus den Portfolien verbannt. Vor rund 24 Monaten haben wir dann wieder angefangen, Gold zu kaufen. Die Stimmung war so negativ geworden. Dazu sind die heute vorliegenden Realzinsen, politische Unsicherheit, Abwertung von Fiat-Währungen positiv für Gold. Zentralbanken sind dazu wieder Netto-Käufer. Wie bereits erwähnt, denken wir, dass gerade in dieser Spätphase des Konjunktur-, Kredit- und Börsenzyklus Gold ein wesentlicher Bestandteil (7 bis 15 Prozent) eines jeden diversifizierten Portfolios sein sollte.
Link zum Disclaimer
Patrick Picenoni hat einen Master in Business Administration (MBA) der Universität St. Gallen (lic. oec. HSG). Nach seinem Studium arbeitete er als Investmentberater und Portfolio Manager bei der Bank Morgan Stanley in New York, London und Zürich. Vor der Gründung von Altrafin im Jahr 2001 war Picenoni Senior Investment Manager im Family Investment Office der Beisheim Holding GmbH in Baar.