«Wir sind für Fondsanbieter das Tor zur Gruppe der Selbstentscheider»

03.09.2021
Herr Masarwah, die deutsche Fondsbranche hat berichtet, dass die Zuflüsse in Aktienfonds in diesem Jahr auf Rekordniveau sind. Das müsste Sie als langjähriger Verfechter der Aktienanlage freuen, oder?
Das freut mich einerseits. Denn an der Aktienanlage führt kein Weg vorbei, wenn es um die langfristige Vermögensbildung geht. Eine Hinwendung der Anleger zum Kapitalmarkt ist insofern zu begrüssen. Aber andererseits man muss die Kirche im Dorf lassen. Es sind in sechs Monaten gerade einmal 35 Mrd. Euro in Aktienfonds geflossen. Vergleicht man das mit den 2.6 Billionen Euro, die noch immer in Bargeld und Spareinlagen bei deutschen Banken geparkt sind, ist das nicht viel mehr als der Tropfen auf den heissen Stein. Die Zuflüsse in Fonds sind keine umfassende Bewegung, sondern allenfalls eine minimale Rekalibrierung der Vermögensstruktur. Sie geht übrigens vorwiegend auf eine kleine Anlegerschicht zurück.
Woran machen Sie das fest?
Fast die Hälfte des Neugeschäfts 2021 entfällt auf ETFs. Das sind die Instrumente zur Vermögensbildung der jüngeren Generation, die vor allem Sparpläne bedienen. Die Masse der Anleger ist nach wie vor inaktiv, was Aktienfonds anbelangt. Und das hat sich die Fondsindustrie inzwischen selbst zuzuschreiben.
Wie bitte?
Sie haben schon richtig gehört, die Fondsindustrie trägt eine nicht unerhebliche Verantwortung dafür, dass das Aktienfonds-Sparen für immer mehr Anleger keine Option ist. Aktiv verwaltete Aktienfonds sind naheliegende Produkte für die meisten Anleger, weil sie am einfachsten zu handeln sind. Aber sie sind einfach zu teuer und haben deshalb zurecht einen schlechten Leumund. Anleger halten sich daher entweder ganz zurück, oder sie investieren in ETFs.
Wie könnte man das ändern?
Produktanbieter und der Vertrieb müssen sich bescheiden. Gerade im Vertrieb gibt es unschöne Auswüchse. Noch immer erheben viele Banken Ausgabeaufschläge. Das hat keinerlei Berechtigung, weil der Vertrieb ohnehin einen grossen Teil der jährlich anfallenden Verwaltungsgebühren als laufende Provision vereinnahmt. Besonders eklatant ist, dass auch Online-Banken und Vertriebsplattformen, die nicht beraten, ohne Gegenleistung diese Vertriebsgebühren kassieren. Die laufenden Provisionen können bis zu 1.0 Prozent an Rendite pro Jahr ausmachen. Solche masslosen Gebühren machen Fonds unattraktiv. Das haben Anleger gemerkt, und sie halten sich folgerichtig bei aktiv verwalteten Fonds zurück, oder sie kaufen gleich ETFs.
Und hier kommen Sie mit Ihrem neuen Projekt ins Spiel?
Richtig. Ich bin seit ein paar Monaten an der digitalen Fondsplattform Envestor beteiligt. Wir bieten Selbstentscheidern Execution-Only-Dienstleistungen an. Kunden, die keine Beratung brauchen, bekommen einen Grossteil der laufenden Vertriebsgebühren zurück, wenn sie bei uns ihre Fonds verwahren. Wir behalten als Bearbeitungsgebühr 19 Basispunkte ein. Ausgabeaufschläge werden bei uns natürlich auch nicht fällig. Diese Gebührenerstattung ist in manchen Fällen so signifikant, dass sie aus Underperformer-Fonds Outperformer macht.
Das ist für Privatanleger hochattraktiv.
Auf jeden Fall. Übrigens nicht nur für Anleger. Auch immer mehr Fondsgesellschaften haben gemerkt, dass ihnen auf den herkömmlichen Vertriebswegen über Banken und Vermögensberatern eine wichtige Kundengruppe verloren geht: die Selbstentscheider. Das sind oft jüngere Gutverdiener, die noch mitten im Erwerbsleben sind. Diese werden immer zahlreicher und sie haben ordentliche Finanzpower. Vor allem für Fondsanbieter, die keinen eigenen Vertrieb haben, können wir ein Tor zu Selbstentscheidern sein. Unsere Research-getriebene Plattform zieht immer mehr Anleger an. Über Envestor können Fondsgesellschaften diese stark wachsende Investorengruppe erschliessen. Unser Angebot reicht dabei von speziellen Landing Pages, die wir für Fondspartner aufsetzen, bis hin zu Advertorials und Fondsportraits, mit denen sich Fondsanbieter im Umfeld unseres hochwertigen Researchs präsentieren können. Das haben vor allem kleinere Fondsanbieter erkannt, von denen schon einige mit uns zusammenarbeiten.
Link zum Disclaimer
Ali Masarwah ist Fondsanalyst und Partner bei der konzernunabhängigen digitalen Fondsplattform Envestor. Er zählt zu den langjährigen Kennern des deutschen und europäischen Fondsmarkts. Bis Frühjahr 2021 war er zehn Jahre lang im Fondsresearch bei Morningstar tätig und als Chefredakteur für die deutschsprachigen Personal-Finance-Websites des US-Research-Hauses verantwortlich. Nach seinem Volontariat bei der Wirtschaftsnachrichtenagentur ADX in Berlin Ende der 1990er Jahre fand der Sozialwissenschaftler recht zügig den Zugang zum Thema Investmentfonds. Im Jahr 2000 wurde er Mitglied der Fondsredaktion bei der damaligen Nachrichtenagentur vwd, die er von 2001 bis 2003 leitete. 2003 wechselte Ali Masarwah zur portfolio Verlagsgesellschaft, Frankfurt, vor er bis zu seinem Wechsel zu Morningstar 2011 als Redaktionsleiter die journalistische Verantwortung für alle Magazine und Websites des Verlags innehatte.