«Wir spielen in der Champions League - den Pokal für digitale Vermögensverwaltung haben wir (noch) nicht gewonnen»

06.08.2020
Herr Borini, Sie beschäftigen sich stark mit der digitalen Ökonomie. Was ist darunter zu verstehen?
Die Welt ist digital. So ist das nun mal. Wir leben in einer Omnichannel-Welt. Die Konsumenten sind zwar mehr digital unterwegs und sie wollen an jedem Touchpoint - auch an physischen - mit demselben Erlebnis bedient werden. Plattformen wie Amazon, Alibaba, Google & Co. bestimmen unseren Alltag. Beispiel Amazon: Der Techgigant ist nicht nur Online-Shop, sondern macht auch Banking oder bietet Versicherungen an, ist Clouddienst-Anbieter oder ist Logistiker mit einer eigenen Airline. Die Plattformen tauschen ihre Informationen mit ihren Partnern über API, also Computer-Schnittstellen, aus. E-Commerce, digitale Zahlungsmethoden, Cybersicherheit, soziale Medien, Cloud Computing, Robotik, Sharing Economy, neue Mobilität, Smart Cities und und und - alles kommt zusammen und verändert die Wirtschaft. Das betrifft auch das Banking: Der globale Trend von Open Banking ist nicht mehr aufzuhalten.
Eine ganz persönliche Frage: wie sieht eine Arbeitswoche von Ihnen aus?
Es gibt keine Standard-Arbeitswoche. Ab und an arbeite ich in meinem Büro an der Zürcher Langstrasse oder ich sitze in einem Kaffee bei einem Latte Macchiato und arbeite mit der gleichen Effizienz und Qualität. Viele meiner Freunde meinen, der Borini ist «always on». Das Gegenteil ist der Fall: ich nutze Technologie, um effizienter zu arbeiten und letztlich führt das zu mehr Freizeit, theoretisch. Ich habe Freude an meinen diversen Tätigkeiten, deswegen ist die Trennung Privat und Business nicht immer ganz einfach. Aber als Unternehmer ist man sowieso 24/7 «on air».
All das Business, das Sie abdecken und bearbeiten, entwickelt sich rasend schnell. Wie können Sie da den Überblick behalten - setzen Sie Prioritäten?
In der Tat verändert sich die Welt und vor allem der technologische Fortschritt rasant. Den Überblick zu behalten ist enorm schwierig. Das Rezept lautet: Fokus, Fokus und nochmals Fokus. Meine Aufgabe ist es, die rasanten Entwicklungen kritisch zu beobachten, zu hinterfragen und letztlich einzuordnen. Mein Fokus setze ich auf die Themen «Digital Finance» und «Next Generation Invest». Mich interessiert ein 0815-Emerging-Market-Fonds nicht, aber ein Finanzvehikel, das evidenzbasiert mit Hilfe von Technologie eine kreative Umsetzung erfährt, finde ich spannend. Oder Portfoliokonzepte mit Krypto-Assets als Beimischung gewinnen meine Aufmerksamkeit. Aber inzwischen müssen wir unseren Blickwinkel verbreitern, denn neue Anbieter greifen die Finanz-Wertschöpfungskette an. Somit ist ein isolierter Blick nicht erfolgversprechend. Die «Magic» kommt von aussen. Und wir müssen verstehen, was die Konsumenten wollen, die Inspiration dazu holt man aus dem Konsumentenverhalten im Alltag.
Die Schweiz ist bekanntlich der weltweit wichtigste Finanzplatz punkto Private Banking. Wie steht es um die digitale Vermögensverwaltung?
Wir spielen in der Champions League, doch den Pokal für digitale Vermögensverwaltung haben wir (noch) nicht nach Hause geholt. Digital heisst ja nicht, dass Berater aus Fleisch und Blut überflüssig werden. Digitale Vermögensverwaltung ist eine Kombination aus Menschen mit neuen Skills und moderner Technologie als Hilfsmittel. Scheinbar haben wir in der Schweiz den Biss nicht, den Pokal gewinnen zu wollen. Wer an der Spitze der Champions League spielen will, muss digital fit sein, immer trainieren und ein digitales Mindset haben. Wir sollten das Banking der Zukunft definieren, und nicht die anderen. Doch wir tun uns schwer damit. Wir sollten das Land der Robo-Advisor sein. Wir sollten das Land sein, das mit Daten und künstlicher Intelligenz vorausschauendes Private Banking anbieten kann. Wir sollten das Land der Krypto-Assets und Blockchain-Technologie sein. Und letztlich sollten wir die Karte «Neutralität» ausspielen: Stichwort Datensicherheit! Letzteres ist das neue Bankgeheimnis.
Wie sieht die Realität aus?
Die Realität sieht so aus, dass die meisten Vermögensverwalter und Banken immer noch mit Excel arbeiten. Oder schauen Sie die Darstellung Ihres Vermögensausweises an. Meiner sieht seit zehn oder 15 Jahren immer noch gleich aus. Gewisse Institute profilieren Neukunden noch auf Papier und «töggelen» die Angaben danach in ein System! Die Banken und Vermögensverwalter sitzen auf einem Haufen unstrukturierter Daten und wissen nicht, wie man damit datenbasiertes Banking aufbauen kann. Deswegen mein Aufruf: Lasst uns um den ersten Platz in der Champions League spielen. Sie glauben ja auch nicht, dass Zinédine Zidane nicht gewillt ist, jede Saison neu um den Pokal zu kämpfen. Und das ist für jeden Spieler motivierend und sie geben alles. Wir müssen Real Madrid sein: wir brauchen eine Gewinnermentalität und Kampfgeist.
Banken - in ganz Europa - wollen Millennials, die sogenannte Generation Y, gezielt ansprechen. Weiss man eigentlich, was diese jungen Menschen genau wollen?
Ich sage gerne: «Generation Y is talking. Are you listening?» Und dann schütteln viele den Kopf und sagen womöglich noch: «So haben wir es in der Vergangenheit gemacht und es funktioniert auch in Zukunft so.» Das ist brandgefährlich. Banking muss simpler sein und transparenter. Und muss einen echten Kundenmehrwert liefern. «Hygiene Banking» muss kompromisslos digital und mobil sein. Für komplexere Sachen sind Millennials bereit, von Experten sich beraten zu lassen. Das alles muss nicht kostenlos, aber der Mehrwert muss klar ersichtlich sein. Die Generation Y will auch Krypto, wie beispielsweise Studien aus Grossbritannien, von der Financial Conduct Authority (FCA) in Auftrag gegeben, zeigen. Den Beweis liefern aber auch die echten Umsätze der US-Payment-App «CashApp»: im ersten Semester 2020 wurde eine Milliarde Umsatz mit Bitcoin Trading generiert.
Ihre Empfehlung?
Meine Empfehlung an die Industrie: hört den Gen Y und Z zu. Denn sie werden die kommenden Anleger sein und erben ganz viel Vermögen. Und wir müssen eine Gewinnermentalität entwickeln, dazu muss man die Komfortzone verlassen. Denn die Finanzindustrie war noch nie so interessant wie heute: wir können Banking neu definieren.
Link zum Disclaimer
Rino Borini ist Mitgründer der Beratungsboutique Scarossa, die sich auf Digital Education, Strategie, Konzeption von Omnichannel-Erlebnissen und Content fokussiert. Das Unternehmen betreibt die Anlegerplattform «10x10.ch» und die Veranstaltungsplattform «Finance 2.0». Rino Borini leitet den Certificate of Advanced Studies (CAS) «Digital Finance» an der Hochschule Zürich und ist Verwaltungsrat beim digitalen Vermögensverwalter Descartes Finance.