«Wir wollen das Thema Nachhaltigkeit aus der Nische in die Mitte der Investmentwelt holen»

30.03.2016
Herr Masarwah, am 17. März 2016 hat Ihr Unternehmen ein neues globales Research-Format lanciert, das Morningstar Sustainability Rating. Was ist daran so neu?
Neu ist in erster Linie die Reichweite. Bisher waren Nachhaltigkeitsaspekte in der Investmentwelt auf die Nische der entsprechenden Ansätze beschränkt, die ESG-Kriterien anwenden. Die Zahl der nach nachhaltigen Kriterien investierenden Fonds steht aber in keinem Verhältnis zum wachsenden Interesse von Investoren am Thema Nachhaltigkeit. Nur etwa 2 Prozent aller Investmentprodukte weltweit haben ein Nachhaltigkeitsmandat. Die Nachhaltigkeitsbilanz konventionell investierender Fonds war für Anleger bisher nicht erschliessbar. Das wollen wir mit unserem Rating ändern, in das Research zu 4’500 Unternehmen einfliesst.
Wie funktioniert es?
Das Morningstar Sustainability Rating für Fonds basiert auf der Analyse der Bestandteile eines Fonds. Es liefert, vereinfacht gesagt, eine aggregierte Übersicht über die Nachhaltigkeit der darin enthaltenen Unternehmen. Es misst, wie diese Unternehmen die mit umweltbezogenen, sozialen und Governance-Fragen zusammenhängenden Chancen und Risiken managen. Die Daten zu den Unternehmen beziehen wir von Sustainalytics, einem Spezialisten für Nachhaltigkeits-Research. Wir haben darauf basierend ein Scoring-Modell entworfen, auf dem fünf Rating-Stufen fussen, die durch Weltkugeln bzw. Globen ausgedrückt werden. Ein Globus steht für die schwächste Stufe, das Rating «niedrig»; «unterdurchschnittliche» Fonds erhalten zwei Globen, «durchschnittliche» drei, «überdurchschnittliche» vier und Fonds mit einem «hohen» Rating bekommen fünf Globen.
Das Bewertungssystem erinnert stark an das Morningstar-Sterne-Rating für Fonds, das rund um den Globus bekannt ist. Wohl kein Zufall.
In der Tat, das ist kein Zufall. Beide Ratings sind normalverteilte, fünfstufige Bewertungsverfahren, ausgedrückt durch Sterne bzw. Globen, bei denen die niedrigste Stufe das schlechteste und die höchste Stufe das beste Ergebnis abbildet. Darüber hinaus sind beide quantitativ und werden monatlich ermittelt.
Was ist denn der Hauptunterschied zwischen diesen beiden Ratings?
Unser Sterne-Rating ermittelt das Rendite-Risiko-Profil von Fonds unter Einbeziehung von Kosten. Das Sustainability Rating basiert dagegen auf der ESG-Analyse der gewichteten Bestandteile eines Portfolios. Ausserdem kommt das Sustainability Rating durch eine Momentaufnahme zustande, während das Sterne-Rating Rendite-Risiko-Daten aus einer mindestens dreijährigen Periode zusammenfasst.
Bedeutet ein Fünf- oder Vier-Globen-Rating «kaufen»?
Nein. Unser Morningstar Sustainability Rating bildet die aggregierte Nachhaltigkeitsbilanz der Firmen eines Fondsportfolios ab. Es bewertet nicht die Performance oder das Risiko eines Fonds und es sagt auch nichts über die Qualität des Investmentprozesses aus. Aber das Rating bietet eine Fülle an Informationen, die Anleger nutzen können. Wer etwa feststellt, dass sein Fonds in unserem Nachhaltigkeits-Rating nicht gut abschneidet, wird möglicherweise nach einem vergleichbaren Fonds mit einem expliziten Nachhaltigkeitsmandat suchen. Andere Anleger werden möglicherweise zufriedener mit ihrem Fonds sein, wenn sie ein gutes Rendite-Risiko-Profil von einer guten Nachhaltigkeitsbilanz ergänzt wissen. Andere werden wiederum unser Rating vielleicht zum Anlass nehmen, sich stärker mit der Nachhaltigkeitsstrategie ihres Fonds auseinanderzusetzen.
Kann man dem Morningstar Sustainability Rating entnehmen, ob Fonds mit einem Nachhaltigkeitsmandat besser als konventionelle Fonds ohne ein derartiges Mandat abschneiden?
Wir haben das Rating erstmals per Ende Dezember 2015 kalkuliert, insofern bin ich bei solchen Fragen noch vorsichtig. Wir werden künftig die historischen Daten sammeln und auswerten. Längere Zeitreihen werden belastbare Aussagen ermöglichen. Aber ich halte fest, dass im ersten Durchgang Fonds mit Nachhaltigkeitsmandat überdurchschnittlich gut in unserem Rating abgeschnitten haben: 63 Prozent der Produkte, die über ein Nachhaltigkeitsmandat verfügen, weisen ein Vier- oder Fünf-Globen Rating auf. Aber man muss auch hier auf die Details schauen. Nachhaltigkeitsfonds können beispielsweise in unserem Rating dann nicht besonders gut aussehen, wenn sie sich nur auf Teile der drei ESG-Bereiche konzentrieren. Ein Fonds, der nur ökologische Faktoren in seinem Investmentprozess berücksichtigt, wird nicht zwangsläufig in den anderen beiden ESG-Bereichen, soziale und Governance-betreffende Faktoren, gut abschneiden.
Was setzt sich Morningstar mit dem neuen Rating-Angebot für Ziele?
Wie gesagt, unser Ziel ist es, das Thema Nachhaltigkeitsinvestments aus der Nische zu ziehen und seine Relevanz für die breite Masse der Investoren herauszustreichen. Das erreichen wir unter anderem auch dadurch, dass wir die Basisinformationen zu den Sustainability Ratings der rund 20’000 Produkte weltweit Investoren und Beratern kostenlos auf unseren globalen Webseiten zur Verfügung stellen. Anleger in der Schweiz können auf der Übersichtseite der Fondsfactsheets auf unserer Seite morningstar.ch die Basics unseres Ratings einsehen. Wir werden das Informationsangebot auch sukzessive ausweiten. Wir arbeiten an einer Durchsicht für Funds of Funds auf Basis der Zielfonds-Holdings, und in nicht allzu ferner Zukunft wollen wir auch eine Methodik entwickeln, die es uns ermöglicht, nicht nur Aktien und Unternehmensbonds, sondern auch Staatsobligationen in die Bewertung einfliessen zu lassen.
Ali Masarwah ist Mitglied im europäischen Research-Team von Morningstar und als Chefredaktor für die deutschsprachigen Webseiten von Morningstar verantwortlich. Seit Juni 2015 ist er zudem als Direktor für das Editorial Team von Morningstar EMEA zuständig. Nach seinem Volontariat bei der Wirtschaftsnachrichtenagentur ADX in Berlin fand er recht zügig den Zugang zum Thema Investmentfonds. Im Jahr 2000 wurde er Mitglied der Fondsredaktion bei der Nachrichtenagentur vwd, die er von 2001 bis 2003 leitete. 2003 wechselte Ali Masarwah zur portfolio Verlagsgesellschaft, Frankfurt, wo er zunächst als Chefredaktor das Magazin «portfolio international» übernahm. Von 2006 bis zu seinem Wechsel zu Morningstar im Herbst 2011 hatte er zusätzlich als Redaktionsleiter die journalistische Verantwortung für alle Magazine und Webseiten des Verlags inne.