«Wir wurden vor über 80 Jahren inmitten der Grossen Depression in Chicago gegründet»

08.05.2019
Herr Baruffol, William Blair ist im deutschsprachigen Raum nicht jedem ein Begriff. Können Sie in ein paar Worten beschreiben, was Ihr Unternehmen ausmacht?
William Blair ist ein spezialisierter, aktiver Investment Manager. Wir konzentrieren uns auf sogenannte Quality-Growth-Equity und Multi-Asset-Strategien. Diese Strategien gibt es mit regionaler oder globaler Ausrichtung - je nachdem, wie unsere Kunden ihre Allokation orientieren. Zu unseren Kunden gehören Vorsorgeeinrichtungen, Versicherer, Banken, Family Offices und unabhängige Vermögensverwalter. Gegründet wurden wir vor über 80 Jahren inmitten der Grossen Depression in Chicago - dies prägt unsere Kultur, insbesondere im Umgang mit Risiko. Seit über 40 Jahren sind wir nun auch in Europa tätig.
Die Tatsache, dass wir eine Partnerschaft sind, welche sich zu 100 Prozent im Besitz der aktiven Mitarbeitenden befindet, beeinflusst unsere Kultur ebenfalls stark. Wir können eine langfristige Perspektive einnehmen und uns darauf konzentrieren, das zu tun, was im besten Interesse unserer Kunden ist. Beispielsweise schliessen wir konsequent Strategien, bevor diese ihre Kapazitätsgrenze erreicht haben - auch wenn es kurzfristig profitabler wäre, weitere Kundengelder anzunehmen. Daneben sorgt unsere ausserordentlich tiefe Fluktuation an Mitarbeitenden auch dafür, dass unsere Kunden über die Jahre hinweg mit den gleichen Personen zusammenarbeiten können. Ich beispielsweise bin schon seit über 20 Jahren bei William Blair, und dies ist aber keineswegs die Ausnahme.
Und wie wirkt sich dann diese Kultur auf die Investment-Philosophie aus?
Unsere Portfoliomanager und auch viele unserer Analysten sind Partner. Sie haben also ein Interesse daran, Investmentstrategien zu verfolgen, welche unseren Kunden langfristig Erfolg verschaffen und sich nicht einfach nur kurzfristig schnell verkaufen lassen. Entsprechend verfügen die Investment Teams über weitgehende Autonomie in der Umsetzung ihrer Strategien - dies fördert kreatives Denken, Eigeninitiative und intellektuelle Neugier. Ein weiterer nennenswerter Aspekt ist die enge Zusammenarbeit zwischen Portfoliomanagern und Analysten. Sie bestimmen gemeinsam, welche Unternehmen analysiert werden. Dies erlaubt uns, Leerläufe weitgehend zu vermeiden. Die Zeit der Analysten ist nämlich eines unserer kostbarsten Güter! Während unserer umfangreichen Fundamentalanalyse verbringen wir auch viel Zeit damit, potenzielle Investitionsunternehmen zu besuchen. Wir machen uns also vor Ort einen Eindruck und führen vertiefte Gespräche mit dem Management aber auch mit Lieferanten, Kunden und Konkurrenten. Auf unseren Reisen sind wir so auch schon auf hervorragende Unternehmen gestossen, welche von anderen Investoren schlicht und einfach «übersehen» wurden. Beispielsweise, weil Sell-Side-Research gerade bei Unternehmen mit kleiner Marktkapitalisierung in gewissen Bereichen lückenhaft ist.
Sie sagen, viele Ihrer Analysten sind Partner. Dies ist ungewöhnlich…
Research ist bei unserem Investitionsansatz absolut im Zentrum. Ein Analyst ist bei uns nicht einfach ein Rang oder eine Stufe auf dem Weg zum Portfoliomanager, sondern eine ganz eigenständige Funktion. Ein guter Analyst kann bei uns sogar mehr verdienen als ein Portfoliomanager, es kommt einzig auf den generierten Mehrwert für unsere Kundenportfolios an. Schlussendlich liegt es an den Analysten, Unternehmen zu identifizieren, welche ihre Erträge stärker und länger ausbauen können als ihre Mitbewerber. Dies funktioniert unter anderem deswegen, weil viele Marktteilnehmer die langfristigen Gewinnaussichten fundamental starker Unternehmen unterschätzen oder sich von kurzfristigen Problemen übermässig verunsichern lassen.
Nachdem Sie uns nun einen Eindruck über Ihre generelle Investment-Philosophie verschafft haben - sprechen wir doch kurz darüber, welche Strategien Sie genau anbieten und wie Sie mit Kunden in unseren Breitengraden zusammenarbeiten.
Grundsätzlich bieten wir Aktien-Strategien in den Bereichen US, Emerging Markets und Global Equity mit einer Ausrichtung auf fundamental starke Wachstumsunternehmen an. Einige dieser Strategien konzentrieren sich auf kleine und mittlere Unternehmen. Ergänzend kommt eine Multi-Asset-Strategie hinzu. Eine der in Europa beliebtesten Strategien ist unser «US Small-Mid Cap Growth Portfolio». Dieses wird von unseren Kunden oftmals als Ergänzung zu einer sonst eher Large-Cap-lastigen US-Allokation eingesetzt. Diese Strategie wurde vor über 20 Jahren sogar extra für eine Reihe von Schweizer Pensionskassen initiiert. Es freut mich sehr sagen zu können, dass wir einige dieser frühen Investoren auch heute noch zu unseren Kunden zählen dürfen. Schweizer Kunden waren auch die ersten Investoren unserer «Global Leaders Strategie». Ebenfalls ein sehr erfolgreiches Portfolio, welches dem Investment Team erlaubt, weitgehend frei von Länder-, Sektor- oder Kapitalisierungsvorgaben genau dort zu investieren, wo sie die besten Möglichkeiten sehen. Diese Strategie ist nun auch in einer SRI-Variante erhältlich - entwickelt haben wir diese mit einem grossen nordischen Versorgungswerk. Denn gerade die skandinavischen Länder sind in Sachen Nachhaltigkeit sehr aktiv. Persönlich sehr spannend finde ich auch unsere «China A-Shares Strategie». Wir haben bereits 2012 eine QFII-Lizenz erhalten und verfügen dementsprechend über umfangreiche Erfahrung auf diesem Gebiet. China A-Shares ist ein Thema, welches nun immer mehr in den Fokus der Investoren rückt. Unter anderem, weil dieses Segment in den Indizes eine immer höhere Gewichtung erhält.
Sie sagen, Ihre «Global Leaders Strategie» ist nun auch als SRI-Version verfügbar. Provokant gefragt: Springen Sie jetzt auch noch auf den ESG-Zug auf?
Nein, ganz im Gegenteil. Als langfristige Investoren haben wir schon immer eine sehr ganzheitliche Perspektive eingenommen. Ein Unternehmen, welches seine Mitarbeitenden schlecht behandelt oder Umweltsünden verursacht, wird über die lange Sicht keinen Erfolg haben. Schon seit den 60er und 70er Jahren ist Corporate Governance ein zentrales Kriterium unserer Unternehmensanalyse. Nur wenn die Interessen des Managements und der Mitarbeitenden mit den Interessen der Investoren und anderer Stakeholder im Einklang sind, kann ein Unternehmen langfristig erfolgreich sein. Auch haben wir schon vor vielen Jahren die «UN Principles of Responsible Investment» (UN PRI) unterzeichnet. Vor einiger Zeit haben wir zudem mit externen Spezialisten ein eigenes Relevanz-Framework für die Analyse der einzelnen Branchen und Industrien entwickelt. Dieses Framework hilft unseren Analysten dabei zu identifizieren, welche ESG-Aspekte für die Beurteilung eines Unternehmens besonders relevant sind. Jeder Sektor erfordert eine andere, nuancierte Betrachtung. Das ESG-Assessment ist integraler Teil der Unternehmensanalyse und wird von den gleichen Analysten gemacht, welche auch den Rest der Analyse durchführen. Wir glauben, dass dieser Ansatz Sinn macht und uns ermöglicht, auch in Zukunft einen zielgerichteten, tiefgehenden und sinnvollen Dialog mit den Managements unserer investierten Unternehmen zu führen.
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Langfristigkeit und Loyalität gegenüber Kunden und Arbeitgeber sind wichtig für Reto Baruffol. Bereits seit 1995 ist er für William Blair & Company tätig. Seit 2007 ist Baruffol für die Geschäftsentwicklung und Betreuung institutioneller Investoren bei William Blair Investment Management in Teilen Europas verantwortlich, nachdem er die ersten zwölf Jahre in der Sell-Side Brokerage und Research-Gruppe verbracht hatte. Vor seiner Anstellung bei William Blair im Jahre 1995 war Reto Baruffol vier Jahre lang als Assistant Manager für Brown Brothers Harriman in New York und Zürich aktiv. Er hat einen Master in Marketing und Management von der Universität Zürich.