«Experten-Roundtables» in St. Moritz, 01.09.2021
Roundtable 7
«Aktiv - Passiv»: Beide Strategien haben absolut ihre Berechtigung
• Glow: Meine Dame, meine Herren, wie wird die Covid-19-Pandemie den Fondsvertrieb aus Ihrer Sicht verändern?
Ipsaryaris: Vor Covid-19 war man immer noch der Meinung, dass Vertrieb nur in persönlichen Gesprächen funktioniert, das hat Zeit und Ressourcen gekostet. Die Art und Weise, wie man verkauft hat, hatte tatsächlich nicht mit dem technologischen Fortschritt Schritt gehalten. Die Zeiten von «Haustür-Verkauf» und «Telefon» sind definitiv vorbei. Auch wenn der soziale Aspekt nicht zu unterschätzen ist, wir Menschen sind nun mal eine «soziale Spezie», so wird der Vertrieb auch durch die «virtuelle» Schiene erweitert. Die persönlichen Treffen werden wohl weniger, dafür sehr wichtig für den sozialen Austausch und das erste Kennenlernen, dies, um das Vertrauen aufzubauen und zu erhalten.
Marx: Im Zuge der Pandemie und der daraus resultierenden Unsicherheit hat sich der Bedarf am Informationsaustausch erhöht. Flexible Arbeitslösungen werden auch post-Covid bestehen bleiben, was bedeutet, dass auf der Kunden- wie auf der Anbieterseite ein bis zwei Tage pro Woche aus dem Homeoffice gearbeitet wird. Dies wiederum erfordert ein Umdenken in der digitalen Client Journey. Das digitale Informationsangebot wird weiter Auftrieb bekommen und hybride Angebote werden entstehen. Auf Events könnte dies in Zukunft beispielsweise bedeuten, dass sie auch Digital live geteilt werden, Business Meetings werden physisch wie auch digital sein. Durch die Digitalisierung können wir relevante Information besser zum richtigen Zeitpunkt an den richtigen Ort bringen.
Paul: Die Covid-19-Pandemie hat den Fondsvertrieb bereits verändert. In den letzten 18 Monaten fand der Kontakt mit Kunden fast ausschliesslich über Telefon und Video Calls statt. Persönliche Treffen gab es kaum noch. Dies hat zwar dazu geführt, manche Personen noch privater kennen zu lernen, wenn zum Beispiel Kinder, Ehepartner oder Haustiere auf einmal im Bild waren. Und es ist interessant, wie unterschiedlich mit dem Homeoffice umgegangen wird. Es gab Vertiefungen einiger Kundenbeziehung, auf der anderen Seite auch Distanz durch den fehlenden persönlichen Kontakt. Darüber hinaus ist eine zunehmende Müdigkeit für virtuelle Meetings und Events feststellbar, weshalb wir bereits seit Juni komplett auf physische Events umgestellt haben.
Collesano: Wie alle Lebensbereiche sind die Ereignisse der letzten 18 Monate auch am Fondsvertrieb nicht spurlos vorbeigegangen und haben einen wesentlichen Beitrag zu einer beschleunigten Neuorientierung geleistet. So hat die Pandemie Wertschöpfungsketten, Dienstleistungen und Prozesse in kürzester Zeit auf die Probe gestellt und nachhaltig den Weg für Innovation, aber auch zu mehr Pragmatismus geebnet. Dies ist insbesondere im Bereich des Fondsvertriebs zu spüren, wo zum Beispiel der physische Austausch mit Investoren, Intermediären und Partnern stark eingeschränkt ist. Das nun gängige hybride Model, welches den Einsatz digitaler Kommunikation unverzichtbar macht, hat auch verschiedentlich zu einer Effizienzsteigerung beigetragen, von der beide Seiten profitieren. Natürlich bleibt der persönliche Austausch in vielen Bereichen unverzichtbar - eben unterstützt durch neue Technologien.
• Glow: Mit welchen Massnahmen reagiert Ihr Unternehmen auf die fortschreitende Digitalisierung und die dadurch wechselnde Erwartungshaltung der Investoren?
Paul: Digitalisierung hatte bei uns bereits vor dem Ausbruch der Pandemie eine hohe Priorität. Daher kommt diese Entwicklung für uns nicht überraschend und wir waren vorbereitet. So konnten wir im März 2020 problemlos auf das Homeoffice umstellen, alle Mitarbeitenden unseres Teams hatten einen Laptop und konnten von Zuhause aus arbeiten und wir waren für unsere Kunden unterbruchfrei jederzeit erreichbar. Innerhalb unserer global tätigen Firma und unserer über 20 Affiliates war die Umstellung eine andere Herausforderung, gelang aber sehr gut. Die Entwicklung der Digitalisierung hilft uns, unsere eigenen Aktivitäten und Services noch besser auf die Herausforderungen und Bedürfnisse unserer Kunden abzustimmen.
Collesano: Wie bereits angesprochen, erleben wir aktuell einen Paradigmenwechsel. Das Thema Digitalisierung wurde beschleunigt und ist von einem theoretisch, wenn auch beliebten Workshop-Thema zu einem unverzichtbaren Wertbeitrag für Investoren geworden. Nebst der digitalen Verfügbarkeit von Dienstleistungen, neuen Investitionslösungen finden hier auch zunehmend digitale Anlageprozesse und Portfoliomanagementansätze Einzug. Das klassische Produktangebot wird somit zunehmend durch digitale Lösungskonzepte erweitert.
Marx: Wir beobachten die Situation genau und sehen die fortschreitende Digitalisierung als Chance, unser Service-Angebot stetig auszubauen. Das künftige digitale Informationsangebot, was heute noch als innovativ gilt, wird bald der neue Referenzpunkt für Service-Leistungen in der Industrie sein. Investoren erwarten, dass man mit der Zeit geht und die höchst mögliche Transparenz an Informationen bietet. Neben den finanziellen Zielen stehen bei der Erwartungshaltung künftig auch ESG-Überlegungen sowie der Einfluss und die Ergebnisse auf die Portfoliounternehmen im Fokus.
Ipsaryaris: Bill Gates sagte mal: «We always overestimate the change that will occur in the next two years and underestimate the change that will occur in the next ten.» Unsere Welt von morgen: Investoren müssen in der Lage sein, Phantasie und Intuition über die Zukunft mit kalten, harten und praktischen Gründen zu verbinden. Das ist ein sehr umfassendes Thema und diesbezüglich haben wir erst kürzlich diverse «Thought-Leadership»-Themen aufgearbeitet - «AIQ: The Tech Edition: Innovation, Inflection Points and Investing». Da würde ich gerne die Leserschaft auf unsere Seite bitten, um mehr über dieses Thema zu erfahren und sich eine Meinung bilden: avivainvestors.com/en-ch/views/aiq-investment-thinking/aiq-features/
• Glow: Viele Investoren haben sich in den letzten Jahren für passive Anlagestrategien (Indexfonds und ETFs) entschieden. Was sind Ihrer Ansicht nach die Gründe für diesen Trend und wie positioniert sich Ihr Unternehmen in dem sich weiter verschärfenden Wettbewerb?
Marx: Der Trend zu ETFs hat sich seit der Finanzkrise durch die Geldpolitik der Zentralbanken, regulatorischen Änderungen sowie den tiefen Zinsen beschleunigt. CIOs und Investoren bilden sich auf Basis der Makroökonomie eine Marktmeinung, woraus schliesslich das Bedürfnis resultiert, möglichst breit, transparent und kostengünstig ein jeweiliges Marksegment physisch abzubilden. Neben den bekannten Vorteilen schätzen Anleger zudem die Innovationskraft der ETF-Anbieter, um auf Investorenbedürfnisse einzugehen. Bei einer weiteren Verschärfung des Wettbewerbs ist die Skalierbarkeit des Gesamtgeschäfts entscheidend. Die grossen amerikanischen Markteilnehmer sind über ihr Gesamtbuch in Passiv und ihrer globalen Durchschlagskraft in der Poleposition. Als Erfinder des ETF und global drittgrösster Asset Manager möchten wir uns auch in Zukunft über Service-Leistungen und Innovationen differenzieren.
Paul: Aktive und passive Anlagestrategien haben beide ihre Berechtigung. Passive Produkte können für gewisse Anleger und Bedürfnisse Sinn machen, indexiert zu investieren. Ausserdem sind solche Produkte einem grossen Margendruck ausgesetzt und entsprechend günstig. Das Tief- respektive Negativzins-Umfeld haben den Druck der Margen auf tiefpreisige passive Produkte wie ETFs noch erhöht. Aktive Anlagestrategien wird es immer brauchen und bieten den Anlegern mehr Möglichkeiten für besser diversifizierte und ihrem Risiko entsprechende Anlagelösungen, ohne das Klumpenrisiko eines Index und mit der Möglichkeit, Risiken in schwierigen Marktsituationen zu minieren. Wir sind ein aktiver Manager, bieten mit unserem spezialisierten Affiliate OSSIAM aber auch innovative Smart-Beta-ETFs an. Mit unserem Multi-Affiliate Setup decken wir alle wichtigen Asset-Klassen mit Spezialisten ab und sind somit für die Zukunft gut aufgestellt.
Collesano: Passive Anlagestrategien sind ein wesentlicher Bestandteil einer ganzheitlichen Anlagephilosophie geworden und finden durch ihre flexiblen, günstigen und breiten Angebote zunehmend Einzug in institutionelle wie private Portfolios. Vorteile wie tägliche Handelbarkeit fördern den Einsatz insbesondere, um taktische Trends möglichst «benchmarknah» abzubilden. Auch die Zunahme von digitalen Anlageprodukten und Modelportfolios haben die Popularität von ETFs gesteigert. Eine starke Nachfrage nehmen wir auch seitens DWS wahr und so bilden ETFs und Index-Mandate - mit ca. 200 Mrd. Euro - nebst aktiven Fonds und alternativen Anlagen einen wesentlichen Pfeiler unsers Produktangebots und unserer Wachstumsstrategie.
Ipsaryaris: Aviva Investors ist «Change driven», das heisst, wir haben eine «style agnostic»-Anlagelagephilosophie, die Alpha generiert, indem sie Veränderungen identifiziert, die der Markt verpasst hat. Das ist unser Ansatz als aktives Haus und das widerspiegelt sich in unseren Anlageprodukten. Ob aktiv oder passiv - beides hat seine Berechtigung. Der Ausgangspunkt einer jeder Investition verlangt, dass jeder Investor sein eigenes Risikoprofil erstellt und basierend darauf eine Anlagestrategie definiert und danach die Produkte wählt. Ob er das als Privatperson selber macht oder sich an einen Vermögensverwalter wendet, der Ausgangspunkt bleibt gleich.
Teilnehmende

Fabrizio Collesano
Head Wholesale Switzerland
DWS CH AG
Prime Tower
Hardstrasse 201
8005 Zürich
Fabrizio Collesano ist seit Mai 2015 für den Wholesale-Bereich der DWS CH AG verantwortlich. Im Jahre 2007 trat er ins Asset Management der DWS ein und war für den Aufbau der Zertifikate-Plattform in Zürich zuständig. Zuvor hatte er bei der Credit Suisse Gruppe im Investment Consulting, Portfolio Management und Relationship Management Erfahrungen gesammelt. Zudem wurde er im Juni 2016 als Mitglied des Stiftungsrates der Pensionskasse der Deutschen Bank (Schweiz) AG gewählt und konnte somit sein breites Fachwissen weiter aufbauen und weitergeben.

Rula Ipsaryaris
Head Client Solutions Switzerland & Liechtenstein
Aviva Investors Schweiz GmbH
Leutschenbachstrasse 45
8050 Zürich
Rula Ipsaryaris ist seit über 30 Jahren im Finanzdienstleistungssektor tätig. Bevor sie zu Aviva Investors kam, arbeitete sie als Senior Sales Executive und stellvertretende Leiterin Schweiz & Liechtenstein für Vanguard. Ihre Berufserfahrung sammelte sie in verschiedenen leitenden Positionen in der Treuhandbranche, bei einem amerikanischen Broker, sowohl bei internationalen als auch Schweizer Privatbanken, sowie bei einem der weltweit grössten Custodian. Rula Ipsaryaris verfügt über ein CAS (Certificate of Advanced Studies) in Sales and Distribution Management der Universität Luzern sowie den eidgenössischen Fachausweis als Treuhänderin.

Adrian Marx
Head Intermediary Business -
SPDR Switzerland
State Street Global Advisors AG
Beethovenstrasse 19
8002 Zürich
Adrian Marx ist Head Intermediaries Schweiz für SPDR - State Street Global Advisors. In seiner Rolle ist er verantwortlich für Sales & Distribution von ETFs an Banken, Asset Managern und Vermögensverwaltern in der Schweiz. Bevor er 2012 zu SPDR kam, arbeitete er bei UBS und ClaridenLeu (heute Credit Suisse) im Investment- & Active Advisory und beim Equity Sales & Execution Desk von UBS IB. Er hat 21 Jahre Erfahrung in der Finanzindustrie und hält einen BBA in Banking & Finance.

Timo H. Paul
Managing Director
Head German Speaking Switzerland
Natixis Investment Managers Switzerland SA
Zurich Representative Office
Schweizergasse 6
8001 Zürich
Als Junge träumte Timo H. Paul davon, LKW-Fahrer eines grossen US-Trucks zu werden. Aber während seiner Schul- und Studienzeit hat er gelernt, dass auch andere Branchen Perspektiven bieten. Er wollte hoch hinaus und so entschied er sich, Berufspilot zu werden. Nach einigen Jahre wechselte Paul in die Finanzindustrie, wo er nun seit mehr als 20 Jahren tätig ist (15 Jahre bei Credit Suisse und UBS). Seit 2016 ist Timo H. Paul für das Zürcher Büro von Natixis Investment Managers verantwortlich.
Moderator

Detlef Glow
Head of Lipper EMEA Research
Refinitiv
Friedrich-Ebert-Anlage 49
60327 Frankfurt
Deutschland
Detlef Glow, MBA (UoW), begann im Jahr 2005 als Leiter der Fondsanalyse für Deutschland und Österreich bei Refinitiv Lipper. Anfang 2007 übernahm er die Leitung für die Regionen Zentral-, Nord- und Osteuropa. Seit Oktober 2010 ist Glow Leiter der Fondsanalyse von Lipper in Europa, dem Nahen Osten und Afrika (EMEA). Zuvor war er als Direktor Portfoliomanagement bei der Feri Wealth Management GmbH in Bad Homburg als Portfoliomanager für vermögende Privatkunden tätig. Seine Karriere begann Detlef Glow neun Jahre zuvor bei der tecis Holding AG in Hamburg, wo er zuletzt als Leiter der Fondsanalyse sowohl für das quantitative als auch das qualitative Fondsresearch der tecis Asset Management AG verantwortlich war.