«MSCI World und fertig reicht heute nicht mehr»

07.05.2022
Herr Masarwah, wir versuchen, immer am Puls der Zeit zu bleiben, und wir haben gehört, dass Sie bei Envestor.de jetzt auch ETF-Portfolios lanciert haben. Warum?
Wir hatten bei Envestor schon immer die Indexfonds-Seite im Blick. Als Fondsplattform für Selbstentscheider war unser Business-Modell aber bisher nur auf aktiv verwaltete Fonds konzentriert. Wir erstatten Anlegern, die keine Beratung benötigen, alle Vertriebsgebühren, die ja in den jährlichen Fondsgebühren enthalten sind, zurück. Unsere Marge beträgt 19 Basispunkte. Wir mögen aber auch ETFs, weil sie effizient und günstig für Anleger sind. Daher dieser Schritt. Für die «Envestor ETF-Portfolios» verlangen wir auch 19 Basispunkte pro Jahr. Das bedeutet, dass aktive Fonds und ETFs jetzt für uns businessseitig auf Augenhöhe sind. Wir verdienen an beiden gleichermassen viel und können sagen: wir sind, was die Wahl des Fondstypus anbelangt, also aktiv oder passiv, agnostisch.
Was zeichnet Ihre ETF-Portfolios aus?
Sie haben vier wichtige Eigenschaften: Sie sind thematisch ausgerichtet, sie sind diversifiziert, lassen sich an die persönlichen Risikopräferenzen anpassen - und vor allem sind sie günstig. Neben unseren 19 Basispunkten verlangt die Fondsbank 15 Basispunkte, und hinzu kommen die Produktkosten. Kapitalgewichtet liegen die jährlichen Kosten zumeist bei maximal 50 Basispunkten. Das inkludiert zweimal im Jahr ein Rebalancing und natürlich ein Reporting.
Statt «Portfolios» könnten Sie Ihre ETF-Depots also auch Robo-Advisor nennen…
Das haben Sie völlig richtig erfasst. Aber inzwischen gibt es Robo-Advisor wie Sand am Meer, und einige haben sich nicht gerade mit Ruhm bekleckert - weder performance-seitig, noch, was die teilweise sehr hohen Kosten anbelangt. Wir halten es gerne eine Nummer kleiner und lassen lieber die Zahlen sprechen, und die sehen gar nicht einmal so schlecht aus.
Wir sind gespannt.
Seit Auflage Mitte Februar hat unser «Envestor ETF-Portfolio Inflation» ein Plus von 8.6 Prozent hingelegt, das «Portfolio Dividende» legte um 1.5 Prozent zu. Leicht im Minus, aber immer noch besser als der MSCI World, lag das «Portfolio Nachhaltigkeit». Nur das «ETF Portfolio Wachstum» verlor mit 1.9 Prozent rund 150 Basispunkte mehr als ETFs auf den MSCI World. Das kann sich sehen lassen, zumal die thematische Ausrichtung nicht auf Kosten der Diversifikation geht. Ja, hätten wir Energie, Rohstoffe und Agribusiness stärker im Inflationsportfolio gewichtet, dann hätten wir locker ein zweistelliges Plus geschafft, aber eine stärkere thematische Konzentration bringt unerwünschte Risiken. Mehr Growth und unser «Wachstums-Portfolio» wäre etwa in den letzten drei Monaten total abgeschmiert, und das würde nicht dem Sinn unserer «Envestor ETF-Portfolios» entsprechen. Wir wollen, dass Anleger damit diversifizierte Zugänge zum Kapitalmarkt bekommen, um langfristig adäquate Risikoprämien zu ernten - mit einem gewissen thematischen Biss.
Sie haben jetzt einige Male den MSCI World als Benchmark ins Spiel gebracht. Warum?
Einmal, weil es halt die Welt-Aktien-Benchmark ist, an der sich globale Risiko-Assets messen lassen müssen. Aber wir haben diesen Index auch deshalb ins Visier genommen, weil wir glauben, dass es kein guter Index im Sinne eines investierbaren Underlying mehr ist. Viele Anleger, gerade die jüngeren, sind im vergangenen Jahrzehnt mit dem Mantra an den Kapitalmarkt gegangen: «Kaufe den MSCI World, und alles wird gut!» Aber die Nummer «MSCI World und fertig» reicht nicht mehr, auch wenn diverse Pantoffel-Portfolios immer noch so einseitig ausgerichtet sind. Der MSCI World weist inzwischen Klumpenrisiken auf. Das ist kein Wunder, denn in den vergangenen zehn Jahren sind US-Technologie-Aktien extrem gut gelaufen. Ich meine, dass 70 Prozent US-Aktien zuviel des Guten ist - zumal das mit «gut» auch so eine Sache ist. Auch wenn sich viele Anleger nicht mehr daran erinnern können: Die Favoriten eines Jahrzehnts waren selten die Gewinner des nachfolgenden. In den 1980er Jahren war Japan Spitze, in den 1990ern gingen Internet-Aktien 1.0 durch die Decke, in den Nullerjahren waren Rohstoffe die Favoriten. Die Folgen sind bekannt. Auch wenn es nicht immer auf einen Totalabsturz der ehemaligen Favoriten hinauslaufen muss: Die Riskoprämien sind bei den FAANGs ziemlich niedrig. Daher blasen wir mit unseren ETF-Portfolios jetzt zur Jagd auf den MSCI World.
Link zum Disclaimer
Ali Masarwah ist Fondsanalyst und Partner bei der konzernunabhängigen digitalen Fondsplattform Envestor. Zu den Kerndienstleistungen von envestor.de zählt, Privatanlegern einen sehr günstigen Zugang zu Fonds zu eröffnen. Investoren, die keine Beratung brauchen, erhalten einen Grossteil der laufenden Vertriebsgebühren zurück. Auch anlegernahes Research zählt zum Angebot von envestor.de. Ali Masarwah zählt zu den langjährigen Kennern des deutschen und europäischen Fondsmarkts. Bis Frühjahr 2021 war er im Fondsresearch bei Morningstar tätig und als Chefredaktor für die deutschsprachigen Personal-Finance-Websites des US-Research-Hauses verantwortlich. Nach seinem Volontariat bei der Wirtschaftsnachrichtenagentur ADX in Berlin Ende der 1990er-Jahre fand der Sozialwissenschaftler zügig den Zugang zum Thema Investmentfonds. Im Jahr 2000 wurde er Mitglied der Fondsredaktion bei der damaligen Nachrichtenagentur vwd, die er von 2001 bis 2003 leitete. 2003 wechselte Ali Masarwah zur portfolio Verlagsgesellschaft, Frankfurt. Danach verantwortete er bei Morningstar zwischen 2011 und 2021 die Personal-Finance-Websites für die deutschsprachigen Länder.