«9/11 markierte auch einen Neubeginn»

Unabhängiger Autor, Verwaltungsrat & Investor
ThomasZweifel.com GmbH, Zürich
thomaszweifel.com
17.02.2022
Herr Dr. Zweifel, Ihre Schaffenskraft scheint unendlich zu sein. Brauchen Sie auch Schlaf?
(lacht) Die kurze Antwort ist Ja, ich brauche auch Schlaf. Und ehrlich gestanden, hat mein Gedächtnis auch schon nachgelassen, weil ich in der Vergangenheit chronisch wenig geschlafen habe. Aber das Leben ist halt einfach so spannend… Mir sagen Menschen manchmal, meine Bio klinge, als ob ich nicht ein Leben hätte, sondern drei.
Ich brachte vor einiger Zeit unsere jüngere Tochter Hannah zu meinem Büro, und sie fragte mich, «Papi, was machst du eigentlich so?» Ich antwortete, ich hätte fünf Berufe. Ich bin Investor, seit ich die Swiss Consulting Group verkauft habe; ich bin Buchautor; Leadership-Professor; Verwaltungsratsmitglied bei einigen Firmen und in den Boards von zwei internationalen NGOs mit rund 200 Mio. US-Dollar respektive 500 Mio. US-Dollar Umsatz; und nicht zuletzt Familienvater (und seit neustem Hundepapi).
Ich habe übrigens, notgedrungen, ein System entwickelt, das mir - und mittlerweile auch vielen meiner Klienten - Freiheit, Power und Gelassenheit verschafft, egal, wie viele Projekte wir gleichzeitig jonglieren. Es heisst Cockpit und wir haben dazu ein kurzes kostenloses Video-Training produziert.
Sie haben so viel in Ihrem Leben schon gemacht. Wenn Sie den Film abspulen, was ist von vielen die schönste Erinnerung?
Ganz sicher nicht die schönste, aber die kraftvollste Erinnerung ist zwei Jahrzehnte her. Es war an einem Dienstagmorgen, ich sass an der Brooklyn Promenade, etwa 200 Meter vom World Trade Center, als ich das erste Flugzeug in den Tower fliegen sah. Da dachte ich noch, es sei ein Unfall. Dann sah ich den zweiten Flieger, wie er über die Freiheitsstatue und auf uns zu flog. Ich sah den schwarzen Bauch der Maschine, sie flog wie ein Militärflugzeug, und ich wusste: Wir sind im Krieg. Als die Twin Towers einstürzten, stürzte für mich eine Welt zusammen. Aber dieser furchtbare Tag markierte auch einen Neubeginn - nach dem Motto: Jeder Zusammenbruch bietet gleichzeitig Rohmaterial für einen Durchbruch. Bahnbrechende Innovationen wie das Post-it oder der Club Med entstanden ja bekanntlich aus Fehlleistungen. Ich hinterfragte also meine Beziehungen, meine Projekte, ich besann mich darauf, wer ich eigentlich bin und wofür es sich lohnt, mein Leben zu leben. Daraus entstanden neue Freundschaften, neue Projekte, zum Beispiel eine Zusammenarbeit mit der US Military Academy in West Point und sogar ein Buch: Der Rabbi und der CEO.
Doch die schönste Erinnerung ist, meine Frau getroffen zu haben. Es klingt nach Cliché, aber das war das Beste, was ich je gemacht habe. Im Jahr 2006 in New York City, wo ich damals lebte, hatte ich Lunch mit Dr. Yoram Wurmser, dem COO meiner damaligen Firma, Swiss Consulting Group, die ich seither verkauft habe. Beim Dessert sagt Yory: «Wenn es mit den Frauen von New York nicht klappt, hätte ich noch eine Cousine in Zürich.» Ich sagte: «Vielen Dank, das ist nicht nötig, der Markt ist gross in New York.» Aber zwei Jahre später hatte ich ein Mandat in der Schweiz und fühlte mich furchtbar einsam. Was war die Chance in diesem Moment? Ich bat Yory um die Nummer der Cousine in Zürich und rief sie an. Wir hatten ein Blind Date am Zürich Hauptbahnhof. Ich ging zurück nach New York, rief meine Mutter in Sydney an und sagte ihr, ich hätte meine Traumfrau gefunden. Meine Mutter fragte, «Wie heisst sie denn?» Ich sagte, «Gabrielle, Mädchenname Wurmser.» Sie sagte, «Wurmser? Von Bülach?» Ich hatte keine Ahnung, also rief ich Yory an. Er sagte mir: «Klar, das war mein Grossvater Alfred Wurmser in Bülach.» Ich rief meine Mutter nochmal an, und sie erzählte, meine Grossmutter habe 1923 von Alfred Wurmser einen Heiratsantrag erhalten. Und sie habe abgelehnt. Sechs Wochen später gab ich Gabrielle im Restaurant Terrasse in Zürich den Ring meiner Grosseltern und sagte: «Ich möchte das Unrecht wiedergutmachen, das vor 85 Jahren deiner Familie widerfahren ist.» Es war uns beiden von Anfang an klar: Da ist etwas am Werk, das viel, viel grösser ist als Planung oder Strategie. Ich nenne es Strategie in Aktion.
An welchem Projekt sind Sie gerade dran?
Ich bin gerade an drei Büchern, zwei davon mit Co-Autoren. Soviele Buchprojekte aufs Mal würde ich eigentlich niemand empfehlen, hat sich aber so ergeben. «Boost» zeigt, wie man Grosses durch das Führen und Entfesseln anderer Menschen schaffen kann. «Hunch» handelt von der Strategischen Intuition: Wie kann ich Intuition strategisch nutzen, um zum Beispiel das nächste Google zu finden oder vorauszusehen, ob eine CEO-Kandidatin zur Firma passen wird? Und «Crash» geht um sogenannte Megaprojekte - Infrastrukturprojekte, die eine Milliarde oder mehr kosten. Wieso schiessen 70 Prozent von Megaprojekten chronisch über ihr Finanz- und/oder Zeit-Budget hinaus - der Flughafen Berlin Brandenburg ist leider keine Ausnahme - und was können wir tun, um Projekte erfolgreich zum Ziel zu führen? Soviel kann ich schon mal verraten: Es liegt so gut wie nie an der Technik.
Bei all Ihrer Arbeit: was macht Ihnen am meisten Spass?
Seit meinem Exit von der Swiss Consulting Group habe ich das grosse Privileg, ausschliesslich an Projekten zu arbeiten, die ich mir ausgewählt habe. Ich liebe das Schreiben und das Gestalten von Sprache, die Menschen wirklich ermächtigt und ihnen neue Kapazitäten gibt. Ich liebe meine Immobilienprojekte und Investments, vor allem Crypto und Blockchain finde ich total spannend. Und ich liebe das Coaching von CEOs und CXOs und meine Lehrtätigkeit, vor allem - seit Covid-19 - online durch E-Learning. In diesem Sinn kenne ich keine klare Trennung zwischen Arbeit und Freizeit.
Aber klar, wenn Sie mit «Spass» Nicht-Arbeit meinen, dann sage ich: Badminton, Skitouren und mit der Familie spielen oder auf Netflix «Modern Family» schauen.
Haben Sie zum Schluss einen Tipp für unsere Leserinnen und Leser: was sollte man sich gleich zu Gemüte führen?
Ich bin ein grosser Fan von Daniel Kahneman, dem einzigen Nicht-Ökonomen, der den Nobelpreis für Ökonomie gewonnen hat. Sein Buch Thinking Fast, and Slow zeigt, wie wir alle die Realität systematisch verzerren und dadurch suboptimale Entscheidungen treffen. Für die, die das Buch schon kennen: Richard Thaler (auch er Wirtschafts-Nobelpreisträger) und Cass Sunstein gehen einen Schritt weiter und zeigen in Nudge auf, wie Regierungen und Firmen das Verhalten von Menschen zum Besseren wenden können. Das ist zwar Manipulation, aber für einen guten Zweck (schmunzelt).
Link zum Disclaimer
Dr. Thomas D. Zweifel ist CEO Emeritus von Swiss Consulting Group und berät seit 1997 CEOs und Führungskräfte, vor allem auch in der Finanzindustrie, in Strategie, Leadership und Performance. Er verhalf zum Beispiel einer Schweizer Grossbank zur Einsparung von 200 Mio. US-Dollar und einem Jahresgewinn von 9 Mrd. US-Dollar - und gleichzeitig dem Schaffen einer Coaching-Kultur. Der mehrfach preisgekrönte Autor von acht Büchern (auf Deutsch sind erschienen Strategie in Aktion, Communicate or Die: Mit Sprache führen und Der Rabbi und der CEO) war zwei Jahrzehnte lang Gastprofessor für Leadership an der Columbia University in New York und an der HSG St. Gallen. Einer seiner Studenten gründete als Semester-Arbeit eine Fluggesellschaft, die heute auf der «Inc.»-Magazin-Liste der 500 schnellstwachsenden Firmen steht. Zweifel ist Mitglied mehrerer Verwaltungsräte. Er lebt mit seiner Frau und zwei Töchtern in Zürich.